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Vom Glück, in so einem Land zu leben

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Noch ist der Winter nicht ganz vorbei — aber wer eine Nase hat und in die Zukunft riechen kann, der weiß, wie bald das Mailüfterl wehen wird. Noch kleben Wahlplakate an den Wänden und Säulen, aber neben Werbelächeln und Glückskäfer Leihopa tauchen immer öfter Werbefotos für Traumurlaube auf. Palmen, Inseln, blaue Wellen und immer wieder braungebrannte Körper beiderlei Geschlechts. Im Bikini, mit oben nix, mit unten was — ein Boot, ein Strand — Sonne - Sonne — Sonne! Niemand redet von den Mühen des Massentourismus — von den Scharen der Gehetzten, die hinter einem hochgehaltenen Regenschirm durch Museen und Gassen trotten, vom unerwünschten Doppelzimmer, den mürrischen Kellnern und den Massenabspeisungen in 1-Stern-Lokalen. Nur fort, nur weg — der Sonne entgegen! Wohl dem, der im Sommer seinen Garten hat, einen Meter Ufer an einem Schwimmwasser, ein Flek-kerl Wiese, oder — ein Land, das mehr bietet, als die meisten glauben.

Kennst Du Dein Land, kennst Du Österreich - wenn ja, wie gut kennst Du es, dieses Urlaubsland im Herzen Europas? Ich kenn's, leider zu gut sogar, würden die Travniceks aller Klassen ausrufen, wenn man sie fragte. Aber wer fragt sie schon — sie, die nur dorthin reisen, wohin se des Reisebüro vermiddlt hat. Mich müßte man fragen, denn ich wäre ehrlich genug zu sagen, daß ich mein Land zuwenig kenne — viel zu wenig, um noch alles nachholen zu können in der Zeit, die mir (66!) noch bleibt.

Schade eigentlich, denn ich weiß, wie viele Schätze hier zu bestaunen, zu heben wären.

Natürlich war ich in Salzburg, hab ich doch viele Jahre am Domplatz gespielt und im Landestheater einen Krautkopf dargestellt. (Den von Nestroy, in Otto Schenks Regie, mit Helmut Lohner, nicht einen, wie er am Gemüsemarkt vor der Kollegienkirche feilgeboten wird.) In Zuckmayers Henndorf, wo der kleine Thomas Bernhard bei seinem Großvater im Gärtchen spielte und Stelzhammer dichtete, habe ich gewohnt, am Wallerseeufer im großartigen Wirtshaus Fische genossen und blumigen Wein getrunken — österreichischen natürlich. Auf der Fager-Alm bin ich mit Elisabeth Orth in der Sonne gesessen und habe auf himmlische Potitzen gewartet.

Aber kennt man dadurch auch schon Salzburg und seine Menschen? Nicht mehr, als irgendein Tourist, der Austria in four days macht. Tomaselli, Glockenspiel, Pferdeschwemme, Judengasse, Residenz und Fondachhof. Schluß. Es wäre Zeit, sich Zeit zu nehmen, nach Fuschl zu wandern, nach Wolfgang im Winter, nach Ischl im Sommer. Wandern, sage ich, nicht Auto fahren, denn da siehst nix — gar nix als ein bißl Panorama und lange, gute vielbefahrene Straßen.

Als Bub war ich oft in Ober-traun am Hallstättersee. Ja, das kenn ich — jeden Baum dort, jede Höhle, jeden Weg und jedes Ufer. Das und Sulz in Niederösterreich, das ist mir bekannt. Der Vogelgraben, der Hubertushof, die Wiese, wo die Raslinge wachsen und das Wild im Morgendunst aus dem Gehölz tritt, der Weg zum Füllenberg über Sittendorf. Zyklamen, Buschwindröschen, Herbstzeitlosen — ein duftender Traum im matten Grün. Heiligenkreuz und Mayerling — aber das ist nur ein kleines Stück des mit Schönheit so vollgestopften Niederösterreich. Melk, Dürnstein -es sieht das alles wirklich so aus wie auf den Prospekten.

