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Von den Biologen schon überrollt ?

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Die Rechtsentwicklung bleibt hinter dem medizinischen „Fortschritt” weit zurück. Die Gefahren der künstlichen „Reproduktion” des Menschen sind indes unübersehbar.

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Die Rechtsentwicklung bleibt hinter dem medizinischen „Fortschritt” weit zurück. Die Gefahren der künstlichen „Reproduktion” des Menschen sind indes unübersehbar.

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Wer die Entwicklung der künstlichen Befruchtung in der letzten Zeit verfolgt hat und auf diesem Sektor sodann die Rechtsentwicklung ins Auge faßt, dem kommt der Gesetzgeber vor wie ein ahnungsloses Kind, das am Meeresstrand sitzt, mit den kleinen Wellen spielt und gar nicht bemerkt, wie sich in kürzester Zeit ein gewaltiges Gewitter zusammenbraut und die aufgepeitschten Wogen drohend heranrollen.

In den letzten Jahren sind die Biologen aus den Startlöchern ge-

Sprüngen und mit ihren Spikes davongestürzt, während die Juristen noch nicht einmal wissen, wo sich ihre Startlöcher befinden.

Die Legisten haben noch kaum Begriffe gebildet, geschweige denn, Gesichtspunkte ausgearbeitet oder gar Gesetzesinitiativen entfaltet, um die Problematik in den Griff zu bekommen.

Zum Beispiel tauchen in den Medien immer wieder Fotos von „Retortenbabies” auf, und man hat sich daran gewöhnt. Wer kann aber wirklich ermessen, wieviel Zündstoff diese neue Entwicklung in sich birgt!

Von den ungeheuren damit verbundenen Problemen sollen hier nur einige Rechtsfragen herausgegriffen werden:

# Auf der Basis der derzeitigen Rechtslage streiten sich die Juristen zunächst darüber, welcher Rechtscharakter dem außerhalb des Mutterleibes befruchteten Ei zukommt. Handelt es sich dabei um eine Sache im Rechtssinn, welche nur als Objekt angesehen werden kann und worüber der Eigentümer frei verfügen kann?

Oder handelt es sich um einen Nasciturus, dem als angehenden Rechtssubjekt (vollwertiger Mensch) eigene Rechte zustehen? So lächerlich diese Unterscheidung zunächst aussehen mag, ihr kommt ganz grundsätzliche Bedeutung zu.

Handelt es sich nämlich dabei um eine Sache, dann erhebt sich die Frage, wer Eigentümer derselben ist, der Samenspender oder die Eispenderin oder gar der dabei mitwirkende Arzt?

Glücklicherweise scheint die Mehrheit der Juristen doch der Ansicht zuzuneigen, daß es sich dabei ebenso wie bei einem Embryo im Mutterleib um einen Nasciturus, also um eine werdende menschliche Person handelt.

Kann man sich zu dieser Lösung durchringen, so müßte für den Nasciturus zur Wahrung seiner Rechte gleichzeitig mit seiner „Schaffung” ein Kurator bestellt werden.

• Das nächste Problem bringt bereits größere Schwierigkeiten mit sich und läßt sich auf der Basis der derzeitigen Rechtslage noch gar nicht lösen:

Welche Rechtsnatur hat das noch nicht befruchtete Ei? Handelt es sich dabei auch um eine Sache im Rechtssinn oder um einen „Quasi-Nasciturus”? Wenn es sich dabei um eine Sache handelt, wer ist dann der Eigentümer, wer kann darüber verfügen? Darf überhaupt jemand frei darüber verfügen oder gibt es rechtliche Grenzen der Verfügbarkeit und Manipulationsmöglichkeit?

