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Vom Nebeneinander zum Miteinander

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Hätte sich bis vor kurzem jemand für das Thema „Kirchen und FPÖ" interessiert, er hätte Schwierigkeiten gehabt, Wesentliches aus der politischen Praxis zu erfahren.

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Hätte sich bis vor kurzem jemand für das Thema „Kirchen und FPÖ" interessiert, er hätte Schwierigkeiten gehabt, Wesentliches aus der politischen Praxis zu erfahren.

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Obwohl auch heute auf offizieller Ebene noch relativ wenig konkrete Ereignisse das Verhältnis zwischen den Kirchen und der FPÖ prägen, so betonen dennoch sowohl die Kirchen als auch die FPÖ ihre gegenseitige, weitgehend problemlose Gesprächsbereitschaft und -f ähigkeit.

Tatsächlich regen sich aber seit Anfang der achtziger Jahre in der FPÖ intern sowohl katholische wie auch protestantische SelbstOrganisationsansätze. Seit 1981 bemüht sich eine katholische und seit 1982 eine evangelische Arbeitsgemeinschaft in der FPÖ, um die religiösen Positionen in der FPÖ deutlicher hervortreten zu lassen, mit dem Ziel, mit den Kirchen in eine intensivere Gesprächsbeziehung zu kommen.

Daß eine hinreichende Basis für diese Arbeitskreise in der FPÖ besteht, geht auch aus einer IMAS-Umfrage vom Oktober 1981 hervor. Danach sind immerhin 15 Prozent der FPÖ-Anhänger regelmäßige, 29 Prozent gelegentliche und weitere 34 Prozent seltene Kirchengänger; nur 22 Prozent der FPÖ-Anhänger besuchen die Kirche nie.

Nach dem Zweiten Weltkrieg finden wir zuerst im Verband der Unabhängigen (VdU) ein Bekenntnis zu den sittlichen Grundsätzen wahren Christentums bei Ablehnung des Mißbrauches der Religion zu politischen Zwecken.

Nach der Uberleitung des VdU in die FPÖ finden sich vorerst überhapt keine zur Kirche oder Religion direkt bezugnehmenden programmatischen Aussagen. Die 1958 beschlossenen Erläuterungen zum Programm der FPÖ enthalten lediglich eine Aussage hinsichtlich kirchlicher Schulen, deren Errichtung zwar weiterhin möglich sein soll, die jedoch keinen Anspruch auf Unterstützung aus öffentlichen Mitteln besitzen sollen.

Konkrete Aussagen finden sich erst wieder im „Freiheitlichen Manifest zur Gesellschaftspolitik", das die Freiheit des Menschen, sich religiösen Autoritäten von sich aus unterzuordnen, beinhaltet. Konnte man bis 1973 mangels positiver Aussagen eine latente Kirchenfeindlichkeit der FPÖ vermuten, so trifft dies jedenfalls seit diesem Manifest mit Sicherheit nicht mehr zu.

Es ist jedoch nicht damit abgetan, einen versöhnlichen Schluß der geschichtlichen Beziehungen zwischen Kirche (zumal der katholischen) und Freiheitlicher Partei zu konstatieren.

Um von einem das Verhältnis in der 2. Republik prägenden problemarmen, aber beziehungslosen Nebeneinander zu einem befruchtenden Miteinander zu gelangen, bedarf es — ganz im Sinne der eingangs erwähnten Arbeitskreise — eines Verhältnisses, das nicht nur institutionell bereinigt, sondern auch inhaltlich neu durchdacht ist.

Resümierend läßt sich dabei feststellen, daß die Unvermeidlichkeit des Konfliktes zwischen Kirche und Liberalismus im 19. Jahrhundert — neben seiner ta-ges- und gesellschaftspolitischen Bedingtheit — vor allem aus einer beiderseitigen Uberspannung der Ansprüche resultierte:

Weder widerstand die Kirche der Versuchung, Glaubensinhalte — gleichsam als eine Art „Ideologieersatz" — zur verpflichtenden Richtschnur auch zeitlich bedingten politischen Handelns zu erheben, noch verzichtete der Liberalismus darauf, ein rationalistischmechanistisches Weltbild zuweilen als „Ersatzreligion" zu propagieren.

