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Vom Ende der Solidarität

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Die Pensionsreform, wie sie derzeit von Sozialminister Josef Hesoun vorbereitet wird, ist keine Reform, sondern ein Re-förmchen. Das eigentliche Problem bleibt unangetastet: Der Generationenvertrag, auf dem unser Pensionssystem beruht, wird in spätestens 15 Jahren nicht mehr funktionieren: Die Jungen werden sich weigern, über den Staat die Pensionen der Älteren mitzufinanzieren. Martin Zumtobel, der jüngst seine neue Wirtschaftspartei vorstellte, sagt das ganz offen, und er hat das erklärte Ziel, mit seiner Parteigründung das „wirtschaftliche Denken" in der ÖVP zu fördern. Die ersten „Erfolge" zeichnen sich bereits ab, indem die Vierzigjährigen in der Volkspartei entdecken, daß die Fünfzigjährigen nicht mehr so kreativ sind.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß mit Solidarität bei uns, und in westlichen Gesellschaften überhaupt, kein Staat mehr zu machen ist. Der Pastoraltheologe Paul M. Zulehner kommt in einer Untersuchung über dieses Phänomen zu dem Schluß, daß es zur Zeit in Österreich so gut wie unmöglich ist, eine Politik zu betreiben, die ein beträchtliches Maß an Solidarität voraussetzt. „In parteipolitischer Abwandlung: Mit einer Politik, die belastbare Solidarität erfordert, läßt sich keine Mehrheit gewinnen."

Die Selbstbezogenheit wird immer dominierender und auch das Vertrauen zwischen den Menschen wird immer mehr abgebaut. Jeder muß seine Probleme selbst lösen, Glück und Not werden privatisiert.

Drei Gründe findet Zulehner in seiner Analyse für diese Tendenz zur Entsolidarisierung: Belohnungsstreben, Diesseitigkeit und Autoritarismus. Mit Belohnungsstreben ist der Drang nach materieller und sozialer Belohnung gemeint. Die „angestrengte Diesseitigkeit" äußert sich vor allem in der Überzeugung, daß der Sinn des Lebens darin bestehe, „das Beste dabei herauszuholen". Unter Autoritarismus wird verstanden, „daß Recht der hat, der oben ist". Der Autoritarismus sei allerdings im Niedergang begriffen.

Erstaunlich ist, daß der Mangel an Solidarität bei den Sozialisten am ausgeprägtesten ist: Zulehner kommt aufgrund seiner empirischen Forschungen zu folgendem Schluß, nachzulesen in der Schrift „Solidarität in den Wählervölkem", herausgegeben vom steirischen Dr.-Karl-Kummer-Institut: „Wenn diese Überlegungen stimmen, dann hat die freiheitliche Demokratie nur gemäßigte Chancen zu überleben. Wir werden wählen müssen: Freiheit auf dem Boden belastbarer Solidarität oder Ende der Freiheit. Ob einer Mehrheit die Freiheit so viel wert ist, daß sie sich für die Solidarität entscheiden wird?"

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