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Vom Umgang mit Paranoiden

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Der Mord an der Polizistin Yvonne Fletcher am Dienstag vor Ostern auf dem Londoner James-Platz (die Schüsse aus dem libyschen „Volksbüro" [Botschaft] hatten demonstrierenden Ghaddafi-Gegnern gegolten) löste eine beispiellose diplomatische Krise zwischen Großbritannien und Libyen aus. Und sie führten zu einer eigenartigen Belagerung des Volksbüros, ohne den leisesten Versuch, die Botschaft zu stürmen, exterritoriales Gebiet zu betreten, das einen Mörder beherbergte.

Mit der Rückkehr der diplomatischen Mission nach Tripolis bleibt ein Mord ungestraft. Denn Ghaddafi, der unbeschränkte Herr Libyens, wird kein Verbrechen sühnen, das er selbst angeordnet hat.

Umso dreister war die Flucht des fanatischen Araberführers nach vorne. Der Mord sei von der britischen Polizei selbst begangen worden. Filmischer Beweis des Gegenteils zählte nicht.

Der letzte Rest von westlichen Freunden Ghaddafis im Westen: Ex-Bundeskanzler Bruno Kreisky, hatte schon vor der Tragödie am James-Platz warnend den Zeigefinger erhoben: Anti-Ghadda-fi-Demonstrationen in westlichen Hauptstädten hätten den Libyer über alle Vernunft verärgert und er sehe in ihnen Teile einer weltweiten Konspiration.

London, Hort für schätzungsweise 4000 Libyer, die ins Exil gehen mußten, ist dermaßen besonders geeignet, den Unmut Ghaddafis zu erregen. So harmlos und weit weg von Heimat und Einfluß diese Dissidenten auch sein mögen, der Führer Libyens hat gegen sie jenes Mittel gefunden, das man bei Diktatoren mit paranoidem Verfolgungswahn gewohnt ist: die Liquidation der sogenannten

„streunenden Hunde der Revolution".

In regelmäßigen Abständen schlugen denn auch in den letzten Jahren Ghaddafis Mordkommandos gegen exilierte Landsleute zu, zweimal allein in London mit tödlicher Sicherheit.

Der Abbruch der diplomatischen Beziehungen und die Ausweisung der Missionsangehörigen war das einzige Mittel, dessen sich London von Rechtswegen bedienen konnte. Gewiß, die Erstürmung der Botschaft und Festnahme des Verbrechers wurden im kleinen Krisenstab um Innenminister Brittan zur Wahl gestellt, aber letztlich verworfen, wobei zwei Gründe ins Gewicht fielen:

Erstens fühlt sich London uneingeschränkt an internationale Verpflichtungen gebunden, konkret an die Achtung vor der diplomatischen Immunität, obwohl diese einen Killer schützte. Und zweitens aus Sorge um das Wohlergehen der mehr als 8000 Briten in Libyen, die im Falle größter Kontroverse völlig der Willkür des Diktators ausgeliefert worden wären.

Ghaddafis zentrales Informationsorgan baute denn auch drohend und warnend vor: „Jede Demütigung von libyschen Arabern und Arabern generell sollte mit zehnfacher Demütigung von Briten in Libyen beantwortet werden. Laßt das die senile Regierung in London wissen!"

Es steht Ghaddafi nicht sonderlich gut an, sich in jedem Augenblick auf internationale Vereinbarungen zu berufen. Kaum ein anderer politischer Führer hat die Wiener Konvention zum Schutze der Diplomaten so zynisch mißbraucht. Ghaddafi ist ein großer Förderer des weltweiten Terrorismus, in seinem Land werden Terroristen ausgebildet und mit tödlichem Nachschub versorgt — gefahrlos via Diplomatengepäck. Ohne Ghaddafi hätte die katholisch-irische Terrororganisation IRA schon einen Gutteil ihrer Schreckensmacht eingebüßt.

London zog die Lehren nach den Ereignissen auf dem James-Platz: Warum überhaupt diplomatische Beziehungen mit einem Land, dessen Führer sich einfach über Recht und Gepflogenheit im internationalen Verkehr hinwegsetzt. Ähnliche Gedanken dürften auch in anderen Ländern aufkommen.

Ohne die Privilegien der Diplomaten würde auch Ghaddafis Geheimwaffe stumpf — vorausgesetzt, daß sich die Mehrheit der europäischen Staaten zu einer gemeinsamen Aktion gegen die libyschen Freibeuter fände.

Von einer Änderung der Konvention war in diesem Zusammenhang auch viel die Rede, aber ernstlich steht eine solche nicht zur Debatte. Wohl aber eine Einschränkung der Länder, die Immunität beanspruchen können. Wie es ein Tory-Abgeordneter im Parlament ausdrückte: „Diplomatische Beziehungen basieren auf zivilisierten Beziehungen zwischen einzelnen Ländern. Libyen jedoch ist kein zivilisiertes Land, es ist von einem Verrückten geführt."

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