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Vom Elementaren ins Mystische

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„Das visionäre Schauen und Horchen im Moment der Inspiration — die große Paula Grogger hat es“. Diese Einsicht der Dichterin Enrica von Handel-Mazzetti kennzeichnet die Gnade der schöpferischen Innenschau, die vor allem eine weibliche Gabe ist In der Dichtung unserer Zeit gehören die dunkel-leuchtenden Farben, die erdhaft-schweren Töne meist der Frau. Diese Tatsache bestätigt das gesamte Werk von Paula Grogger, die am 12. Juli ihren 80. Geburtstag begeht.

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„Das visionäre Schauen und Horchen im Moment der Inspiration — die große Paula Grogger hat es“. Diese Einsicht der Dichterin Enrica von Handel-Mazzetti kennzeichnet die Gnade der schöpferischen Innenschau, die vor allem eine weibliche Gabe ist In der Dichtung unserer Zeit gehören die dunkel-leuchtenden Farben, die erdhaft-schweren Töne meist der Frau. Diese Tatsache bestätigt das gesamte Werk von Paula Grogger, die am 12. Juli ihren 80. Geburtstag begeht.

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Als 1926 ihr Roman „Das Grim-mingtor“ erschien, wurde sie nicht nur im gesamten deutschen Sprachraum mit einem Schlage berühmt, sondern darüber hinaus durch die Übersetzungen in zehn Sprachen in der ganzen Welt bekannt. Auch heute noch lebt die Dichterin in ihrem Heimatort öblarn im Ennstal am Fuße des mächtigen Grimming unter den Nachfahren der Bauern, Handwerker und Kleinbürger, deren Leben sie in ihrem Roman so einmalig geschildert hat, daß es ihr gelang, den sogenannten Heimatroman, dem vorher Rosegger den Weg gebahnt hatte, weltweite Geltung zu verschaffen. In der Alltagssprache, in der Mundart und mit den alten Redewendungen des Volkes — der Roman spielt in der Napoleonischen Zeit — hat Paula Grogger eine epische Welt aufgebaut wie Selma Lagerlöf, Sigrid Undset und andere international bekannte Erzählerinnen.

Ihr zweites großes Werk ist das Festspiel um die Gestalt des stei-rischen Prinzen Erzherzog Johann, „Die Hochzeit“, mit dessen Aufführung Paula Grogger 1937 das Augenmerk ganz Österreichs noch einmal auf ihren Heimatort lenkte. Hundert Jahre vorher hatte dort jene Hochzeit stattgefunden, bei der Prinz Johann Trauzeuge gewesen war. Im Spiel wird sie von rund 300 Mitwirkenden dargestellt. Als man 1959 zur Ehrung Erzherzog Johanns dieses öblarner Festspiel wiederholte, hatte es, wie die Gäste aus aller Welt bewiesen, bereits internationalen Ruhm gewonnen.

Zwischen diesen beiden Hauptwerken liegt eine Reihe zwar kleinerer, aber nicht weniger gewichtiger Arbeiten, etwa „Das Gleichnis von der Weberin“ oder die novellistische Erzählung „Der Lobenstock“, die Groggers herbe und doch so humorvolle Art altertümelnder Darstellung eindringlich zeigt. Von hier ist es nur ein kleiner Schritt zur legendären Erzählung, die Paula Grogger beson ders liebt. Zugleich mit dem Sprachgut wird der Schatz uralter Lebensweisheit gehoben. „Die Sternsinger“, „Die Legende von der Mutter“, „Das Kind der Saugen“, „Die Legende vom Rabenknäblein“, „Das Röcklein des Jesukindes“, „Der Antichrist und Unsere Liebe Frau“ verraten ein Urmütterwissen mit einem Bilderreichtum, der tiefer reicht als alles Verstandeswissen. „Die „Räuberlegende“, erstmals 1930 fixiert, sieht visionär Verfallszustände voraus, die eben jetzt in unserer Gegenwart — etwa in der Bildung von Kommunen durch die Jugend — die triebhaft gärenden dämonischen Kräfte zeigen: Ein Gleichnis der negativen Gewalten lange vor den jüngsten Zeitereignissen.

