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Von Apotse bis Zottelbär

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Wenn die schwarzhaarige Schöne mit der Sonnenbrille, die den Zwei-spitz des Seeräubers auf dem Kopf hat und sich im Körper eines Clowns fortsetzt, unten mit dem Holzbein wiederum des Seeräubers endet, ist schon viel gewonnen, denn es könnte ja, beginnend mit dem blumenbesteckten blauen Frühlingsdamenhut, dann, jeweils eine Karte tiefer, mit dem bärtigen Kopf des Seeräubers, mit dem Mittelteil der süßen Landkellnerin mit dem grünen Kleid und den roten Ärmelchen und schließlich mit den Beinen des Sträflings weitergehen, so daß gar nichts zu gar nichts paßt,

Tatsache ist jedenfalls, daß man ganz schön oft würfeln muß, bevor sich bei dem neuen Spiel „Mix Max“ (Otto-Maier-Verlag, Ravensburg) über allerhand recht lustige Zwischenstationen endlich komplette Figuren ergeben.

Es handelt sich hier um kein Lernspiel, aber wie eine Umfrage in Wiener Spielwarengeschäften erwies, ist der Trend zum Spiel, das mehr sein soll als ein Spiel, ungebrochen. Viele Eltern fragen schon beim Weihnachtseinkauf für Zweijährige nach Lernspielen.

Spätestens mit vier Jahren bricht das Lernspielen unweigerlich aus — das spielerische Lernen. Auch hier ist die Wirkung weitgehend eine Frage der Dosierung: Ein Gabentisch, auf dem jede Schachtel eine pädagogische Hoffnung verkörpert, zielt ebenso am angestrebten Effekt vorbei wie eine Erziehung, die alle intellektuellen Provokationen fürs Schulalter aufspart und sich auf Förderung künstlerischer Kräfte beschränkt. Gute Lernspiele sind

übrigens immer solche, die ihre pädagogischen Effekte nicht aufdrängen. Sie setzen sich bewußt vom echten, konsequenten Lernen — das durchaus auch schon im Vorschulalter in Angriff genommen werden kann und wohl auch soll — ab.

Am konsequentesten wird das Lernspiel vom Verlag Otto Maier, Ravensburg, weiterentwickelt. Neu ist unter anderem der Kasten „Junior Mathe“, der Fünf- bis Zehnjährige ohne einen allzu durchschlagenden Lernbeigeschmack in die Anfangsgründe der Mengenlehre einführt (mit der sich die Eltern meist viel schwerer tun als ihre Sprößlinge), neu ist das Spiel „Denken und Sprechen“, das als entfernter Abkömmling konventioneller Bilderlegespiele unserer eigenen Jugend gar nicht so weit von jenen Spielen entfernt ist, mit denen lang vor der Lernspielmode, so vor dreißig oder vierzig Jahren, unsere eigene Intelligenz stimuliert wurde. Konservative Eltern brauchen dieses Spiel nicht zu fürchten, es ist viel harmloser, als der Name in Ihren Ohren klingen mag. Und hat den Vorteil, auch bei der Gestaltung der Spielregeln schöpferische Freiheit zu gewähren.

Geglückt, und nicht zur Förderung der sprachlichen und logischen, sondern der künstlerischen Intelligenz und Phantasie bestimmt, ist der „Spielgarten“. Aus Karten mit viel blauem Himmel und grüner Wiese, mit Bäumen, Blumen, Häuserteilen usw. lassen sich die vielfältigsten Landschaften zusammensetzen — es dürfte kein Wunschdenken sein, wenn wir diesem Spiel eine Zukunft

üs Evergreen der Spielwaren->ranche voraussagen.

Neu aufgemacht, aus der eigenen Kindheit unvergessen: Das gute alte (Vngelspiel mit dem Magneten, mit lern man eisenbewehrte Fische aus äiner Schachtel fischt. Ebenfalls neu lus Ravensburg das obligate SuperSuper-Puzzle: Eine Weltkarte aus 1500 (!) Teilen, deren Rekonstruktion auch für einen Erwachsenen einen ,Fulltimejob“ für einen verregneten rag darstellen dürfte.

Auf dem Gebiet des Kinderbuches ist das Zusammenfallen eines phantasievollen, dabei anspruchsvollen Textes mit einer Illustration, die sowohl den kindlichen als auch höhergerichteten ästhetischen Ansprüchen genügt, heute so selten wie eh und je. Aus dem Verlag Heinrich Ellermann, München, kommt eines jener Kinderbücher, an die Kinder noch denken, wenn sie längst Erwachsene geworden sind: „Der Buchstabenfresser“ von Jess R. Moransee und Ursel Maiorana (Abbildung am Kopf dieser Seite!). Über dieses Buch lacht jedes Kind, das die ersten Leseversuche hinter sich hat, Erwachsene lachen vor allem auf der ersten Seite; an der Illustration ist das Erstaunliche, daß sie weder von der Kindlichkeit noch von der künstlerischen Konsequenz Abstriche macht und dabei ihrer Aufgabe gerecht wird. (Im Vorjahr erschien bei Büchler, Wabern, ein solches Buch: Heinz Looser illustrierte Kiplings „Wie der Elefant seinen Rüssel bekam“. Das Buch ist auch heuer zu haben.)

