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Vom Wachsen und Werden Österreichs

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Aus bescheidenen Anfängen erwuchs ein großes Werk. Im Dezember 1969 konstituierte sich im Rahmen der Osterreichischen Nationalbibliothek die Gesellschaft ,^Pro Austria”. Die Erforschung und Förderung der österreichischen Bundesstaatsidee und dem daraus erwachsenden österreichischen Nationalbewußtsein war eines ihrer Ziele. Die Leistungen der Länder für den Gesamtstaat und umgekehrt des Gesamtstaates für seine Glieder in Vergangenheit und Gegenwart sollten ebenfalls gewürdigt werden.

Nicht zuletzt wollte man dem Consensus Austriacus, jenem Geist des Einvernehmens und der Zusammenarbeit über weltanschauliche und politische Grenzen hinweg, welchem die 2. Republik ihren Aufstieg aus Not und Trümmern verdankt, neue Impulse geben. Zwei große Symposien vereinigten in den Jahren 1972 und 1975 führende Persönlichkeiten unserer Republik und namhafte Vertreter der Wissenschaft zu Stellungnahmen über grundlegende staatspolitische Probleme.

Die Vergabe von Forschungsaufträgen und die Einrichtung eines eigenen „Austriaca-Studier-zentrums” ergänzten dieses Vorhaben als dessen Seele und Motor sich bald Univ.- Prof. Hofrat Georg Wagner erwies. Mit innerer Befriedigung und nicht ohne berechtigten Stolz konnte dieser am 27. April - es war der Tag der 37. Wiederkehr der Unabhängigkeitserklärung des Jahres 1945 - ein Werk vorlegen, welches die Summe dieser Symposien und die Ergebnisse aller Forschungsarbeiten zum Inhalt hat.

Befriedigung dürfen aber auch alle empfinden, die in einer Zeit, in der die „Gesellschaft” den „Staat” — vom Vaterland ganz zu schweigen — in den Hintergrund zu drängen droht, in der „Wirtschaftswachstum” und „Vollbeschäftigung”, so wünschenswert diese auch sind, nicht das Ein und Alles einer selbständigen staatlichen Existenz bedeuten können, die Förderung und Pflege eines „aufgeklärten Patriotismus” nicht für unzeitgemäß erkennen.

Eine Frage wird sich freilich für jeden ergeben, der dieses beinahe 800 Seiten umfassende Werk in die Hand nimmt. Wie liest man ein Kompendium, das ein Jahrtausend österreichische Geschichte umfaßt, sich in vier Teile gliedert und mit zahlreichen aufschlußreichen Fußnoten und Anmerkungen (und einem sehr ausführlichen Register) gespickt ist? Bestimmt nicht so, daß man mit Seite 1 beginnt und am Ende der 735. Seite aufhört.

In unserem optischen Zeitalter wird man am besten mit dem vom Herausgeber ausgiebigst kommentierten Bildteil beginnen. Den an der jüngsten Geschichte besonders interessierten Lesern empfiehlt sich hernach ein Streifzug durch die „Tragödie der Ersten Republik”.

Auch ein in österreichischer Zeitgeschichte nicht ganz unbewanderter Leser wird hier so manches Detail neu oder wieder entdecken, das ihn in seiner Meinung bestätigen kann, daß es in Österreich zwischen 1918 und 1938 nicht nur demokratische Lichtgestalten und finstere Republikzerstörer gab, sondern daß an dem Ast, auf dem man saß, fleißig, einmal links, einmal rechts, gesägt wurde.

Erkannte die eine Seite nicht den Wert der Demokratie als neues Legitimitätsprinzip, so verstand man auf der anderen Seite allzulange Österreich, seine Vergangenheit und seine Gegenwart als selbständigen Staat nicht als einen eigenen Wert. Hat man diese Kapitel absolviert, dann möge man sich ruhig gemäß dem eigenen Interesse den verschiedenen Themen zuwenden.

Am Schluß aller Studien aber wird die Erkenntnis oder die Bestätigung von etwas längst Erkanntem stehen: Der Gedanke des Wachsens und Werdens einer österreichischen Nation ist nicht, wie uns bis in unsere jüngste Vergangenheit gelegentlich suggeriert wurde, „ein Austritt aus der Geschichte”, „eine Frucht des Jahres 1945” oder gar „eine kommunistische Erfindung”. Sie ist vielmehr das Ende eines durch eine Entwicklung von Jahrhunderten vorgezeichneten Weges. Das Bekenntnis zu ihm wird uns auch in eine gute Zukunft führen.

Wenn Bundespräsident Kirchschläger das vorliegende Sammelwerk mit Recht in die Hände insbesondere jener wünscht, „denen die politische Bildung und staatsbürgerliche Erziehung unserer Jugend anvertraut ist” und namentlich als solche „nicht nur die Lehrer aller Schultypen, sondern auch jene, welche in Presse, Fernsehen und Rundfunk an der . öffentlichen Meinungsbildung mitwirken” nennt, so ist der hohe, wenn auch verständliche Preis des vorliegenden Werkes eine Barriere, die diesem Wunsch leider manche Hindernisse entgegensetzt.

OSTERREICH. Von der Staatsidee zum Nationalbewußtsein. Studien und Ansprachen mit einem Bildteil zur Geschichte Österreichs. Hrsg. im Auftrag der Gesellschaft JPro Austria” von Georg Wagner. Verlag Osterreichische Staatsdruckerei, Wien 1982. 735 Seiten, öS 985.-.

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