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„Von den Anarchisten beeinflußt…?“

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Der Gesundheits- und Sozialminister von Nordirland, W. K. Fitzsimmons, ist der geeignetste Mann, um die Haltung der Konservativen in Faulkners nordirischem Kabinett und gleichzeitig den Standpunkt der protestantischen Oberschicht zu vertreten. Er ist 62 Jahre alt und Inhaber einer Handels- und Installationsfirma. Er ist seit 1948 in der Politik und seit 1956 Parlamentarier und hat ein außerordentlich starkes Gespür für die Erfordernisse der Zeit:

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Der Gesundheits- und Sozialminister von Nordirland, W. K. Fitzsimmons, ist der geeignetste Mann, um die Haltung der Konservativen in Faulkners nordirischem Kabinett und gleichzeitig den Standpunkt der protestantischen Oberschicht zu vertreten. Er ist 62 Jahre alt und Inhaber einer Handels- und Installationsfirma. Er ist seit 1948 in der Politik und seit 1956 Parlamentarier und hat ein außerordentlich starkes Gespür für die Erfordernisse der Zeit:

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Anläßlich der Heirat einer seiner beiden Töchter mit einem Katholiken verließ er den „Orange Order“, die ausgeprägteste aller protestantischen Organisationen in Nordirland. Er war (zuerst als Erziehungs-, später als Entwicklungsminister) Mitglied der Regierungen O’Neill und Chichester- Clark und gilt in katholischen Kreisen als stockkonservativ. Mit Minister Fitzsimmons sprach „Furche“-Redaktionsmit- glied Hellmut Butterweck.

FURCHE: Zahlreiche katholische Politiker Nordirlands beklagen sich darüber, daß die Ende des Jahres 1969 versprochenen Reformen Theorie geblieben sind. Ist es tatsächlich so?

FITZSIMMONS: Dem möchte ich nicht widersprechen. Es braucht Zeit, Reformen auch tatsächlich zum Tragen zu bringen. Aber bedenken Sie anderseits: Das Gebiet, auf dem die Opposition mit ihren Forderungen am aktivsten war, war die Wohn- situation, wobei erstens die Knappheit an Wohnungen und zweitens deren Verteilung kritisiert wurde. Nun war die Knappheit an Wohnungen durch Geldmangel und nicht durch bösen Willen verursacht, und die Bauleistung stieg von Jahr zu Jahr. 1970 wurde ein Rekord erreicht, 13.000 Wohnungen, drei Viertel davon waren Einfamilienhäuser für Arbeiter. Sehr wichtig ist die Slumbereinigung.

FURCHE: Und wie steht es mit der Verteilung?

FITZSIMMONS: Mehr als 60 Behörden befassen sich damit auf lokaler Ebene, und davon werden 55 ihrer Aufgabe sicherlich voll gerecht. Auch wenn es da und dort Beschwerden gibt — sie machen ihre Sache so gut sie können.

FURCHE: Nun wurden Reformen auf sehr vielen Gebieten gefordert und versprochen…

FITZSIMMONS: In Nordirland gehen viele Dinge schneller durch das Parlament als irgendwo anders. Minister Bradford (der frühere Handelsminister, siehe „Furche“-Gespräch in Nummer 42/1969, Anm. d. Red.) stellt jetzt die zentrale Autorität auf dem Gebiet der industriellen Entwicklung dar. Aber auch hier braucht die Amtsübernahme Zeit. Ein neuer Stil der Zusammenarbeit ist auf der ganzen Linie jedenfalls eingeleitet.

FURCHE: Um ein Beispiel zu nennen: In Londonderry mit 60 Prozent Katholiken war es noch vor zwei Jahren für einen Katholiken praktisch unmöglich, einen leitenden Job in der geschlossen protestantischen Stadtverwaltung zu bekommen.

FITZSIMMONS: In Londonderry haben sich die Verhältnisse gründlich geändert, die gesamte alte Lokalregierung ist weg, neu ernannt, die neue ist gemischt, es gibt darin Katholiken und Protestanten …

FURCHE: Welche Gruppe hat dabei die Mehrheit inne?

