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VOM UNGLÜCK, EIN JAHRESREGENT ZU SEIN

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Noch im Frühjahr dieses Jahres wurde von einem bekannten Grazer Journalisten die Feststellung getroffen, daß man am Ende aller steirischen Rosegger-Feierlichkeiten endlich wissen würde, wer Peter Rosegger war und wie sein Lebenswerk zu deuten wäre. Dies scheint angesichts der zahllosen kontro-versiellen Meinungen doch einigermaßen hoch gegriffen, ja naiv zu sein.

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Noch im Frühjahr dieses Jahres wurde von einem bekannten Grazer Journalisten die Feststellung getroffen, daß man am Ende aller steirischen Rosegger-Feierlichkeiten endlich wissen würde, wer Peter Rosegger war und wie sein Lebenswerk zu deuten wäre. Dies scheint angesichts der zahllosen kontro-versiellen Meinungen doch einigermaßen hoch gegriffen, ja naiv zu sein.

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Man wird auch nach der dreigeteilten Landesausstellung (in Krieglach, St. Kathrein am Hauenstein und Birkfeld), den vielen Vorträgen und einschlägigen Publikationen kein einheitliches Bild über den Dichter der Wäldheimat haben können, und vielleicht ist dies auch ganz gut so.

Die Persönlichkeit Peter Roseggers entzieht sich im Grunde ja beinahe jeder literarischen als auch kulturgeschichtlichen Kategorisierung. Der in diesem Zusammenhang bekanntgewordene Literaturwissenschafter Karl Wagner subsumierte Roseggers (Euvre schließlich recht abschätzig unter dem Begriff .Provinzliteratur”. Hier wird nun tatsächlich voll und ganz mit dem Zeitgeist marschiert. Die Trennung zwischen Provinz und Urbanität ist gerade in bezug auf Peter Rosegger einigermaßen fragwürdig, hatte er doch in Graz wesentliche geistige Anstöße und Förderung erhalten. Und Graz war zu jener Zeit keineswegs mehr eine Provinzstadt, sondern neben Wien auch ein Zentrum der kulturellen Erneuerung, der Lebensreformbewegungen und damit auch ein Kreuzungspunkt für die Moderne.

Falscher Prophet?

Der Salzburger Literat Karl-Markus Gauß hat in einem un längst erschienenen Artikel einen „Klassikersturz” versucht, in dem er ihn sozusagen als falschen Propheten der Ökologie bezeichnete, ja schlimmer noch als Vorgestrigen denunzierte, dessen Werk quasi gesellschaftspolitisch unkorrekt (um mit einem amerikanischen Begriff zu sprechen) sei.

Peter Rosegger (1843-1918), der „Dichter der verlorenen Scholle”, wie ihn Eva Philippoff recht zutreffend bezeichnet hat, kam als Sohn armer Krieglacher Bergbauern noch im Vormärz zur Welt, erlebte die nachrevolutionären Reformen mit, ja beteiligte sich aktiv an ihnen und mußte gleichwohl auch den Niedergang und Zerfall der alten Monarchie mitmachen. Kein Wunder also, daß er sich sowohl als Schriftsteller als auch als Journalist intensiv mit allen Zeitproblemen befaßte. Seine Förderer sahen in ihm wohl auch etwas vom „edlen Wilden” aus dem Bergwald, dessen ne als aufklärerisch zu bezeichnen sind, denn vor allem seine frühen Schriften stehen in der Überlieferung der sogenannten Hausväterliteratur und Kalendergeschichten.

So gesehen ist er ein Volksschriftsteller, und wenn auch eine solche Kategorisierung heute einen etwas negativen Anstrich hat, so muß doch daraufhingewiesen werden, daß etwa ein Heinrich Boll oder Günter Grass in unserem Jahrhundert letztlich eine ebensolche Funktion besitzen. Auch sie haben sich in den gesellschaftspolitischen Diskurs eingemischt, wurden und werden als Indikatoren des Zeitgeistes begriffen. Hier also ebenso das Phänomen Äquivalenz und Wandel.

Fehleinschätzung

Man weiß eigentlich nicht, was einen mehr verwundern soll: Peter Roseggers rasante Karriere zum Erfolgsschriftsteller (noch zu seinen Lebzeiten wurden Teile seines vier-zigbändigen Werkes sogar ins Japanische übersetzt) und einflußreichen Journalisten oder seine heutige Verniedlichung und Fehleinschätzung. Der Meinungsstreit oszilliert also bezeichnenderweise zwischen dem Wald-Peterl und Lügen-Peterl. Wünschenswert in dieser Hinsicht wäre wohl, daß der Dichter endlich vom Geruch des herkömmlichen Heimatschriftstellers und Identitätsstifters per se befreit werden würde. Nicht nur sind es Roseggers ökologische Bestrebungen - welche übrigens in der steirischen Landesausstellung leider zu wenig berücksichtigt wurden -, es sind auch seine idealistischen und ganzheitlichen Grundpositionen, die das Bleibende bilden.

