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Vom phonetischen Fremdgehen

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Als der amerikanische Kardinal Gibbons vor etwa hundert Jahren von einem Ad-Ii-mina-Besuch aus Rom zurückkehrte und ihn Reporter im New Yorker Hafen zweifelnd fragten, ob er denn wirklich an die päpstliche Unfehlbarkeit Vignette Erwin Bracher glaube, antwortete ihnen der Kirchenfürst listig blinzelnd: „Ich weiß meine Herren, worauf sie hinauswollen. Nun ja, ich muß gestehen: der Heilige Vater nannte mich Dshibbons."

Da muß man aber gleich hinzusetzen, daß kürzlich in der von unserem Fernsehen ausgestrahlten Filmserie „Die Stadt der Verlorenen" die nette alte Köchin als Mrs. Dshilchrist und nicht als Gilchrist figurierte. Mit von weither gekommenen Namen und Fremdworten steht so mancher von uns auf Kriegsfuß. Und daher sollte gerade unser Rundfunk sehr darauf bedacht sein, uns phonetisch eine fehlerfreie Quelle der Information zu sein.

Bei wirklich exotischen Worten holt sich der ORF zumeist Rat von Experten ein. Doch bei angeblich wohlbekannten Worten oder oft gehörten fremden Namen wird er nur zu oft achtlos.

Das trifft vor allem bei zwei Sprachen zu, der französischen und der englischen. Dabei werden französische Worte nicht nur vom ORF, sondern von den allermeisten unserer lieben Mitbürger mit beispielloser Ehrfurcht behandelt, als ob sie zarte Pflänzchen wären, die man in Watte einwickeln müßte, und man die Eleganz der großen französischen Kultursprache durch außerordentliche „Fojnheit", Gedämpftheit und säuselnde Noblesse zu unterstreichen habe.

Kein Wunder, da selbst manche die gutdeutschen Plurale „Professoren"

oder „Diskussionen" nur zu oft so aussprechen, daß man glauben müßte, der Zusammenprall zwischen den beiden „S" führe zu einem schwingenden Summerton, wie man ihn von Gelsen in schwülen Sommernächten vernimmt.

Kein Wunder, daß auch „Ressort" an analogem Defekt leidet und natürlich erst ein Wort wie „Ensemble". Sehr mit Unrecht! Im Toussaint-Langenscheidt zeigt die Umschrift deutlich ein scharfes „S".

Auch das französische „Ch", das wie unser ,, Sch" ausgesprochen werden sollte, erleidet ein ähnliches, nicht weniger grausames Schicksal. So wollen viele sich „revanshieren", wobei man den Eindruck bekommt, daß hier das „Ch" mindestens einen Tag lang in einer Kasserolle mit Rotkraut gedünstet, daß es schließlich so weich, so welk, so lahm, so milde wie das „G" in „arrangieren" wurde. (Aber „Revanchisten" - das sind doch ganz harte militaristisch-faschistisch-imperialistische Bösewichte! Da zischt das „Sch" ganz außerordentlich!)

Natürlich steht es da nicht besser mit der „Broschüre", dem Gaullisten Shirac und selbst mit dem iranischen Shah.

Den Vogel schoß kürzlich eine ORF-Sprecherin ab, die Chanson so aussprach, als ob es im Französischen wie Jean-Zon geschrieben werden würde. Aber das „Ch" soll nicht wie „sh", sondern wie „Sch" in „Schurke", und das „s" wie in „Saufbold" ausgesprochen werden. Das französische ist schließlich nicht nur die Sprache der an Tuberkulose sterbenden Mimi mit interessanter Blässe in der Boheme, sondern auch das Idiom brutaler Sergeanten in der Grande Armee…

Wir verwenden hier - der Leser wird es schon erraten haben - das „Sh" etwas willkürlich für den Laut, der am Anfang des Wortes „Journal" steht. Doch da gibt es eine fürchterliche Rache: das Journal wird oft genug zu einem Schornahl und außerdem „basiert" - ich meine: passiert - noch etwas anderes: die „Chance" wird völlig verkrüppelt, entstellt, kastriert, verstüm-

melt, verzerrt und wird zur Schangse, wobei das französische „C" ein kaum hörbarer, leicht vibrierender Zirplaut wird.

