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Von 1000 Bäumen nur 65 ganz gesund

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Mit einem neuen Verfahren, das auf Studien im Wald und auf Luftbildern beruht, erhoben Experten die „Vitalität des Waldes“ in Vorarlberg. Das Resultat ist schockierend.

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Mit einem neuen Verfahren, das auf Studien im Wald und auf Luftbildern beruht, erhoben Experten die „Vitalität des Waldes“ in Vorarlberg. Das Resultat ist schockierend.

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Es gibt Schätzungen, denen zufolge jeder dritte Baum in Österreich krank ist. Wie genau diese Zahl ist, kann jedoch niemand sagen. Eingehende Untersuchungen müssen nämlich erst durchgeführt werden. In Vorarlberg ist man jedoch schon einen Schritt weiter. Denn dort fand im Vorjahr eine „Erhebung der Vitalität des Waldes“ statt, deren Ergebnis nun vorliegt.

Und wie sieht dieses aus? Man kann ruhig sagen niederschmetternd: Nur 6,5 Prozent der untersuchten Bäume wurden als gesund beurteilt. Hingegen fielen 42 Prozent der Fichten und sogar 52 Prozent der Tannen in die Kategorien deutlich geschädigt, sterbend oder tot!

Diese Zahlen (siehe Tabelle) sind leider nicht leicht von der Hand zu weisen, sind sie doch das Ergebnis eines aufwendigen Erhebungsverfahrens: Rund 72 Prozent der Vorarlberger Waldfläche wurden im Rahmen der Untersuchungen vom Flugzeug aus fotografiert. So entstanden im Sommer 1984 1600 Luftaufnahmen.

Diese stellen allerdings den Wald nicht in den gewohnten Farben dar, sondern sie erfaßten die Infrarotstrahlung der Bäume. Mit den Bildern allein war es jedoch nicht getan. Um sie nämlich auswerten zu können, mußten auch eingehende Untersuchungen im Wald selbst durchgeführt werden. Eine Gruppe von Fachleuten beurteilte den Zustand der Bäume in ausgewählten Geländeabschnitten. Dabei kam es zur Festlegung von vier Kategorien:

1. gesunder Baum

2. schwache Verlichtung (möglicherweise geschädigt)

3. mittlere Verlichtung (deutlich geschädigt)

4. starke Verlichtung (sterbend oder tot).

Um diese Einteilung vorzunehmen, beobachteten die Experten folgende Merkmale: Nadelverluste, den Anteil an dürren Ästen, die Verfärbung, die Länge und Dichte der Triebe und Nadeln, das Aussehen der Wipfel...

Nicht ganz eindeutig ist die Beurteilung der Gesundheit des Baumes nur in Stufe zwei. Hier könnte es sich um Schäden handeln, die nur vorübergehender Natur sein mögen und die nicht unbedingt auf Immissionen zurückzuführen sind. Bei Stufe drei aber ist die Lage eindeutig bedrohlich. Neben diesen persönlichen Schätzungen wurde der Zustand der Bäume auch durch objektive Kriterien erfaßt: Man erhob die Zahl der Nadeljahrgänge einzelner Bäume und analysierte ihre Nadeln chemisch.

Um die Gesamtsituation des Vorarlberger Waldes erfassen zu können, wurden die Beobachtungen aus der Natur und auf den Luftbildern in Beziehung gesetzt. Man verglich die Beobachtungen im Gelände mit der entsprechenden Luftaufnahme. Die Bilder sind nämlich so genau, daß man die Bäume einzeln zuordnen kann. Je nach Grad ihrer tatsächlichen Schädigung weisen sie eine unterschiedliche Färbung auf dem Infrarotbild auf. Unterschiede erkennt man auch im Erscheinungsbild des Baumes auf der Fotografie.

So weisen etwa gesunde Fichten auf dem Luftbild eine rote bis rotbraune, dunkle Färbung auf und lassen eine dichte, in sternförmigen Strahlen sich darstellende Baumstruktur erkennen. Sterbende Fichten hingegen sind blaugrün bis grün und treten deutlich als Skelett in Erscheinung.

Weil sich also die in der Natur festgelegten Kategorien auf den Bildern eindeutig zuordnen lassen, genügt es für die Beurteilung der Gesamtsituation des Waldes nur mehr das Bildmaterial auszuwerten. Auch dabei kann natürlich nicht jeder Baum auf dem Bild beurteilt werden.

Mittels eines Rasters wurde daher stichprobenartig aus jedem Bild nur eine vergleichsweise kleine Zahl von Bäumen begutachtet. Immerhin wurden auf diese Art 167.600 Bäume aus den Luftbildern eingestuft und mit den Noten eins bis vier versehen. Diese Werte wurden bezirksweise zusammengefaßt und ergeben die in der Tabelle wiedergegebenen Werte. Dabei zeigt sich, daß die Durchschnittsvitalität der Bäume bei etwa 2,4 liegt. Der Durchschnittsbaum fällt also in die Klasse zwei bis drei, mögliche bis deutliche Schädigung. Wenn das nicht ein Alarmsignal ist!

Mag sein, daß Vorarlberg mit seiner nach Westen offenen Lage besonders viel Schmutz aus den industrialisierten Nachbarländern importiert. Worauf die Misere zurückzuführen ist, soll in weiteren Untersuchungen herausgefunden werden. Bis zu diesen Ergebnissen will man in Vorarlberg jedoch nicht warten — und setzt gleich eine erste Maßnahme: Tempo 100 auf Autobahnen ein Jahr lang probeweise. Bravo, schaden wird es nicht.

ERHEBUNG DER VITALITÄT DES WALDES IN VORARLBERG. Österreichisches Bundesinstitut für Gesundheitswesen im Auftrag der Vorarlberger Landesregierung. Wien 1985

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