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Vom Kultbau zum Gemeindezentrum

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Vielfältige Anlässe und Arten des Feierns in den Gemeinden bedürfen entsprechend gegliederter Kirchenräume. In unseren Kirchen fehlt heute oft diese Differenzierung.

In diesem Jahr wurde mit verschiedenen Veranstaltungen des 100. Geburtstags von Pius Parsch gedacht. Der Augustiner-Chorherr von Klosterneuburg, den wir als Erneuerer des Liturgieverstehens und der Liturgiebeteiligung kennen, hat von Beginn an auf die Konsequenzen für einen neuen Kirchenbau und für eine neue Kirchenkunst hingewiesen. Er zeigte selbst in St. Gertrud in Klosterneuburg, daß für eine lebendigere Liturgie räumliche Voraussetzungen erst zu schaffen sind, denn Liturgie als Vollzug und Teilnahme braucht ihren Entfaltungsraum und die auseinanderliegenden Orte zur entfalteten Darstellung der liturgischen Vorgänge.

Im Jubiläumsheft der Zeitschrift „Bibel und Liturgie" ist unter den ausgewählten Aufsätzen von Pius Parsch auch ein Beitrag aus dem Jahr 1939 über die Idee des Gotteshauses. Kirche ist für ihn „Gebrauchsgegenstand", Ort der Versammlung und Darstellung der Verbundenheit kirchlicher Gemeinde mit Christus. Auch für uns heute sind seine Ausführungen noch aktuell, treffen sie doch unser schwieriges Bemühen, die gebaute Kirche als Pastorales Werkzeug und als Zeichen für Kirche in gleicher Weise zu verstehen, einzurichten und zu gebrauchen.

Etwa zur gleichen Zeit erarbeiteten in Deutschland Romano Guardini, Heinrich Kahlefeld, Rudolf Schwarz und andere auf Burg Rothenfels am Main Konzepte für geeignetere Versammlungsräume für den Gottesdienst und das Zusammensein in der Gemeinde. Die Zeitschrift „Schildgenossen" hat dazu 1936/37 die aktuelle Fragestellung formuliert:

„Anstelle eines wirklichen .Wohnens im Hause Gottes' mit seinen verschiedenen Weisen des feierlichen oder innigen Durchlebens tritt ein oft weniger berührtes und gleichförmiges Anwesendsein, und eine gefährliche Eintönigkeit bedroht das Leben im Kirchenraum..."

Daraus ergeben sich die Fragen, „einmal: wie kann man das gottesdienstliche Tun reicher entwickeln, indem man die einzelnen Vorgänge in ihm sinngemäß versteht und gestaltet? Zum anderen: wie kann man die verschiedenen Raummöglichkeiten der Kirche besser ausnützen, indem man sie für die verschiedenen Bedürfnisse des Gottesdienstes und der Gemeinde einsetzt?"

Ein halbes Jahrhundert später sprechen diese Sätze heute das Problem unserer Liturgie und unsere Kirchenräume betreffend so voller Dringlichkeit an, daß es überrascht und beschämt. Mit der elementaren Frage nach der Christusbeziehung in diesen Räumen und nach der Brauchbarkeit und mit der Besinnung auf die differenzierte Innenhaftigkeit der Kirche als „Haus" sind auch für uns heute unverzichtbare Grundlagen des Kirchenbauens wieder in Erinnerung gebracht.

Wir haben mit der Lösung dieser Aufgabe noch kaum ernsthaft begonnen. Die Aufgabenstellung hat sich allerdings mittlerweile auch über die Perspektiven des Liturgieraums hinaus zugespitzt und konkretisiert. Liturgie setzt viel voraus an Zusammenfinden, Vorbereiten und Einüben und umfaßt seit alters her auch ihre Erarbeitung, die alten Formen von Bibellesung, Homilie und Unterweisung werden heute bis in Gruppendynamik und szenische Gestaltung hinein erweitert. Auch die Formen der Diakonie haben sich gewandelt und führen zu verschiedenen, je nach Situation erforderlichen Arten des Engagements. Das hat auch Folgen für die Anforderungen an die Räume der Kirche.

Die Aufgaben der „Kirche" können heute mit dem Konzept des einen Kirchenraums nicht mehr erfüllt werden. Zu unterschiedlich sind die Größenordnungen zwischen Festtagsgemeinde und Kleingruppenarbeit, die Formen des Feierns, die Altersgruppen mit ihren spezifischen Erwartungen an Veranstaltungen und Raumcharakter.

Man besinnt sich wieder der Tatsache, daß Ausgrabungsfelder mit Resten frühchristlicher und mittelalterlicher Kirchenanlagen oft eine Gruppe verschiedener Kirchen und Nebengebäude in einem Kirchenbezirk zeigen, auch bei sehr einfachen Anlagen. Man erinnert sich, daß vor Abtragung der Lettner und Einbauten um 1800 auch Großkirchen und Kathedralen, die uns als ein Hallenraum vertraut sind, früher einen Bezirk unterschiedlicher Kirchen für verschiedene Anlässe, Personenkreise und Stände unter einem Dach vereinigten.

Die Vereinheitlichung mit dem Hochaltar im Scheitel des Chors ist meist erst in der Restauration nach Napoleon durchgedrungen. Die Art, wie Georg Dehio die kirchlichen Baudenkmäler dokumentierte, hat dann diese Vorstellung von Ausrichtung, Achsialität und Einheitlichkeit des Raums verabsolutiert und zum Leitbild für Neubauten werden lassen. So wurde auch restauriert, wenn Neuordnungen zur Diskussion standen.

Edgar Lehmann hat 1952 den Begriff der Kirchenfamilie als geschichtlichen Befund wieder ins Gespräch gebracht. Die eine Familie von Kirchen umfassende Kirche entspricht von der Tradition her der in den sechziger Jahren formulierten Notwendigkeit, Kirche als Bautenkomplex und Raumgruppe zu bestimmen. Die Vernachlässigung der Nebenräume, die inzwischen zum Haupterfordernis wurden, haben Pastoralgremien verschiedentlich kritisiert. Konzepte für Raumgruppen und für die so wesentliche Struktur der Beziehungen und Ubergänge zwischen den Räumen wurden erarbeitet, aber nur selten beachtet.

Auch in alten und neueren Großkirchen setzte nun die Artikulierung sinnvoller Einzelbereiche und fallweise erforderlicher Raumabteilungen in dem Maße ein als die Lebensvorgänge sich intensivierten und differenzierten. Die Mehrraumkirche und die Mehrbereichskirche ist heute die von der Seelsorge geforderte Form des Kirchenraums und damit des Kirchenbau- und Einrichtungsprogramms.

Der Autor ist Leiter des Institutes für Sakrale Kunst an der Akademie der bildenden Künste in Wien.

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