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Vom Zaungast zum Vollmitglied ?

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Erstmals wird in absehbarer Zeit ein Volk über den Beitritt zur UNO an der Urne befinden können. Indes herrscht große Skepsis, ob die Schweizer den Beitritt befürworten.

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Erstmals wird in absehbarer Zeit ein Volk über den Beitritt zur UNO an der Urne befinden können. Indes herrscht große Skepsis, ob die Schweizer den Beitritt befürworten.

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Der Vollbeitritt der Schweiz zur UNO wird seit Jahrzehnten diskutiert, doch zögerten die Behörden vor allem aus neutralitätspolitischen Gründen. Jetzt hält man ein weiteres Abseitsstehen angesichts der weltpolitischen Wandlungen nicht mehr für angebracht.

Wenige Tage vor Weihnachten verabschiedete der schweizerische Bundesrat (Regierung) eine entsprechende Botschaft an das Parlament, das aber den letzten Entscheid dem Stimmbürger überlassen muß.

Die Schweiz ist das einzige Land, das den Vereinten Nationen aus freien Stücken fernbleibt und sich mit dem Status eines Beobachters ohne Stimmrecht und der Mitarbeit in Spezialorganisationen begnügt.

1946 - im Gründungsjahr der UNO als Rechtsnachfolgerin des Völkerbundes; dem auch die Schweiz angehörte — verzichtete der Bundesrat darauf, einen Beitrittsantrag zu stellen, weil er die ständige Neutralität mit einer Mitgliedschaft in der von den Siegerstaaten des Zweiten Weltkrieges geprägten Organisation für unvereinbar hielt. Gleichzeitig schlug er aber eine Politik der Annäherung an die UNO ein.

Die Schweiz begann an den Spezialorganisationen, Organen, Programmen und Konferenzen der UNO mitzuwirken. Genf wurde bereits im Gründungsjahr zweiter Sitz der Weltorganisation. 1948 akkreditierte der Bundesrat einen Ständigen Beobachter am Sitz der UNO in New York, um an Ort und Stelle die Tätigkeit der Generalversammlung und des Sicherheitsrates zu verfolgen.

Außer der Weltbankgruppe und dem Internationalen Währungsfonds gehört die Schweiz heute allen Spezialorganisationen der UNO an, so der UNESCO, der Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO), dem Hochkommissariat für Flüchtlingswesen (dem diesjährigen Friedensnobelpreisträger), der UNICEF usw. Die Stimme der Schweiz hat in diesen Organisationen teilweise einiges Gewicht.

Vor allem seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre mehrten sich die Stimmen, die einen Vollbeitritt der Schweiz auch zur politischen Organisation der UNO postulierten. Die Landesregierung verfaßte mehrfach Berichte und ließ Gutachten ausarbeiten, die im Kern zum Schluß kamen, ein Beitritt sei angebracht.

Doch die Regierung zögerte. Sie glaubte nicht, daß sie einen Beitrittsantrag vor dem Volk als letzter Instanz durchbrächte, weil die UNO in der Schweizer Öffentlichkeit keineswegs ein besonderes gutes Image hat und ihre friedenssichernde und menschen-rechtsgarantierende Effizienz stark angezweifelt wird.

Immer wieder wurden auch die neutralitätspolitischen Vorbehalte ins Spiel gebracht, wobei man vor allem die militärischen Sanktionsmöglichkeiten vorschob, die allerdings noch in keinem Fall beschlossen wurden.

Jetzt hat der Bundesrat endlich den längst erwarteten Schritt gewagt. Er legt dem Parlament einen Beitrittsantrag, vor und bezeichnet dies als „Gebot der Vernunft". Die weltpolitische Kulisse, wie auch die Vereinten Nationen selber, hätten sich seit 1945 derart gewandelt, daß ein weiteres Fernbleiben der Schweiz eine Gefahr der Isolierung bedeutet.

Die Probleme ließen sich — so die Landesregierung — nicht mehr auf nationaler Ebene allein lösen. Es gelte mit einem Beitritt auch einen Akt der Solidarität zu vollziehen und den Willen zu zeigen, die weltweit anstehenden Probleme mittragen zu helfen. Die UNO sei unzweifelhaft das Forum, in dem heute diese Fragen aufgegriffen, diskutiert und Lösungen zugeführt werden.

Im entscheidenden Punkt seines Antrages kommt der Bundesrat zum Schluß, daß eine UNO-Mitgliedschaft die Neutralitätspflicht der Schweiz nicht verletze. Und zwar vor allem darum, weil bei militärischen Sanktionen kein Land zur Teilnahme gezwungen werden kann.

Auch die verbindlichen nichtmilitärischen Sanktionen seien nicht neutralitäts'widrig, ebensowenig wie Stellungnahmen der Schweizer Regierung innerhalb der UNO. Nach wie vor sei die Schweiz bestrebt, ihre Haltung unparteiisch, aber nicht unkritisch zu vertreten.

Der Bundesrat ist schließlich überzeugt, daß die Schweiz ihre traditionellen guten Dienste als UNO-Mitglied besser anbieten könnte, als das heute der Fall ist.

Die finanziellen Konsequenzen (in der Schweiz stets ein wichtiges Argument) wären nicht sehr gravierend. Die Schweiz müßte rund 1,05 Prozent des UNO-Budgets tragen, was für 1983 den Betrag von 15,7 . Millionen Schweizer Franken ausmachen würde. Darin eingeschlossen aber sind jene Beträge, die die Schweiz schon jetzt im Rahmen der Spezialorganisationen erbringt und das sind

90% der Kosten eines Vollbeitrittes.

Der Antrag des Bundesrates ist bei den Parteien und der Presse im allgemeinen auf ein recht gutes Echo gestoßen. Man befürwortet mehrheitlich das Wagnis, jetzt einmal beim Volk die Lackmusprobe zu versuchen, ist aber nirgends völlig überzeugt, daß man den Beitritt auch im ersten Anlauf durchbringt.

Bei der jüngsten Meinungsumfrage vor zwei Monaten standen 34 Prozent Befürwortern 29 Prozent Gegner gegenüber, während sehr viele noch unentschlossen waren. Der konkrete Antrag der Regierung erlaubt es nun aber, das „heiße Eisen" endlich richtig anzupacken und eine zielstrebige Informations- und Aufklärungskampagne zu starten.

Erfahrungsgemäß sind viele Bürger erst bereit, sich intensiv mit einem politischen Gegenstand auseinanderzusetzen, wenn sie konkret entscheiden können.

Man weiß in politischen Kreisen aber auch, daß ein Nein dem internationalen Kredit der Schweiz einen empfindlichen Schlag versetzen würde, denn die Teilnahme an der UNO ist für nahezu 160 Staaten eine pure Selbstverständlichkeit.

Vor allem natürlich für den Nachbarn Österreich, der (obwohl neutral wie die Schweiz) die Weltorganisation in den letzten Jahren mit dem Stellen des Generalsekretärs entscheidend prägte.

Der Entscheid der Schweiz wird allerdings nicht vor anfangs 1984 fallen. Die Parteien sind übereingekommen, das Wahljahr 1983 nicht mit dieser heiklen Frage „zu belasten" und vorher liegt bei der langwierigen Entscheidungsmaschinerie Helvetiens ein Urnengang des Volkes ohnehin nicht drin.

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