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Von Anfang an eine Republik, aber noch keine Demokratie

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Die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika ist die erste kodifizierte Verfassung eines größeren Staates in der Neuzeit. Mit ihr beginnt die Geschichte des Verfassungsstaates und des Verfassungsrechts. Als solche hat sie weltweit beispielgebend gewirkt.

Das gilt für die Institution „Verfassung“ selbst. Es gibt heute fast keinen Staat, der nicht eine Verfassung hätte. Freilich ist der gemeinsame Nenner recht klein.

Charakteristisch für die Verfassung der USA ist ihre Kodifikation als Rechtsgesetz und die erschwerte — in den USA ganz besonders schwierige — Abänder-barkeit dieses Gesetzes. Auf diese Weise wird die Gesetzgebung selbst durch die Verfassung gebunden. Zur besonderen Qualität dieser Verfassung gehört ferner ihre gerichtliche Durchsetzbar-keit.

Nicht alle heute gültigen Verfassungen weisen alle diese Eigenschaften auf.

Inhaltliches Kernstück der amerikanischen Verfassung ist das präsidentielle Regierungssystem. Es ist durch ein prekäres Gleichgewicht zwischen Präsident und Kongreß geprägt, das durch die Gerichtsbarkeit als starke „dritte Gewalt“ ergänzt wird.

Die „Verfassungsväter“ orientierten sich dabei an der Idee der Gewaltenteilung (John Locke, Montesquieu) sowie an den Verhältnissen im englischen Mutterland. Dort wies freilich schon vor 200 Jahren die Entwicklung in eine andere Richtung: zum parlamentarischen Regierungssystem mit seiner Abhängigkeit der Regierung vom Vertrauen des Parlamentes und dem daraus resultierenden Gewaltenmonismus.

Europa ist dem englischen Vor-büd gefolgt. Dagegen ist das präsidentielle Regierungssystem in der Dritten Welt oft nachgeahmt worden. Dort wurde freilich auch seine Labilität sichtbar. Es setzt offenbar bestimmte sozio-ökono-mische Bedingungen voraus. Fehlt es an diesen, so ist es in Gefahr, in eine Diktatur umzukippen, wie das viele Beispiele in Südostasien, Südamerika und Afrika leider belegen.

Die Vereinigten Staaten waren wohl von Anfang an eine Republik — die erste eines größeren Staates in der Neuzeit —, aber noch keine Demokratie im heutigen Sinn. Sie wurden ursprünglich von einer begüterten Oberschicht getragen, die der Demokratie durchaus skeptisch gegenüberstand. .

Eine Demokratisierung erfolgte erst schrittweise mit der Ausdehnung des Wahlrechts auf breitere Bevölkerungsschichten. Faktische Wahlrechtsbeschränkungen der schwarzen Bevölkerung wirkten bis in die jüngste Vergangenheit.

Noch heute wird der Präsident formell von einem Wahlmännerkollegium und nicht direkt durch das Volk gewählt. Aber am Ende des Tages, an dem das Volk seine Wahlmänner wählt, steht auch fest, wer von diesen zum Präsidenten zu wählen ist.

Dieser Präsident vereinigt eine Machtfülle, wie sie zumindestens seit dem Ende des 1. Weltkrieges längst kein Monarch in Europa mehr besitzt.

Noch nicht im ursprünglichen Text der Verfassung finden sich die Grundrechte. Sie wurden erst 1790 angefügt, gehören aber geistesgeschichtlich zum Grundbestand der Verfassung.

Schon die Unabhängigkeitserklärung von 1776 sprach von „unveräußerlichen Rechten“ jedes Menschen. Dazu kommen die zwischen 1776 und 1783 entstandenen Grundrechtskataloge der Verfassungen einzelner Gliedstaaten, zum Beispiel Virginias. Uber La Fayette wirkte all das auf die französische Erklärung der Menschenrechte von 1789. Dort heißt es unter anderem: Eine Verfassung ohne Grundrechte ist keine Verfassung.

Die starke Stellung der Gerichte in den USA ist ein Erbe des Mutterlandes. Neu ist aber die Verbindung von Verfassung und Gerichtsbarkeit.

Die amerikanischen Richter nehmen in Anspruch, alle Staatsakte, auch Gesetze, auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Im Text der Verfassung ist dies nicht ausdrücklich genannt, und es ist umstritten, inwieweit dies von den Verfassungsvätern als selbstverständlich vorausgesetzt wurde.

Verfassungsgerichtsbarkeit dieser Art ist eine amerikanische Erfindung. Sie hat eine entscheidende Abänderung in der österreichischen Bundesverfassung von 1920 erfahren. Anders als in den USA wird sie hier bei einem besonderen Gericht, dem Verfassungsgerichtshof, konzentriert, während für alle anderen Gerichte gilt, daß sie die Gültigkeit kundgemachter Gesetze nicht in Frage stellen dürfen.

Neben der amerikanischen ist diese österreichische Variante zum zweiten grundlegenden Modell der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Gegenwart geworden und hat vor allem nach 1945 in zahlreichen europäischen Ländern vorbildhaft gewirkt. j

Der Autor ist Professor für öffentliches Recht, insbesondere vergleichendes Verfassungsrecht, an der Universität Wien.

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