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Vom Traum zum Kunstwerk

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Vielleicht in der Freiwilligkeit! Pater Kolbe ließ sich bekanntlich freiwillig zum Hungertod verurteilen, an Stelle eines Todeskandidaten. Er wollte mit seinem Leben ein Leben retten, das er für wertvoller hielt. Er durchlebte wie zahllose andere die Entwürdigung des Menschen zur Nummer. 16.670... 16.669 vor ihm, hunderttausende nach ihm... Und er bezwang die Nummer und wandelte sie mit seinem Geist und seiner Liebe zum Symbol der Bewältigung einer unbewältigten Vergangenheit. Der spätere Pater Guardian von Niepo-kalanow sagte: „Hätte Kolbe anders gehandelt, wir würden es nicht verstehen.“ So sehr war sein Hungertod mit all seinen vorangegangenen Martyrien Substanz seines Lebens in Gott. Hier setzte sich der Fluß der Kirche Christi fort: der Geist des heiligen Franziskus — sein Friedensgebet — sein Sonnengesang, der Auftrag der Immaculata an Bernadette in Lourdes bis hin zum lebendigen Zeugnis des polnischen Franziskanerpaters. Nach den langen Qualen des Hungers mordete man ihn mittels einer Spritze Phenol. Sein Leichnam wurde am Feste Maria Himmelfahrt 1941 im Feuerofen von Ausch-

wi'tz verbrannt, seine Asche mit der von verbrannten Juden, Christen, Atheisten, Zigeunern, Kommunisten in alle Winde zerstreut.

So erfüllte sich auch dieser Wunsch des Paters im buchstäblichen Sinne. Nicht jedoch die Asche verbrannter Körper, sondern die weiterbrennende und weiterwirkende Liebe jener Verbrannten eint. Der ohnmächtige Ruf Uberlebender: „Niemals vergessen und nicht vergeben 1“ wird bewältigt durch das Verzeihen und durch die Liebe des Opfers selbst, Wenn wir Uberlebenden nicht verzeihen, schmälern wir das Opfer der Gemordeten. So wurde Pater Maximilian Maria Kolbe, um nicht vergessen zu werden, zur Höhe der Altäre erhoben. Vergeben? Er hatte nichts zu vergeben, denn er betete für die Verfolger — ein Seliger, denn er wurde verfolgt um der Gerechtigkeit willen. Doch wurde er nicht als Märtyrer seliggesprochen. Für ein ganzes Leben in Heiligkeit war sein Hungertod die logische Vollendung.

Drei Tage verbrachte ich in den Konzentrationslagern von Auschwitz. Sperrte mich in den Hungerbunker ein, betete und bat um Gestaltungskraft für meinen Auftrag. Ich weinte an den Verbrennungsöfen von Auschwitz 1, sann nach über all die Niederungen menschlich-satanischen Wütens, stand fassungslos vor den isolierten Stacheldrahtzäunen, den Galgen, den Erstickungszellen, dem Erschießungsstand im Hofe des Todesblockes 11. Menschliche Unmenschlichkeiten, die sich in Auschwitz 2/ Birkenau zur völligen Entmenschlichung steigerten. Vergasung, maschinell betrieben, von tausenden.. Verbrennungskapazität pro 24 Stunden in den Krematorien: mehr als 4000 Leichen. Seen und Tümpel voller Menschenasche ... Gras, grün durch Menschenasche als Dünger.

Hier erhält man eine Ahnung von der Grenzenlosigkeit der Barmherzigkeit Gottes im Vergeben, wenn der Schuldige bereut:

„Wohlan, wir wollen miteinander rechten!“ spricht Jahwe. „Sind eure Sünden auch wie Scharlach, sie sollen weiß werden wie Schnee; sind sie auch rot wie Purpur, sie sollen weiß werden wie Wolle“ (Is 1, 18).

