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Vom Ritual zur Realität

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Grundsätzlich lassen sich vier alternative Entwicklungsvarianten der Zukunft des österreichischen Parteiensystems postulieren: Stabilität und Anpassung, Erosion, systemimmanenter Bruch und schließlich Zusammenbruch.

Ohne Zweifel weisen die Ergebnisse unserer Analysen darauf hin, daß die erste Variante die größte Wahrscheinlichkeit für sich hat, jedenfalls bei einigerma-

ßen stabilen Rahmenbedingungen. Das bestehende Parteiensystem erscheint durch derartig intensive, subjektive Loyalitäten und objektive Faktoren wie rechtliche Hürden, finanzielle Gegebenheiten und politische Verflechtungen abgesichert, daß grundsätzliche Änderungen eher viel unwahrscheinlicher erscheinen, als das eine oberflächliche Parteienkritik oft annimmt.

Damit soll nicht behauptet werden, daß diese Kritik nicht ernst zu nehmen wäre. Es liegt ja gerade eine der Stärken des österreichischen Parteiensystems darin, daß, wie wiederholt gezeigt wurde, sein Wandel stets in erfolgreicher Anpassung an geänderte soziale Strukturen und politische Meinungen bestanden hat. Und diese Anpassungsfähigkeit könnte in Zukunft eher noch notwendiger werden.

Verschlechtern sich nämlich entscheidende Rahmenbedingungen, insbesondere die wirtschaftliche Entwicklung, die internationale Lage oder kommt es im Zusammenhang damit zu einer Radikalisierung politischer Meinungen, könnte entweder die Erosion des Parteiensystems durch das Entstehen neuer Parteien, etwa auf der Basis der Alternativbewegungen, oder, insbesondere in Perioden intensiver politischer Krisen, ein Bruch durch den Zerfall einer der Großparteien zumindest theoretisch denkbar werden. Es ist nicht zu übersehen, daß die europäischen Nationen in jüngster Zeit Beispiele für derartige Entwicklungen bieten.

Die Möglichkeit eines Zusammenbrechens des Parteiensystems hingegen erscheint von der gegenwärtigen Position aus höchst unwahrscheinlich. Einer derartigen Entwicklung würde eine Krisenperiode vorausgehen, die durch viele Warnsignale gekennzeichnet wäre.

Dennoch sollten Demokraten sich nie allzusehr in Sicherheit wiegen, nicht in einem Land, in dem es einerseits einmal zu einem Zusammenbruch der parlamentarischen Demokratie gekommen ist und in dem andererseits noch immer ein Viertel der Bevölkerung einen „starken Mann an der Spitze“ für zweckmäßiger hält als eine parlamentarische Regierungsform.

In der Kontinuität und Stabilität des österreichischen Parteiensystems liegt seine Stärke, freilich nur, wenn diese wie bisher mit der Fähigkeit gekoppelt ist, zu lernen und sich an geänderte Bedingungen anzupassen. Es ist dabei denkbar, daß sich die gegenwärtige Anpassung durch eine sich tendenziell verselbständigende mediale Werbe- und Meinungspolitik als Uberanpassung erweisen könnte.

Sie impliziert eine Unterschätzung des Bürgers, dessen Interes se an politischer Teilnahme und Ernsthaftigkeit des politischen Geschehens nicht zuletzt auf Grund des sich verbessernden Bildungs- und Informationsstandes für nicht zu gering gehalten werden sollte.

Aus dieser Perspektive legen Untersuchungen drei Forderungen zur Parteienreform nahe, die abschließend thesenhaft formuliert seien: 1. Realität statt Ritual: Die Parteien müßten versuchen, aus dem Teufelskreis der Meinungspolitik auszubrechen. Die ritualisierte Show der medialen Politik, die den Bürger zum Konsumenten degradiert, sollte durch Formen seriöser realistischer Kommunikation ersetzt werden. Die Parteien könnten sich diesbezüglich wieder auf die ursprünglichen Aufgaben ihrer Unterorganisationen besinnen und damit auch selbst zu Bürgerinitiativen und Alternativbewegungen werden …

2. Politik statt Patronage: Nichts hat dem Ansehen der Parteien und der Politik insgesamt so geschadet wie die Korrubtionsf alle der letzten Jahre. Selbst wenn dies etwas naiv klingen mag, stellt sich doch die Frage, ob die weitgehende Durchdringung staatlicher und wirtschaftlicher Bereiche mit Parteieneinfluß wirklich unvermeidlich ist. Wäre es nicht sinnvoller, die Parteisekretariate würden sich mehr auf Politikformulierung als auf Postenvermittlung konzentrieren?

3. Konflikt statt Konkordanz: Es ist ein aus der Geschichte ererbtes Element der politischen Kultur Österreichs, daß hierzulande Konflikten aus dem Wege gegangen wird. Gerade in praktizierter innerparteilicher Demokratie sind diese aber unumgänglich. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß die Wähler Parteien, in denen ehrliche Auseinandersetzungen stattfinden, eher trauen als solchen, die mühsam die Parteigeschlossenheit nach außen hin aufrechterhalten.

Die Konflikte austragen

Was für die innerparteiliche Auseinandersetzung zutrif f t, sollte auch für das Verhältnis zwischen den Parteien gelten. Mehr Auseinandersetzungen, dabei aber auch mehr Toleranz für abweichende Meinungen in der Politik wären nicht zuletzt aus psy- chohygienischen Gründen in einem Land, in dem Konflikte häufig internalisiert werden, anstreben s wert.

Natürlich stellen die in diesen Thesen implizit kritisierten Merkmale und Tendenzen des Parteisystems keine zufälligen Mißentwicklungen dar. Sie entsprechen einer Logik von Interessendurchsetzungen, die letztlich auf ein Politikmodell zurückzuführen ist, in dem partizipatori- sche Demokratie keinen hohen Stellenwert einnimmt.

Es fragt sich aber, ob trotz des vorhersehbaren Widerstandes der daraus Vorteile ziehenden Interessen die Anpassungs- und Lernfähigkeit der Parteien nicht in die Richtung der hier vorgeschlagenen Reformen gelenkt werden sollte.

Der Autor ist Vorstand des Institutes für Politikwissenschaft der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Der Beitrag zitiert auszugsweise: ÖSTERREICHS PARTEIEN SEIT 1945. Zwischen Koalition und Konkurrenz. Hrsg, von Peter Gerlich/Wolfgang C. Müller. W. Braumüller-Verlag, Wien 1983.388 Seiten, kart., öS 248.-.

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