Bei Eilermann erschien auch die witzige, nette Geschichte „ich will“ vom Schlumpf, der sich in einen Schlupf, einen Schlirp, einen Schleich, einen Schlaun, einen Schlark, einen Schlonz, einen Schlemm und zuletzt einen (glücklichen) Schluchz verwandelt (von Blech/Stempel/Ripkens) sowie

„Ricos Zaubergarten (Pache/Gro-bety), die vor allem illustratorisch besticht.

Ein ganz anderer Typ von Kinderbuch: Das Kinderbuch, das die Frage provoziert, ob es sich hier nicht um ein kindliches Buch für Erwachsene handelt, mehr Kindheitsreminiszenz als Kinderbuch, das auch zweifellos nicht jedes Kind fasziniert, dafür aber manches um so mehr. Zweifach repräsentiert, in beiden Fällen vorbildlich, im Insel-Verlag: „Der glückliche Prinz“ von Oskar Wilde (Übersetzung Franz Blei), illustriert von Alfred von Meysenburg in einer sehr artifiziellen aus dem Stil der Zeitungsstrips nicht ins Modisch-Brutale, sondern ins überfeinerte weiterentwickelten Weise. Ein Buch, das sich nicht sofort erschließt, aber vor allem sensible Kinder sicher bereichert. Wilhelm

Schlote schrieb und zeichnete die „Penstergeschichten“, die vor allem solchen Kindern gefallen werden, die, von selber oder von Eltern getrimmt, besonderen Sinne für „literarische“ Pointen (und deren graphische Umsetzung) haben. Übrigens: Wenn ein solches Buch zunächst unbeachtet liegenbleibt, macht das gar nichts. Es wird um so sicherer später „entdeckt“.

Auf dem Buchsektor hat sich der Otto-Maier-Verlag demgegenüber mehr auf Nummer Sicher, mit pädagogischer Betonung, verlegt. „Wie kleine “Tiere groß werden“ (Wolfgang de Haen) ist ein Kindersachbuch über Tierkinder, die Illustration vor allem informativ. Anspruchsvoller, mit modischen Ton-in-Ton-Effekten illustriert, ist „so geht das Jahr ins Land“ von John Burningham.

Neben dem künstlerischen Kinderbuch, dem naiven Kinderbuch, dem phantastischen Kinderbuch und dem Erwachsenenkinderbuch gibt es auch noch (und nicht erst heute) das kritische Kinderbuch, auf das sich in Deutschland am stärksten der Parabel-Verlag in München spezialisiert. Aber ein Buch, das Kinder zu kritischem Denken veranlaßt, ist nicht leicht zu machen. So wird, wer „Das Märchen vom kleinen Herrn Moritz“, dem auf dem Kopf eines kalten Wintertages plötzlich — zur Begeisterung aller grantigen Menschen — wunderschöne Blumen wachsen, die ihm aber während des Gespräches mit einem Polizisten wieder abhanden kommen, liest, kaum auf den Verfasser tippen — kein Geringerer als Wolf Biermann. Das Resultat seiner Bemühung kann jeder seinen Kindern schenken — sie werden darob nicht rot.

Die Geschichte von Pimpinella, die ihre Tante ärgert, worauf die Tante den schwarzen Mann ruft, vor dem sich aber nicht Pimpinella, sondern die Tante fürchtet, verdankt ihre Wirkung sicher weniger einer kritischen Haltung (von Autor oder Kind) als der Bereitwilligkeit vieler Kinder, sich mit schlimmen Kindern zu identifizieren (was ganz gesund sein soll).

Sehr nett ist die Geschichte „Ich bin ein großer Zottelbär“ von Janosch, der es nun doch gelungen sein dürfte, die Kinder wenigstens für Augenblicke zu einer etwas di-stanzierteren inneren Haltung zum Auto zu bewegen (wie sich da die Progressiven mit den Konservativen treffen, während die Geschichte „Die Apotse kommen“ (Karsunke/ Hachfeld) ernsthaft als kritisches Kinderbuch anzusprechen ist. Und als ein sehr empfehlenswertes Kinderbuch, trotzdem oder deshalb.

Denn wer kann schon begreifen, warum die Menschen die kleinen Kobolde, die da plötzlich in einer Stadt erscheinen, zuerst von der Müllabfuhr wegschaffen und dann, nach ihrer Rückkehr, ins Gefängnis sperren lassen? Das ist so unverständlich wie den Kindern ununterbrochen begegnende Realität der Erwachsenen, die ja Kindern nicht lange verborgen bleibt. Ein bißchen bereitet dieses Buch die Kinder auf solche Realitäten vor, sehr vorsichtig, sehr zurückhaltend, und — weil es doch ein Kinderbuch ist — trotz allem mit viel Humor. Dieses Buch sollte man seinen Kindern nicht nur kaufen, sondern auch vorlesen. Langsam und sie dabei beobachtend.

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