Aber Schwallenbach — wer kennt das schon? Kirchberg am Wagram, Hadersdorf am Kamp mit seinem Traum-Hauptplatz, von einem einzigen Mann renoviert und bepinselt. Herbst-Laub auf der Erde, knackende Äste, Kastanienkugeln, ein Blitzlicht, nicht mehr. Ich war an der Dobra-Sperre, in Ybbs, im entzückenden Gmünd - in Laa an der Thaya, so knapp an der tschechischen Grenze — aber wie lang — für einen Vortragsabend im Festsaal des Rathauses, für zwei Tage in der mystischen Blockheide anläßlich eines Burgtheatergastspiels — Momentaufnahmen, die Appetit machen, Appetit, der nie zum Heißhunger wurde, weil die Arbeit Bissen für Bissen hinuntergewürgt werden mußte. Leider. Dabei habe ich heute noch den Geschmack des gezuckerten Schlagobers, das ich als Kind in der Meierei am Füllenberg gegessen habe, auf der Zunge. Mit Walderdbeeren, Heidelbeeren, Stachelbeeren — göttlich.

Vis a vis von Zell am See gibt es einen Ort, dort sind meine Eltern meinetwegen mit voller Bekleidung ins Wasser gesprungen. Dort möchte ich noch einmal hin. Einmal möcht ich noch in Gries im Pinzgau durch den Wald spazieren oder nach Rauris pilgern — wann? Man kennt sein Land zuwenig. Am Petersplatz in Rom war ich x-mal, auf der Piazza Navona habe ich viele Kilometer Spaghetti gegessen — in Graz habe ich drei Jahre gelebt — seither war ich öfter in Rom als in Graz.

Dabei hat dieses ehemalige Pensionopolis seine Reize - Reize, die man lange studieren muß und immer wieder sehen sollte. Aber wohin fährt man? Nach Frankreich! Das stolze, schöne Land kenn ich auch gut — in Drobolach am Faaker See war ich mit 65 Jahren zum ersten Mal. Die Karawanken haben mir mit dem Finger gedroht — auf deutsch und slowenisch ! Ein bißl hab ich mich geschämt — aber nur ein bißl, denn mir geht's ja so wie den meisten Österreichern. Tunesien, Israel, Kanarische — nix Bregenzerwald. Waren Sie schon einmal in Da-müls? Nein? Dann wissen Sie nicht, was schön ist. Ich war! Festspiele in Bregenz halt.

Und in Innsbruck war ich engagiert. Die eisernen Manner in der Hof kirche denken heut noch dran. Hall in Tirol, die alte Münz- und Salzstadt. Absam, die Jägerkaserne, der Bettelwurf! Das ist eine Luft. Enzian, Almenrausch, .Steinnelken. Auf die Erde legen und Gras riechen. Da kommt nix mit. Nix auf der Welt.

Wien! Meine Stadt. Mein Herz — nicht nur die Stephanskirche ist Wien, nicht nur die Kerzen bei Maria Pötsch sind Wien. Wien, das ist mehr. Das ist — der Flieder auf dem Heldenplatz, die Rosen im Volksgarten, das Burgtheater und die Oper - die Josef stadt, das kleinste Haus im siebenten Bezirk, Ecke Siebensterngasse—Burggasse, der Renaissancehof in der Bäckerstraße, der Beethoven-Gang, die Raffinerie in Schwechat und der Karl-Marx-Hof, Wien ist Ottakring und Spittelberg, Kapuzinergruft und Ur-banikeller, Wien ist — Klang, Musik, Arbeit und Tränen, Wien ist eine kleine Großstadt, aber keine große Kleinstadt wie Düsseldorf oder gar Bochum! Wien, das ist -auch wenn's die anderen leugnen — Österreich!

Und das kennen wir alle zuwenig. Nicht, weil wir zu faul sind, nein, weil es nur zu selbstverständlich ist. So selbstverständlich, daß wir das Glück, in so einem Land leben zu können, gar nicht begreifen und also nicht genießen. Außerdem sollte man das Land kennen, auf das man immer schimpft. Aber, wer schimpft, der kauft!

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