Und aus dem „genieren" wird sche-nieren, wenn nicht substantivisch im Wienerischen „der Schenierer". Man tut sich eben „keinen Schenierer" an.

Diese brutalen Verhärtungen wiegen dann alle Verweichungsprozesse auf, wie zum Beispiel im „Reisenecessaire", daß dann zum völlig aufgeweichten „Reisenesesähr" wird. In diesem Wort wird das „C" nicht weniger als das Doppel-S butterweich, bis zur Unkenntlichkeit gesotten.

Hingegen reimt sich der Schandarm auf den Dickdarm, den Dünndarm und den Blinddarm, aber daran sind wir ja längst gewöhnt.

Schuld an diesen Entstellungen war zum Teil auch der Adolf aus Braunau, dem so vieles „indresand" war und der auch vom „Schargohn" und vom „Ma-drijahl" sprach. Freilich, beim Wort Material muß man wirklich ein bißchen pedantisch sein und aufpassen. Auch „Amriganer" klingt nicht schön.

Nun, das Englische wuchert^seit 1945 ganz gefährlich in unsere Sprache herein und die Verwirrungen, die durch seine irrationale Orthographie und erratische Aussprache verursacht wird, kann manchmal katastrophale Formen annehmen.

Schon als Kind hörte ich am Tennisplatz von „Forty-Löf reden als auch vom „Döbbl", von den Tschömpers, die man heute Pulli nennt, von den Pomps und den Pösls.

Vielleicht hat man vor 100 oder 150 Jahren in England wirklich das U zumeist wie ein ö ausgesprochen und dieses archaiische Gouvernantenenglisch des vorigen Jahrhunderts hat sich bei uns so nett konserviert, aber die britische Phonetik hat sich eben schon längst gewandelt.

Doch nicht nur das „U", sondern auch der englische „Dsh"-Laut bildet bei uns ein leidvölles Problem. Aus Carters Vornamen wurde ein Tschimmi, aus dem Düsenflugzeug ein

Tschett und aus dem Öffentlichkeitsbild ein Immätsch. Von der Stprri über die im Streß frustrierten Tihnätschers, die im Yous-Zenter ihre Stehtments machen, wollen wir lieber gar nicht reden.

Auch nicht von amerikanischen Stadt- und Staatsnamen: Chicago, Michigan, Illinois, Seattle, Connecticut, Sioux City, Tucson und Arkansas werden wie Schikago, Mischigän, Illinoj, Si-ättl, Konnedikat, Suh-Ssitti, Tuh-sön und Arkansah ausgesprochen. (Doch Kansas ist Kansas. Und City muß mit einem ganz scharfen S ausgesprochen werden.)

Das kapitalste aller kapitalen Probleme bietet aber das Englische mit seinem teuflischen „Th". Das macht sich ganz besonders bei den Namen von Politikern bemerkbar. Einmal dachte ich schon, daß die angesehene Wiener Firma Hieß in die britische Politik eingestiegen war, aber es handelte sich dabei um Edward Heath.

Nun aber scheint als Premierminister eine Frau Sätscher zu fungieren. Natürlich ist das „Th" nicht leicht zu reproduzieren, und am besten wäre es, für Berichterstatter über die britische Szene Männer oder Frauen mit einer schweren Glossitis und abgefeilten Schneidezähnen (Pubertätsriten am oberen Ubangi!) anzustellen. Doch das ist leichter gesagt als getan!

Wenigstens leiden wir in Österreich nicht an phonetischen Ungeheuerlichkeiten wie Betong, Paviljong und Re-staurang - was zum Teil auch der schwedischen Rechtschreibung entspricht. Tasse, Essen oder Masse mit patzweichen, tremolierendem „S" zu sagen oder gar „nach oben" anstatt „hinauf zu gehen ist nicht ein Gebrechen der Alpen- und Donaugaue.

Dafür aber haben wir den Rufder fa-natisierten Menge nach dem „Entsch-purt" in der letzten Phase eines Fußballspiels. In diesem Fall soll es aber wirklich wie „Endßpört" lauten und da kommt auf einmal das „ö" im Englischen ganz plötzlich und dämonisch zu unverhoffter Geltung.

Womit wir unsere ausgesprochen aussprachliche Betrachtung mit einem wahren Endspurt beendet haben.

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