FITZSIMMONS: Die Unioni- sten (sprich Protestanten, Anmerkung d. Red.) haben eine kleine Mehrheit, aber die Mehrheit. Ich glaube, der stellvertretende Vorsitzende ist Katholik.

FURCHE: Was hat diese neue Körperschaft bisher geleistet?

FITZSIMMONS: In Londonderry war man besonders erfolgreich. Tausende Häuser wurden gebaut, allerdings auch wieder hunderte zerstört.

FURCHE: Von wem?

FITZSIMMONS: Von Hooligans, verwahrlosten Jugendlichen, die bei uns ein sehr großes Problem darstellen.

FURCHE: Wobei man wohl sagen kann, daß Arbeitslosigkeit die wesentliche Ursache für die Bildung von Banden Jugendlicher ist.

FITZSIMMONS: Da wäre ich nicht so sicher. Dieser Umstand spielt mit, aber dieses Rowdytum gibt es überall, wo die Regierung bei einem kleinen Teil der Bevölkerung unbeliebt ist.

FURCHE: Die Anzahl der Arbeitslosen hat zugenommen?

FITZSIMMONS: Ja. Wer konnte etwas anderes erwarten?

FURCHE: Warum?

FITZSIMMONS: Wir, das heißt die Wirtschaft Nordirlands, hängen stark von der industriellen Situation in Großbritannien und den USA ab und beide Volkswirtschaften sind nicht so wie früher gewachsen. Dazu kommen die Ausschreitungen der letzten drei Jahre, die natürlich die Industriellen im Ausland nicht gerade ermutigt haben, nach Nordirland zu kommen. Der April 1971 war wesentlich ungünstiger als der des Vorjahres.

FURCHE: Wie haben sich die Ausschreitungen tatsächlich auf die Produktion ausgewirkt? Es wurde wiederholt erklärt, diese Auswirkungen seien sehr überschätzt worden.

FITZSIMMONS: Das stimmt. Innerhalb der Fabriken gab es wenig Schwierigkeiten. Aber in Armagh ist eine große Fabrik, die Produktionsstätte einer englischen Gesellschaft, zerstört worden, und in Belfast fielen etwa 20, allerdings sehr kleine, Fabriken vorübergehend aus.

FURCHE: Brachte der Wahlsieg der Konservativen im Vorjahr eine Änderung in der Politik der Londoner Regierung gegenüber Nordirland?

FITZSIMMONS: Nein. Pre mierminister Heath hat im Wahlkampf erklärt, er werde die Linie von Wilson in dieser Frage weiterverfolgen, und dieses Statement wurde nach dem Regierungswechsel erneuert. Ich möchte bei dieser Gelegenheit sagen, daß unsere jetzigen Schwierigkeiten und die der letzten drei Jahre ihren Ursprung — dies ist meine persönliche Meinung — außerhalb Nordirlands haben.

FURCHE: Wie ist das zu verstehen?

FITZSIMMONS: Es ist eine internationale Erscheinung. Ich erinnere Sie an die drei Personen, die verhaftet wurden, da sie eine nordirische Universität anzünden wollten, einer war ein Deutscher, einer ein amerikanischer Journalist, nur einer Engländer.

FURCHE: Braucht es wirklich Anstiftung von außen, um in einer Minderheit, die in einem solchen Ausmaß arbeitslos und gegenüber der Mehrheit benachteiligt ist wie die nordirischen Katholiken, die Gewalt reifen zu lassen?

FITZSIMMONS: Sie kommen wieder auf die Arbeitslosigkeit als Grund der Schwierigkeiten zurück, das mag auch bis zu einem bestimmten Grad seine Berechtigung haben, aber eben nicht ganz, in Nordirland ist ein sehr starker emotioneller Effekt beteiligt. Viele Katholiken haben Arbeit und schöne Heime.

FURCHE: Die Nation jedoch ist geteilt. Vor zwei Jahren wurde beispielsweise angekündigt, man würde mehr Katholiken in die RUC, die Royal Ulster Constabulary, aufnehmen. Was wurde aus diesem Projekt?

