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VOM WERT DES EINZELNEN ZUM WELTETHOS
Es beginnt mit dem Bewußtsein des Wertes der Einzelpersönlichkeit, geht über zaghafte Versuche, Rechte des Menschen auszufor-mulieren, die ihm von Natur aus zukommen, ihm nicht von der Gesellschaft verliehen oder vom Staat gegeben werden, und endet bei Katalogen von Menschenrechten und dem Versuch, diese auch supranational einklagbar zu machen.
Es beginnt mit dem Bewußtsein des Wertes der Einzelpersönlichkeit, geht über zaghafte Versuche, Rechte des Menschen auszufor-mulieren, die ihm von Natur aus zukommen, ihm nicht von der Gesellschaft verliehen oder vom Staat gegeben werden, und endet bei Katalogen von Menschenrechten und dem Versuch, diese auch supranational einklagbar zu machen.
Im Judentum und im Christentum hat sich die Vorstellung von der Gleichheit der Menschen vor Gott herauskristallisiert; allerdings kennt weder die jüdische Religion noch das Christentum eine Art Menschenrechtskonzeption. Der Gleichheitsgedanke beeinflußte viele Philosophien bis hin zu Karl Marx und ist in der modernen Theologie der Befreiung (zu einem gottgewollten menschenwürdigen Leben gegenüber dem diktatorischen Staat) besonders gegenwärtig. Als Vorläufer der modernen Menschenrechtsproklamationen gelten heute die frühen Rechtskodifikationen wie die Magna Charta Libertatum aus dem Jahr 1215, die Freiheitsrechte geltend machte und den Parlamentarismus in England beflügelte, sowie die Habeas-Corpus-Akte von 1679, wonach der einzelne nur nach richterlichem Befehl verhaftet werden darf, und die Bill of Rights (1689) mit dem Verbot grausamer Strafen.
Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 bringt in exemplarischer Weise das moderne Menschenrechtsverständnis zum Ausdruck: der Mensch sei mit unveräußerlichen Rechten ausgestattet - und dazu gehören das Recht auf Leben, Freiheit, Streben nach Glück. Schon einige Wochen vor der Unabhängigkeitserklärung hatte die „Bill of Rigths” von Virginia (12. Juni 1776 -vor exakt 227 Jahren also) die Menschenrechte als gültiges Verfassungsrecht kodifiziert: „Alle Menschen sind von Natur aus in gleicher Weise frei und unabhängig und besitzen bestimmte angeborene Rechte, welche sie ihrer Nachkommenschaft durch keinen Vertrag rauben oder entziehen können, wenn sie eine staatliche Verbindung eingehen, und zwar den Genuß des Lebens und der Freiheit, die Mittel zum Erwerb und Besitz von Eigentum und das Erstreben und Erlangen von Glück und Sicherheit.” Klingt ganz modern - und harrt in vielen Ländern bis heute noch der Verwirklichung.
Vorpolitische Eigenschaften
Die französische Deklaration der Menschen- und Bürgerrechte, die am 26. August und 3. November 1789 verkündet und der Verfassung von 1791 als Präambel vorangestellt wurde, definiert Freiheit als eine ursprüngliche, vorpolitische Eigenschaft des Menschen. Menschenrechte gehören also zum Grundrecht des Menschen -und werden heute vielen Verfassungen katalogartig vorangestellt. Österreich kennt keinen derartigen Grundrechtskatalog, die Frage der Grundrechtsreform nimmt einen geringen Stellenwert in der politischen Diskussion ein - nicht zuletzt wahrscheinlich deswegen, weil hinsichtlich der Menschenrechte Österreich einen international besonders hohen Standard erreicht hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden die von US-Präsident Franklin D. Roosevelt 1941 verkündeten „Vier Freiheiten” - Rede- und Meinungsfreiheit, Freiheit von Furcht, Glaubensfreiheit und Freiheit von Mangel und Not - Eingang in die UNO-Sat-zung (1945).
Am 10. Dezember 1948 wurden mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen die klassischen politischen und bürgerlichen Rechte und Pflichten des einzelnen ebenso wie die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte definiert.
Vor 25 Jahren fand in Teheran (vom 22. April bis 13. Mai 1968) die erste Weltkonferenz für Menschenrechte statt. In der Schlußerklärung wurde auf die Unteilbarkeit der Menschenrechte, auf die Notwendigkeit der Überwindung der Kluft zwischen wirtschaftlich entwickelten und weniger entwickelten Staaten bei der Verwirklichung der Menschenrechte hingewiesen, rassische Diskriminierung sowie die Apartheidpolitik (modern: ethnische Säuberung) verurteilt, der Schutz der Familie, der Frau, der Jugend gefordert, auf Gefahren der Technologie für die Menschenrechtsentwicklung aufmerksam gemacht und die Notwendigkeit der Abrüstung betont.
Vieles wurde in Angriff genommen. Auf dem Gebiet der Abrüstung wurden - nach außen hin sichtbar -spektakuläre Erfolge erzielt. Die wirtschaftlichen Bedingungen für ein freies und glückliches Leben haben sich in Dritte-Welt-Staaten jedoch dramatisch verschlechtert. Nach der im KSZE-Prozeß vorangetriebenen Bewußtwerdung um die Unteilbarkeit der Menschenrechte - was den Kommunisten schwerer zu schaffen machte, als zugegeben (wer fordert diese Standards beispielsweise so vehement wie weiland gegenüber den Sowjets heute von den Serben, den Kriegsparteien im Sudan oder in Somalia ein?) - zeichnet sich heute -ähnlich dem Ö st-West-Konflikt - eine tiefgehende Auseinandersetzung um die Universalität der Menschenrechte mit gewissen Dritte-Welt-Staaten und der islamischen Welt ab.
Wahre Menschlichkeit
Die große Frage ist, ob Staaten, Völker, Gesellschaften, Religionen so etwas anerkennen können, was beispielsweise der Tübinger Theologe Hans Küng (ihm wurde 1979 die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen) mit dem Begriff „Weltethos” umschreibt: Im Mittelpunkt steht eine Humanität, die der Politik, politischen und wirtschaftlichen Systemen und religiös-ideolo-
• gischen Vorstellungen vorangeht. Küng hat es so formuliert: „Wahre Menschlichkeit ist die Voraussetzung wahrer Religion.
Das heißt: Das Humanum (der Respekt vor menschlicher Würde und Grundwerten) ist eine Mindestfordev rung an jede Religion: Wenigstens Humanität (das ist ein Minimalkriterium) muß gegeben sein, wo man echte Religiosität realisieren will.” Küng will mit Imperativen der Menschlichkeit, die sich aufgrund der globalen Verantwortung des Menschen ergeben, der Selbstzerstörung der Menschheit Einhalt gebieten: Menschenrechte als Voraussetzung fürs Überleben.
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