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Vom „Interforum“ in die „Götterdämmerung44

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Die Idee, den leidigen Mechanismus der Musikwettbewerbe durch etwas Besseres zu ersetzen, ist ohne Zweifel gut. In Ungarn versuchte man kürzlich zum drittenmal — in Zweijahresabstän-den —, dieses Bessere zu finden. Die Initiative nennt sich „Interforum“ und soll jungen Künstlern zum Start ihrer Karriere verhelfen. Erstmals wurde heuer das Unternehmen auch auf Sänger ausgedehnt.

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Die Idee, den leidigen Mechanismus der Musikwettbewerbe durch etwas Besseres zu ersetzen, ist ohne Zweifel gut. In Ungarn versuchte man kürzlich zum drittenmal — in Zweijahresabstän-den —, dieses Bessere zu finden. Die Initiative nennt sich „Interforum“ und soll jungen Künstlern zum Start ihrer Karriere verhelfen. Erstmals wurde heuer das Unternehmen auch auf Sänger ausgedehnt.

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Das Prinzip besteht darin, daß junge konzertreife Künstler ausgiebig ihr eigenes Repertoire zum Vortrag bringen, und somit die Konkurrenz von allen Zufälligkeiten einer aufoktroyierten Programmwahl, der Zeitknappheit und der bei anderen Wettbewerben üblichen Sportatmosphäre befreit wird. Die erste Auswahl, unter ihnen wurde im Rahmen eines Symposiums auf Schloß Esterhäzy (Fertöd)- an der'österreichischen Grenze getroffen. Es folgten zwei bereits vollständig vom Fernsehen übertragene Konzerte in Budapest, in welchen die besten Interpreten ermittelt wurden. Diese traten dann im Schlußkonzert vor die Öffentlichkeit, wobei dann keine Reihung mehr vorgenommen wurde.

Das Funktionieren dieses Systems wird vorläufig noch durch zwei Faktoren behindert: die „Experten“, die aus dem Ausland als Preisrichter ein~ geladen wurden, erwiesen sich als gemischtes Völkchen, unter dem wirkliche Musiker kaum vorhanden waren; und die Tatsache, daß bei den öffentlichen Auswahlkonzerten sowohl das Publikum im Saal wie, mittels Telephon, die Fernseher mitstimmen konnten, ließ für Manipulationen, Sympathien und Antipathien Tür und Tor offen. Zudem schien ein bestimmter Zwang für die Auswahl eines ausgewogenen Pro-grammes im Schlußkonzert zu herrschen. Welchem dieser Faktoren zuzuschreiben war, daß das ganz erstklassige Panocha-Streichquartett aus der CSSR im Finale nicht zum Zuge kam, • kann kaum beurteilt werden. Die bulgarische Sängerin Hristtna Hadjieva war kein vollwertiger Ersatz dafür.

Ganz hervorragend spielte der junge Pianist Andrds Schiff das erste Klavierkonzert von Prokofjew: eine Begabung, die nicht nur Technik und Musikalität, sondern bereits auch jenes Show-Element beherrscht, mit dem man die Massen mitzureißen vermag. Dieses geht dem Moskau-Klaviertrio zwar noch ab; doch bewies es mit dem Tripelkonzert Beethovens und — bei der Auswahl — vor allem mit Brahms delikates Zusammenspiel und Nuancenreichtum; zwar übertreibt es die Subtilitäten, doch steht auch diesen Künstlern die Zukunft offen. Daneben zeigte sich, abgesehen von dem erwähnten Quartett, nur Durchschnitt.

An den Litfaßsäulen sünd die Monatsspielpläne der beiden Budapester Opernhäuser angeschlagen. Sie sind lesenswert. Innerhalb eines einzigen Monats werden da angeboten: sieben Opern von Verdi, vier von Puccini, vier von Mozart, zwei von Monteverdi („Die Krönung der Pop-pea“ und die „Rückkehr des Odys-seus“), und je eine von Wagner („Götterdämmerung“), Strauss („Rosenkavalier“), Händel, Gluck, John Gay („Bettleroper“). Beethoven, Bizet, Mascagni, Leoncavallo, Johann Strauß C.Eledermaus“), Prokofjew („Liebe zu den drei Orangen“) und als zeitgenössisches Werk Szokolays „Samson“ — 28 Opernabende zur Auswahl — das bedeutet wohl ein Maximum an Bildungsangebot

Das Budapester Publikum scheint auch Gebrauch davon zu machen. Zwei als Stichproben gedachte Besuche zeigten volle Häuser, obwohl es sich bei beiden Abenden um überdurchschnittlich anspruchsvolle Werke handelte.

Die Neuinszenierung von Monte-verdis „Rückkehr des Odysseus“ in ungarischer Sprache stellt den der Sprache unkundigen Gast vor nicht zu bewältigende Probleme. Im Vergleich zu der Modellaufführung, die 1971 im Rahmen der Wiener Festwochen durch Nikolaus Harnoncourt geboten worden war, fiel ein gewisser Mangel an Kontrasten auf, der insbesondere dadurch provoziert wurde, daß die Freier der Penelope in Budapest seriös konzipiert waren, während die Wiener Aufführung durch deren Komik aufgelockert worden war. Die Inszenierung stützte sich im wesentlichen auf Projektionen und war vortrefflich vorbereitet. Alte Instrumente, wie sie Harnoncourt zum Einsatz brachte, fanden hier nicht Verwendung, man behalf sich mit modernen Harfen, (elektrisch verstärkten) Cembali, Zupfinstrumenten und dergleichen als Continuo. In diesem Ensemble fiel ein überdimensionales Zymbal auf, dessen Färbung denn doch allzusehr das Lokalkolorit unterstrich. Die Leistungen der Sänger entsprachen, die Regie konnte nicht überzeugen.

Der Inszenierungsstil der „Götterdämmerung“ behilft sich mit einem Minimum an Versatzstücken — Schiffsrippen vergleichbaren Skulpturen, die zu wechselnden Gruppen zusammengestellt werden — und Projektionen. Illusionstheater wird gar nicht erst angestrebt, was als durchaus sympathisch empfunden wird. Man kann sich gut auf die Musik konzentrieren. Dabei wirkt die im relativ kleinen Haus (der Nationaloper) dank der sehr tiefen Placierung des Orchesters erzielte Balance zwischen Sängern und Instrumentalklang insofern günstig, als die erste-ren ohne Kraftakte über das Orchester hinwegkommen. Dieses spielte eher beiläufig. Eszter Koväcs war eine durchaus annehmbare Brunhilde, Sändor Sölyom-Nagy ein bemerkenswerter Gunther, während andere Interpreten, daunter auch der Siegfried von Jönos Csanyi, ihren Partien kaum gerecht werden konnten. Die Notwendigkeit, aus dem kleinen Reservoire der ungarischen Sängerschaft schöpfen zu müssen — nur ganz selten gastieren Ausländer —, wirkt sich bei der Besetzung von extremen Partien aus. Immerhin belehrten Künstler wie Sändor Töth, der den Alberich sang, daß mit persönlichem Einsatz und Rollenverständnis mehr zu erreichen ist als viele seiner Kollegen an diesem Abend boten. Wagners anspruchsvolles Werk ging in einer Qualität über die Bühne, die das Unternehmen zumindest rechtfertigte. Vergleiche mit Wien und Bayreuth müssen nicht unbedingt gezogen werden, und lagen ja wohl auch außerhalb aller Absichten.

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