Diese Ahnung gab mir die Krafc, in einer Schaffensperiode von sechs Tagen diese 38 m2 große Kapelle als Schwarz-weiß-rot-Sgrafflto fertigzustellen. Während meiner Arbeitszeit beteten die Patres und Brüder in Niepokalanow für das Gelingen des Denkmals. So wurde erneut ein Band der Liebe über alles Trennende hinweg geschaffen. Die Saat der Liebe, gesät in Auschwitz, möge in uns aufgehen.

Die Rolle des Traumes als Quelle künstlerischen Schaffens ist meines Wissens noch nicht rein sachlich behandelt worden, sicherlich nicht von schöpferischen Menschen selbst. Dies vor allem wohl darum, weil diese Menschen — Poe war eine große und herrliche Ausnahme — entweder aus Mangel an Selbstbeobachtung oder aus Eitelkeit (zwecks eindruckmehrender Verhüllung des Schaffensgeheimnisses) im allgemeinen über die äußeren Quellen ihres Schaffens zu schweigen lieben.

Ich weiß nicht, ob künstlerisches Schaffen immer auf ungewolltem innerem Schauen beruht, wie Träume ein solches am unzweideutigsten darstellen. Doch weiß ich, daß das Schaffen zum Beispiel des bedeutenden Graphikers Alfred Kubin zu einem großen Teil — auch ihm selbst bewußt — auf Traumvorstellungen beruhte, was mir auch von den Werken Größerer, etwa Hieronymus Bosch und Goya und Ensor, sicher scheint. Von mir selber weiß ich aus 45 Jahren schaffender Tätigkeit als Dichter und Maler, daß sehr viele meiner Werke auf Traumgesichte und Traumerlebnisse zurückgehen, wobei aber die klare Erinnerung beim Übergang vom Schlaf in den Wachzustand in den weitaus meisten Fällen verloren ging und tief im Meere des Unbewußten versank.

Solcherart kann ich nur von wenigen meiner Schöpfungen mit Sicherheit sagen, daß sie auf Träumen beruhen. Ich weiß, daß viele Einzelverse mir wohl beim Erwachen noch im Gedächtnis hafteten, aber sich binnen kurzem daraus verloren, wenn auch manche später einmal, während der dichterischen Arbeit, mir unbewußt wieder aufgetaucht sein und einien Platz in der betreffenden Dichtung gefunden haben mögen. Meine umfangreiche Novelle „Die Katastrophe“ beruht mit ihrem Kerngedanken, dem Erwachen eines verschütteten Menschen nach Millio* nen Jahren in einer gänzlich veränderten Welt, auf einem Traume, während Handlung und Sinn der Erzählung mit der Logik eines Wachenden entwickelt sind — wobei jedoch der entscheidende Satz aus dieser Novelle: „Es war der Staub von vielen, vielen Tausenden, von Millionen Jahren“ (worunter der Held sich verschüttet findet) wortwörtlich so aus dem Traum in meinem wachen Bewußtsein zurückgeblieben war.

Ferner ist mein Gedicht „Der Vogel Granger“ zwar die Nachdichtung eines Traumgesichtes, aber völlig wach, nur aus der Erinnerung geschrieben. Ich vermochte unmittelbar nach dem Erwachen einige der wichtigsten Details des Traumgesichtes aufzuschreiben, auch zwei Skizzen des geträumten Riesenvogels zu zeichnen, sowie seinen Namen „Granger“ zu notieren, so daß der darauf passende Reim der letzten Strophe („schwanger“) aus dem Traumwort abgeleitet ist, also nicht (wie man leicht annehmen könnte) umgekehrt der Vogelnahme des Reimes wegen gewählt wurde. Der Traumvogel hieß wirklich „Granger“!

Ferner besitze ich noch eines meiner kleinen Gemälde, „Aufbrechende Stadtknospe“, das ich zwar erst fast 40 Jahre nach dem betreffenden Traum gemalt habe, jedoch auf Grund einer unmittelbar nach dem Erwachen angefertigten Federskizze der Traumstadt — welche Skizze ich ebenfalls noch besitze.

