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Vom Entstauben zweier Blatter

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Nun sind es zwei Jahre her, seit Karl-Markus Gaufi die sich im Dornrdschenschlaf befindliche Literaturzeitschrift „Literatur und Kritik” wachgekiiBt hat. Und siehe da, die Spinnweben sind zerrissen und die Prinzessin ist zu bliihendem Leben erwacht. Eben-falls Staub gewischt hat das deut-sche Geschichtsmagazin ..Damals”, das nun die Deutsche Ver-lags-Anstalt unter der Regie von Ulrich Frank-Planitz herausgibt.

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Nun sind es zwei Jahre her, seit Karl-Markus Gaufi die sich im Dornrdschenschlaf befindliche Literaturzeitschrift „Literatur und Kritik” wachgekiiBt hat. Und siehe da, die Spinnweben sind zerrissen und die Prinzessin ist zu bliihendem Leben erwacht. Eben-falls Staub gewischt hat das deut-sche Geschichtsmagazin ..Damals”, das nun die Deutsche Ver-lags-Anstalt unter der Regie von Ulrich Frank-Planitz herausgibt.

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Gerade rechtzeitig zum „Griinen Licht aus Briissel” zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Osterreich, von deren Ergebnis sich viele Oster-reicherinnen und Osterreicher „das Ende der GemUflichkeit” erwarten, brachte „Literatur und Kritik” in der Nummer 269/270 ein Dossier zum Thema „Von der Gemiitlichkeit der Osterreicher”.

Kernstiick der Beitrage sind bisher noch unveroffentlichte Aufzeichnun-gen Arthur Schnitzlers, worin sich der von der Wiener Bourgeoisie gerne zum „Salonjuden” umgedeutete Schriftsteller ganz schon ungemut-lich gibt. Zum Gliick ist er schon lange tot, sodaB seine scharfen und treffsicheren Aphorismen von jenen Politikern und Journalisten ungestraft zitiert werden konnen, die er damit angreift. Kostprobe gefallig? „Es gibt dreierlei Arten von Politikern: solche, die das Wasser triiben, solche, die im Triiben fischen, und solche, die das Wasser triiben, um im Triiben zu fischen.” Oder ad me ipsum gespro-chen: „Nullen - man mag sich mit ihnen abfinden, es gibt so viele. Aber eine Null - und frech dazu, das ist der Recensent.”

Kontinuitat hat offensichtlich der „ganz normale Antisemitismus” als Teil der osterreichischen „Gemiitlich-keit” und wird von Schnitzler hier mindestens ebenso entlarvt wie in seinem Stuck „Professor Bernhardi”. Auch der heute wieder aktuelle Kleri-kalismus bleibt nicht ungeschoren: „Wir sollen uns vor Gott beugen? So geht doch erst aus dem Weg, ihr Pfaffen, damit wir besser sehen konnen, woyor wir uns beugen sollen.”

Uber das mehr triigerische als „gol-dene Wiener Herz” berichtet Theo Waldinger in drei Stucken iiber die Wiener Gemiitlichkeit. Pflichtlekture fiir alle, die den Weg Osterreichs in die EG saumen, ist der Beitrag des in Rouen als Universitatsprofessor tati-gen Wieners Felix Kreissler. Folgen-den Satz daraus miiBte man EG-Chef-verhandler Manfred Scheich ins Stammbuch schreiben: „Die servile Bereitschaft, auf alle osterreichischen Notwendig-keiten ohne weiters zu ver-zichten, schadet Osterreich.” Dariiber hinaus bricht der um den Ruf Osterreichs im Aus-land wissende Kreissler eine Lanze fiir die oft als „Nestbe-schmutzer” bezeichneten li-terarischen Osterreich-Be-schimpfer. Erstens, so meint er, habe die Osterreich-Be-schimpfung eine „ruhmrei-che” Tradition, die von Abraham a Santa Clara iiber Charles Sealsfield, Johann Nestroy, Karl Kraus bis zu Thomas Bernhard und Peter Turrini reiche; zweitens sei Osterreich wegen der osterreichischen Realitat, nicht wegen deren literarischer Spiegelungen ins Gerede gekommen.

In die „Ahnengalerie” der Nestbe-schmutzer einreihen konnen sich die weiteren Beitrager dieses Dossiers: Max Blaeulich, Antonio Fian, Erwin Einzinger, Egyd Gstattner und Eduard Falk. Ein Schwerpunkt, den man kei-nesfalls versaumen sollte, ist die Wiir-digung des 90jahrigen Albert Drach (siehe FURCHE 51/1992), die sich in einem hochst aufschluBreichen Interview mit dem Germanisten Karlheinz F. Auckenthaler und einem Essay Drachs zu Buche schlagt.

Geschichte ohne Spinnweben

Eine Reform, wie sie „Literatur und Kritik” zu einer Zeitschrift gemacht hat, an der man nicht mehr vorbeise-hen kann, wenn man am intellektuel-len Diskurs des Landes teilhaben will, hat nun auch die 1969 von Hans Rempel gegriindete historische Zeitschrift „Damals” in Angriff genommen.

Optisch iibertrifft das deutsche Geschichtsmagazin die heimische Literaturgazettebeiweitem. Aberauch die Beitrage sehen gar nicht alt aus, selbst dann nicht, wenn es sich um „Die Frauen von Sparta” handelt. Dieser vergniiglich geschriebene Beitrag zeigt, daB die spartanischen Frauen wesentlich emanzipierter waren als ihre Schwestern in Athen,

Schnitzler als Nestbeschmutzer?

(MoldenVerlag) obwohl auch sie de jure keine Rechte hatten. Siekonnten aber auf grundihrer okonomischen Macht Mannern or-dentlich zusetzen und diirften davon auch Gebrauch gemacht haben.

Der Bogen der Zeitschrift reicht so-mit von der Antike iiber den spatmit-telalterlichen Einfall der Armagna-ken im ElsaB, der Guillotinierung K6-nigs Ludwig XVI., der ihn mehr als seinen Sohn liebenden Schwiegertoch-ter Goethes, der Gefangnisjahre Al-phonse Capones auf Alcatraz bis zu den 41 amerikanischen Prasidenten seit George Washington.

Autoren dieses gar nicht so teuren (Einzelheft 76,- Schilling) Magazins sind renommierte Historiker und Publizisten, etwa Ernst Schulin aus Freiburg oder Peter von Zahn.

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