Roseggers Kritik an der Moderne, nämlich den damals vermeintlichen Fortschritt, die er in seinem wohl wichtigsten Roman „Jakob der Letzte” im Hinblick auf das Bauernsterben äußert, ist ebenso brisant wie aktuell geblieben.

Sein Engagement in bezug auf Umwelt- und Heimatschutz, seine Verteidigung des Waldes und die damit in Zusammenhang stehende Nationalparkidee, seine sozialrefor-merischen Bestrebungen und nicht zuletzt sein Fundamentalchristentum, das jenseits der Konfessionen zu stehen kommt, formen einen gewichtigen Kanon, dessen kulturgeschichtliche wie gesellschaftspolitische Relevanz noch viel zu wenig gewürdigt und erforscht worden ist.

In seiner Monatsschrift „Heimgarten”, die er von 1876 bis 1910 herausgab und in der er oft auch unter Pseudonymen schrieb, ergriff er vehement Partei für den verarmten Bauernstand und das Proletariat, befürwortete ein großzügiges Genossenschaftswesen sowie eine entsprechende Direktvermarktung, setzte sich aber auch für verschiedene soziale Randgruppen ein.

Reger Gedankenaustausch

Sein Engagement für den Deutschen Schulverein und gegen die Badenische Sprachenverordnung wird ihm heute zwar als krasser Nationalismus ausgelegt, jedoch stand er mit dieser Meinung durchaus nicht im Gegensatz zu vielen seiner literarischen Zeitgenossen.

Mit Kollegen wie Marie von Eb-ner-Eschenbach, Hermann Bahr oder aber Karl May stand er auch in dieser

Hinsicht in regem Gedankenaustausch.

Insbesondere ist es Roseggers massive Großstadtkritik, die ihm immer noch als dezidierter Antimodernis-mus ausgelegt wird, welche aber heute wieder diskutierenswert erscheint. Insofern mag er sehr wohl als früher Mentor „grüner” Anliegen verstanden werden.

Identitätsstifter

In diesem Zusammenhang ist es vielleicht nicht uninteressant, Parallelen zu Biographie und Werk des Norwegers Knut Hamsun herzustellen. Auch er, der aus ähnlichen sozialen Verhältnissen kam, dessen Aufstieg sich aber ungleich schwieriger gestaltete, weist deutliche mentale Ubereinstimmungen mit dem „Dichter der verlorenen Scholle” auf.

Es fällt nun auf, daß es trotz der kaum zu überschätzenden Rolle des Schriftstellers als einer der steirischen Identitätsstifter bisher zu keiner grundlegenden und ausführlichen Biographie gekommen ist. Die bereits zitierte, aus Wien stammende und in Frankreich lehrende Germanistin Eva Philippoff hat mit ihrem neuen Buch über Rosegger einen wichtigen Ansatz zu diesem offensichtlich unerschöpflichen Thema geleistet, ohne allzusehr in die fast schon übliche Destruierung der sogenannten Provinzliteratur zu verfallen.

Das Buch ist flüssig verfaßt und detailreich aufbereitet. Alles in allem ist es jedenfalls keine Biographie gegen Peter Rosegger, wenngleich es da und dort etwas an historischer Hintergrundinformation zu mangeln scheint und ihre psychologische Deutung auf keiner festen wissenschaftlichen Methodik beruht. Immerhin ist damit ein wesentlicher Schritt in Richtung Aufarbeitung von Leben und Werk gesetzt worden. Und die Forschung zur Rezeptions- beziehungsweise Wirkungsgeschichte steht ja eigentlich erst am Anfang. Man denke hier nur an Roseggers umfassende journalistische Arbeit beziehungsweise seine höchst vielfältigen und illustren Freundschaften, die kulturgeschichtlich betrachtet nicht zu übersehende Kreise zogen.

Rosegger-Folklore

Philippoffs Urteil, daß Rosegger „ein im Saeculum verirrter Poet auf der Suche nach dem verlorenen Paradies der Kindheit” sei, mag richtig oder falsch sein, doch ist es wohl ein zu abschließendes. Mit Sicherheit können noch zahlreiche Überraschungen und neue Aufschlüsse erwartet werden. Die Gefahr, den Jahresregenten schließlich einfach abhaken zu wollen und damit eine kulturelle Pflichtübung erfüllt zu haben, ist nicht zu unterschätzen.

Die Beschäftigung mit Peter Rosegger muß einfach darüber hinausgehen; vor allem sollte er wieder gelesen und nicht nur zitiert werden. Und die immer noch um sich greifende Rosegger-Folklore, aber auch die allzu verkürzende Kritik an ihm wäre dahingehend zu unterlaufen, wenn man auf einen geistesverwandten literarischen Kollegen und Aufklärer hört, nämlich Johann Peter Hebel: „Wir sind Pflanzen, die - wir mögen's uns gerne gestehen oder nicht -mit den Wurzeln aus der Erde steigen müssen, um im Äther blühen und Früchte tragen zu können.”

PETER ROSEGGER, DICHTER DER VERLORENEN SCHOLLE-eineBiographie. Von Eva Philippoff. Styria Verlag, Graz-Wien-Köln.

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