Auch die kleineren Spiele, oft von bestimmten Gelegenheiten herausgefordert, tragen die Züge des Brauchtums und des festlichen Anlasses. Die Mundartgedichte Paula Groggers und ihre hochdeutschen Gedichte sind in je einem eigenen Band gesammelt — religiöse Verse, Bauernlyrik, Sprüche, Naturbilder. Das dichterische Wort, das in untrennbarer Einheit mit seiner Bedeutung steht, ist immer aus dem lebendigen Sprachschatz ihrer Heimat geschöpft, es ist etwas naturhaft Gewachsenes, das in seiner Wirksamkeit völlig ausschwingen kann, weil es noch die beschwörende Gewalt unmittelbaren Erlebnisausdruckes hat.

Für die ungebrochene Schaffenskraft der Dichterin zeugt ihr jüngstes Werk, ein weltliches Mysterienspiel, das in seinen Maßen das Erzherzog-Johann-Spiel wahrscheinlich übertrifft. In jahrelanger intensiver Arbeit entstand dieses auf weltlich-historischer Basis ruhende, ins Mysterium der Dreifaltigkeit reichende Spiel, das ursprünglich „Bauernmesse“ oder „Der Silberaltar“ heißen sollte, dem Paula Grogger nun aber den Titel „Te deum“ geben will. Zugrunde liegt ihm die Tatsache, daß Baron Franz Mayr-Melnhof einen bei den Ursuli-nen in Salzburg aufbewahrten und dort wiederentdeckten Silberaltar erwarb und ihn in die Gnadenkirche von Mariazell bringen ließ. Paula Grogger wurde aufgefordert, einen Widmungsspruch zu dichten, und der wurde der Dichterin unversehens zu lang... und dann wurde das Spiel daraus.

Der Altar, aus dem Besitz der Wittelsbacher, wurde in der Mitte des 17. Jahrhunderts unter abenteuerlichen Umständen nach Österreich geschmuggelt, und die vertriebenen Verwandten des bayrischen Kurfürsten, unter ihnen dessen Sohn Ferdinand, kamen mit ihm über die Ramsau in unser Land. Das Thema beschäftigte die Dichterin sehr lange, erst nach verschiedenen Anläufen vollendete sie es. Alles in dem Spiel, das in Verszeilen und an wesentlichen Stellen in klassischer Stichomythie geschrieben ist, hat Paula Grogger mit dichterischer Freiheit gestaltet und die Personen zum Teil erfunden. Das Naturalistische wird überall ins Symbolische erhöht, was naiv beginnt, wird schließlich ganz vergeistigt. Bezeichnend die subtile Sprachbeherrschung, die intuitiv die Spracheigentümlichkeiten der geschichtlichen Zeit — etwa des „Simplicissimus“ — annimmt und den Leser beziehungsweise den Zuschauer in die Vorgänge geradezu hineinreißt. Paula Grogger hat (nach ihren eigenen Worten) Grimmelshausen erst viel später gelesen; sie hat die historischen Quellen mehr im Sinne eines „Beleges“ für ihre Gestaltung verwendet, als sie ad hoc studiert. Hier ist ein großes festspielartiges Stück, das wie das Hochzeitsspiel um Erzherzog Johann für Österreich repräsentativ aufgeführt werden müßte, auch wenn die Voraussetzung für eine Realisierung beträchtliche Anforderungen stellt.

Nie und nirgends geht es Paula Grogger um das, was künstlich ist an der Kunst, immer kommt es ihr auf das Erlebnismäßige an. Vom Elementaren aufsteigend, führt ihre Dichtung über das Symbolische ins Mystische. Ihre Aussage in Bildern und Gestalten aus einer rustikalen Welt, einer nur scheinbar kleinen Welt, wächst über die Anschauung empor zur transzendenten Schau und gewinnt so die weiteste Dimension.

Ist dir nie klargeworden, daß Geschichte nichts anderes ist als die Chronik der Taten jener, die das Leben entschlossen in die eigenen Hände nahmen und dadurch sich und andere aus der Klemme zogen oder in die Klemme brachten?

John Galsworthy

Der Geist hat Wandelbarkeit, aber nicht Vergänglichkeit.

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