Inzwischen dürfte gerade die oft inflationäre Ausmaße annehmende Erweiterung unseres Wissens selbst dem kritischen Rationalisten die Augen geöffnet haben, auch über die Grenzen unseres Wissens nachzudenken, während auf der anderen Seite sich wohl die Erkenntnis durchgesetzt hat, daß eine allzu enge Verbindung von Kirche und Staat bzw. Kirche und Politik das eigentliche Anliegen der Glaubensverkündigung durchaus auch zu kompromittieren imstande sei.

Die Zukunft des Verhältnisses von Politik und Kirche — und somit auch des Verhältnisses einer bestimmten Glaubensgemeinschaft zu einer bestimmten politischen Partei — dürfte deshalb wohl kaum in der Richtung eines möglichst perfekt zu organisierenden Parallelismus liegen, denn dazu sind ihre Aufgaben zu verschieden, sondern in einer bewußten Anerkennung ihrer getrennten Funktionen.

Man hat von katholischer Seite zuweilen eine Unterscheidung zu treffen versucht zwischen einem individualistischen Liberalismus, der als rein negativ betrachtet wurde, als bloße „Freiheit wovon", als Schritt auf dem Weg in eine totale Bindungslosigkeit und einer — wie das Schlagwort lautet — „atomisierte Gesellschaft"; diesem wurde der auch von der Kirche gutgeheißene sogenannte per-sonalistische Liberalismus gegenübergestellt, die „Freiheit wozu", die freiwillig eingegangenen Bindungen des Menschen nicht nur anerkennt, sondern bejaht und seine sozialen Verpflichtungen betont.

Es erscheint demgegenüber jedoch wesentlich zu betonen, daß \ auch diese beiden Konzepte in keinem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen, sondern der gegenseitigen Ergänzung bedürfen.

Freiheit ohne Verantwortung ist auch nach liberaler Vorstellung nicht denkbar, nur daß sich der Liberalismus nicht untersteht, dem einzelnen diese Verantwortung abnehmen zu wollen.

Genau hier aber vermag die Aufgabe der Kirche einzusetzen, nicht indem sie dem einzelnen vorschreibt, wie er seinen Lebensweg zu gestalten hat, sondern indem sie ihm das Angebot macht, ihm bei der Bewältigung seiner Probleme zur Seite zu stehen.

In diesem Sinne könnte eine verstärkte wechselseitige Auseinandersetzung zwischen dem kirchlichen und dem liberalen Lager durchaus dazu beitragen, ein zu beobachtendes Ideologiedefizit dem Marxismus und der Neuen Linken gegenüber in der öffentlichen Diskussion wettzumachen.

Da ja beide Gesellschaftstheorien die Würde und das Wohlergehen des singulären Menschen und nicht des Kollektivs in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen und Überlegungen stellen, könnte in der Frage der praktischen politischen Zusammenarbeit bis auf einige, dann aber doch essentielle Reibungspunkte, wie etwa die Frage der gesetzlichen Regelung der Abtreibung, ein durchaus fruchtbarer Weg der Zusammenarbeit gefunden werden.

Die Basis dieser Zusammenarbeit, ideologisch wie auch praktisch, von Kirche beziehungsweise Vertretern der christlichen Soziallehre und Liberalen, von per-sonalistischem und individualistischem Freiheitsbegriff, ist im elementaren und tatsächlich gravierendem Widerspruch beider Lehren zu totalitären, antiliberalen und kollektivistischen Ideen und Staatsformen beziehungsweise wirtschaftspolitischen Vorstellungen und Sozialordnungen sicherlich gegeben.

Der Autor ist Bundesminister für Landesverteidigung und Vorsitzender des Arbeitskreises „Protestanten in der FPO". Der Beitrag ist ein Vorabdruck aus einem Aufsatz in: ÖSTERREICHISCHES JAHRBUCH '83 FÜR POLITIK. Hrsg. Khol/Stirnemann, Olden-bourg und Verlag für Geschichte und Politik. München/Wien 1984.

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