Sieht man im noch nicht befruchteten Ei einen Quasi-Nasciturus, dann wäre es unsinnig, ihm schon vor der Befruchtung einen Kurator zu geben, wenn noch nicht einmal feststeht, ob das Ei

überhaupt befruchtet wird und ob daraus ein echter Nasciturus wird. Betrachtet man das nichtbe-fruchtete Ei als eine Sache, dann ist jeglicher Manipulation Tür und Tor geöffnet. • Schließlich: die Fälle der Verwendung des aus dem Mutterleib entnommenen unbefruchteten Eies und weiters des befruchteten Eies, also des Embryos.

Hier kommen zwei Fälle in Frage, nämlich die Einpflanzung in den gleichen Mutterleib oder in einen anderen. Es ist aber auch bereits möglich, ein solches befruchtetes Ei „.einzufrieren” oder gar „ tiefzufrieren”. Selbstverständlich könnte ein solches befruchtetes Ei auch vernichtet werden, wenn eine Verwendung nicht in Aussicht steht.

Die Fälle des Einfrierens und des Tieffrierens sowie der Vernichtung kommen deswegen durchaus häufig in Frage, weil man sich bemüht, in den meisten Fällen mehrere Eizellen zu gewinnen und zu befruchten, um die Chance für einen lebensfähigen Embryo zu erhöhen.

Damit entsteht das weitere Problem, was mit den „überzähligen befruchteten Eiern” geschehen soll. Darf man sie „aufbehalten” (Gefrier-Embryo), darf man sie für Forschungszwecke verwenden (Versuchs-Embryo), oder darf man sie einfach vernichten (Wegwerf - E mbryo).

Hier müßte der Gesetzgeber sofort klar Position beziehen, und zwar auf folgende Weise:

Sobald das Ei befruchtet ist, stellt es nicht mehr eine Sache dar, sondern einen Nasciturus, alr so einen Menschen, dem bereits eine Fülle von Rechten zusteht, und zwar bis zu jenem Zeitpunkt, da sie durch die Geburt voll zum Tragen kommen.

Für den Fall, daß der Embryo nicht sofort wieder in den Mutterleib der Eispenderin eingepflanzt werden kann, ist für diesen ein

Kurator zu bestellen, dem bestimmte Rechte und Einspruchsmöglichkeiten einzuräumen sind und ohne dessen Einwilligung über diesen Embryo nicht mehr verfügt werden darf.

Vor allem muß jeder medizinische und wissenschaftliche Versuch am lebenden Embryo untersagt werden, gleichgültig, ob es sich dabei um einen gezielten oder nur tastenden Versuch handelt, ist doch der Embryo als vollwertiges menschliches Leben anzusehen.

Schutz für Embryos

Bedenkt man, welcher Sturm der Entrüstung losbricht, wenn von Versuchen am lebenden Tier die Rede ist, um wieviel mehr muß der lebende Mensch vor solchen Versuchen bewahrt werden.

Der auch außerhalb eines Mutterleibes entstandene Embryo hat ein Recht darauf, sich voll zu entfalten, also durch die Geburt Mensch zu werden. Sollte dies nicht durch eine sofortige Einpflanzung in einen Mutterleib in die Wege geleitet werden können, so hat er zumindest Anspruch darauf, die nächstbeste Chance wahrnehmen zu dürfen, was anscheinend durch Einfrieren des Embryos möglich sein soll.

Das Vernichten eines Embryos ist bereits nach der derzeitigen Rechtslage nicht gestattet. Die Ausnahmebestimmung der „Fristenregelung” bezieht sich nur auf eine Schwangerschaft und trägt nur dem Ausnahmezustand der Schwangeren Rechnung, ein Gesichtspunkt, welcher bei dem außerhalb des Mutterleibes ins Leben gerufenen Embryo nicht zum Tragen kommt.

Trotzdem müßte man vom Gesetzgeber ein ausdrückliches Verbot der Vernichtung solcher Embryos verlangen. Damit erhebt sich automatisch die Forderun, nach Schaffung eines verfai sungsgesetzlichen Schutzes fi jeden Embryo.

Der Autor ist Rechtsanwalt in Innsbruck.

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