Es gibt übrigens auch eine Zeichnung von Dürer, in einem seiner Briefe, in welcher der Maler einen Traum unmittelbar nach dem Erwachen festgehalten hat, was er daneben vermerkt. Ob die merkwürdige Zeichnung des deutschen Graphikers Mamis Behmer trotz des Titels „Ein Traum“ wirklich auf ein Traumerlebnis zurückgeht, muß dahingestellt bleiben. Dagegen scheinen manche Bilder von Odile Redon unzweideutig in Träumen zu wurzeln, wie auch, meiner Meinung nach, Dostojewskis kleiner Roman „Der Doppelgänger“.

Wenn, wie gesagt wird, jeder Schlaf mit Träumen gepaart geht, ist

die Zahl der von Malern, Dichtern und Denkern erkennbar aufbewahrten Träume aber zweifellos sehr gering. Übung kann die Gabe dazu — wie überhaupt zum Bewahren von Traumerinnerungen — verstärken. Rudolf Huch, der ausgezeichnete, leider vergessene deutsche Romandichter aus dem Beginne dieses Jahrhunderts, hat solcherweise so viele seiner Träume literarisch festhalten können (übrigens ohne

dichterische Prätentionen), daß sie in zwei von Kubin meisterhaft illustrierten Bänden herausgegeben werden konnten.

Das Erstaunliche an meinem Gedicht „Geträumtes Lied“ ist der Umstand, daß der Titel in seinem wörtlichsten Sinne stimmt. Dies Gedicht ist von mir buchstäblich so geträumt worden, und Ich hatte beim Erwachen ausnahmsweise sofort die Entschlußkraft, es niederzuschreiben. Ich hatte nicht einen Traum gesehen und nachher daraufhin ein Gedicht geschrieben, sondern das Gedicht selber, genau so, wie es hier vorliegt, war ein Traum.

Ich zweifle nicht daran, daß ich oft derart im Schlaf gedichtet oder Gemälde entworfen habe, es aber spurlos vergaß. Ich zweifle natürlich ebensowenig, daß anderen schöpferischen Menschen dasselbe ebenso oft geschehen ist. Aber ist die restlose Erhaltung eines solchen geträumten Gedichtes an sich schon sehr merkwürdig — der Inhalt der Verse macht sie noch merkwürdiger. Jeder Gläubige weiß aus Erfahrung, wie wenig sicher er seines Glaubens sein kann — nicht nur der Festigkeit seines Glaubens, sondern auch des Umstandes selbst, daß er glaubt. Wille, Wünsche, Vernunfterwägungen können gerade den ehrlichst Gläubigen verleiten, zu glauben, daß er glaube, ohne daß er doch je positiv wissen kann, ob er wirklich glaubt. Es ist hiemit nicht anders bestellt, als mit den Gottesbeweisen allzumal, die doch nur für den Beweiskraft haben, der schon vorher an Gott glaubte. Andernfalls sind Gottesbeweise, ebenso wie der Glaube an die eigene Gläubigkeit, eitel Selbstbetrug — oder können es wenigstens sein...

Ich habe das Glück gehabt, vor einigen Jahren dies Gedicht „Geträumtes Lied“ zu träumen, es also mit Ausschaltung meines Willens, ja

selbst meines Bewußtseins zu schaffen. Derart stellt es für mich selbst (weit über alle Bekenntnisse zu Gott und für Gott) den einzigen Beweis dafür dar, daß ich wirklich in einer mir unzugänglichen Tiefe an Gott glaube. Aber da ich auch dann nicht weiß, woher ich zu diesem inneren Wissen, das Glaube heißt, gekommen bin, ist auch dies Gedicht noch lange kein Gottesbeweis — nicht einmal für mich selbst (1955).

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