FITZSIMMONS: Seit 1921 (Teilung Irlands in einen unabhängigen Süden und ein im United Kingdom verbleibendes Nordirland, Anm. d. Red.) war immer ein Drittel der Posten in der RUC für römisch-katholische Bewerber reserviert. Aber — nie hatte die RUC mehr als ein Zehntel katholischer Beamter. Wir haben es versucht, aber was kann eine Regierung tun? Die Jobs sind da, die Bedingungen sind für alle gleich. Die Katholiken kamen nicht.

FURCHE: Und die Gründe dafür?

FITZSIMMONS: In den ersten 30 von den 50 Jahren, die Nordirland nun besteht, beharrte die römisch-katholische Gemeinschaft auf einem sehr hohen Grad von Nichtmitarbeit am Staat. In den letzten 20 Jahren wurde es besser, immer besser. Noch vor einer Anzahl von Jahren zum Beispiel war es so: Wenn wir einen römisch-katholischen Polizeibeamten auszeichnen wollten, sagte er ,nein, lieber nicht’, weil er um sein Ansehen unter den anderen Katholiken fürchtete. Auch das ist jetzt besser.

FURCHE: Die Besserung ist nicht sehr sichtbar.

FITZSIMMONS: Die Minorität akzeptiert die Regierung immer mehr, aber noch lange nicht hundertprozentig. Stormont, Nordirlands Parlament, eröffnet beispielsweise in beiden Häusern jede Sitzung mit einem Gebet. Es ist ausdrücklich niedergelegt, daß das Recht, dieses Gebet zu sprechen, jeden Monat einer anderen der vier Konfessionen zusteht, unter denen, neben der Church of Ireland (der anglikanischen Kirche, Anm. d. Red.), den Presbyterianern und den Methodisten, die katholische Kirche die größte ist. Der Platz für einen katholischen Kaplan war reserviert. Erst seit dem letzten Jahr, erst jetzt, schickt die katholische Kirche aber einen Kaplan, um das Gebet zu sprechen. Kardinal Conway hat im vergangenen Jahr zum erstenmal eine Einladung des Premierministers angenommen und ein öffentliches Gebäude offiziell betreten.

FURCHE: Will die IRA die Annäherung verhindern?

FITZSIMMONS: Ich glaube, die IRA ist von den Anarchisten beeinflußt, sie geht heute viel geschickter vor als in der Vergangenheit.

FURCHE: Ist die IRA in der Lage, die Annäherung zu stoppen?

FITZSIMMONS: Das ist jetzt der Fall. Bis 1968 hatten wir eine ständige, stille, unbemerkte Integration. Vor allem in der Mittelklasse. Seit dem Ausbruch der Unruhen strebt die Unterklasse wieder stark auseinander, die Mittelklasse weniger stark. Arme sind schutzlos, Arme sind leichter zu ängstigen — auf beiden Seiten.

FURCHE: Die „ständige, stille, unbemerkte Integration“ konnte aber, beispielsweise, nichts am ungerechten Wahlsystem ändern.

FITZSIMMONS: Dieses Wahlsystem wurde im Ausland sehr oft mißverstanden. Für nordirische Parlamentswahlen gilt strikt das Prinzip ,one man, one vote’ (Jede Wählerstimme hat gleiches Gewicht, anders als etwa in Österreich — Anm. d. Red.), nur für die Lokalwahlen waren, wie ja bekannt, nur Hausbesitzer wahlberechtigt.

FURCHE: Das Ergebnis war eine krasse Unterrepräsentation der Katholiken.

FITZSIMMONS: Da wäre ich vorsichtig. Ich hatte immer auch katholische Wähler. Nicht alle römisch-katholischen Nordiren sind Republikaner. Was jetzt vorgeht, ist ein Rückschlag, aber ich habe keinen Zweifel, daß das Endresultat gut sein wird. Bis 1973 werden alle angekündigten Reformen zum Tragen kommen.

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