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Von den Kaiserlichen zum Schutzbund

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• „Für den Durchschnittsbürger, in welchem politischen Lager auch immer, wurde er (Theodor Körner) vor allem mit dem Republikanischen Schutzbund identifiziert. Sein Sich-zurück-Ziehen von dieser Stellung und seine Abkehr vom Schutzbund und all seiner Tätigkeit blieben in weitesten Kreisen unbeachtet, schon deshalb, weil die Sozialdemokratische Partei sein Ausscheiden nicht an die große Glocke hing.“

Im März 1973, 40 Jahre nach der am 4. März 1933 erfolgten Ausschaltung des Nationalrates, hielt der Vorstand der SPÖ den Zeitpunkt für gekommen, um neuerdings jede Mitschuld der politischen Linken am Ausbruch des Bürgerkrieges in der Ersten Republik abzustreiten. Jede These von einer „geteilten Schuld“ der Gegner im Bürgerkrieg wurde zugleich als „Geschichtslüge“ gebrandmarkt und scharf zurückgewiesen.

Geschichtsauffassungen, wonach in einem solchen Konfliktsfall nur ein Streitteil eine „Alleinschuld“ tragen soll, sind bekanntlich nicht haltbar. Dazu kommt, daß im konkreten Fall bereits die Aussagen zweier prominenter Sozialisten vorliegen, die als Tatzeugen die Alleinschuldtheorie widerlegen: Theodor Körner hat am Vorabend des Februaraufstands 1934 in einem Brief an Otto Bauer warnend darauf hingewiesen, daß die Pläne des damaligen Stabschefs des Schutzbundes „zu Bürgerkrieg und heftigem Blutvergießen führen müßten“ (Kollman, a. a. O. S. 200). Zwei Jahrzehnte nachher hat der Vizekanzler und Vorsitzende der SPÖ in der Koalitionsära, Adolf Schärf, in seinen politischen Erinnerungen (Österreichs Erneuerung, Wien 1955, Seite 376 ff.) dazu weiter ausgeführt: 1. Anläßlich der Ereignisse vom 15. Juli 1927 (Justizpalastbrand) und 4. März 1933 (Ausschaltung des Nationalrates) gab es in der Sozialdemokratischen . Arbeiterpartei gewisse „übereilte Beschlüsse oder Nachlässigkeiten von verantwortlichen Funktionären“. 2/ Die Partei hätte damals diese Verantwortlichen aus ihren Stellungen „entfernen müssen“.

3.Aber „man bewies gern, daß es so (und nicht anders) kommen mußte“.

4.Und also wurden in der Partei einer kritischen Beurteilung der „fraglichen Entscheidungen Schranken gezogen“.

E. C. Kollman, dem für seine zum 100. Geburtstag Körners erschienene Biographie des Wiener Bürgermeisters und Bundespräsidenten in vieler Hinsicht zu danken ist, geht auf derlei sowie andere, bereits längst vorliegende sozialistische Selbstkritik nicht weiter ein. Das ist um so bemerkenswerter, als der Autor, der ansonsten Schärf gerne in den Zeugenstand ruft, um 1960 bei seinen Forschungsarbeiten in Wien noch Gelegenheit gehabt hätte, Schärf zu dessen Lebenszeiten näherhin in diesem Punkt zu befragen. So aber gerieten die vor den Äußerungen Schärfs bestandenen und jetzt, 1973, von der SPÖ reproduzierten einseitigen Kli-scheevorstellungen zum Teil neuerdings in die vorliegende Körner-Biographie.

Kollman wiederholt im Detail, was jetzt vorherrschende Meinung in Österreich geworden ist: daß nämlich die Sozialdemokratische Arbeiterpartei und ihr Schutzbund in den zwanziger Jahren nur einer „schein-radi-kalen Phraseologie“ nachgehangen seien. Dieser Schein sollte demnach dem Radikalismus der Kommunisten den Wind aus den Segeln nehmen. So gesehen, entsteht der Eindruck, als hätten sich die „anderen“ nur vor einem Popanz gefürchtet. Und während Kollman die „eingebildete Angst“ der Verlierer von 1918 und deren Mißbrauch durch namentlich bezeichnete Pressure Groups herausstellt, analysiert er kaum jene Gewalt der Tatsachen, mit der sich nach 1917 die politische Linke der Staatsgewalt in verschiedenen Ländern bemächtigt hat, ohne dabei viel auf Spielregeln der Demokratie zu achten. Unter solchen Umständen erwiesen sich die Worte: Revolution, Terror und Diktatur nicht als Phraseologie, sondern als die Bezeichnung der Mittel zur Machtergreifung der Linken.

Heute weiß man, daß nach 1918, als die Stabsoffiziere im ehemaligen Kriegsministerium an einem Wehrkonzept der Republik arbeiteten und die Unteroffiziere in den Wiener Kasernen die „Moral“ ihrer Wehrmänner mit dem wienerischen Zuspruch: „Nur net anarchistein, meine Herrn“, im Zaum zu halten versuchten, in Wirklichkeit bereits die Werbung für eine Volkswehr vorbereitet wurde, wobei sich der Angeworbene in seinem Werbeventrag

• für einen Staat verpflichten sollte, dessen „Ziel und Zweck der Klassenkampf“ war, wobei der Dienst in einer „proletarischen Armee“ zugleich Dienst an der „sozialen Revolution“ sein sollte, der der Wehrmann „zu jeder Zeit, an jedem Ort, gegenüber jedermann und unter allen Umständen“ verpflichtet war.

Noch vor dem 15. Juli 1927 hat Otto Bauer die Gewalt der Tatsachen anläßlich seiner Taufrede für das Parteiprogramm 1926 der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei auf deren Parteitag in Linz haarklein expliziert. Den Gegnern dieser Bewegung wurde angedroht, sie würden die „Diktatur des Proletariats“ zu spüren bekommen, wenn sie sich unterstehen sollten, die von der „Arbeiterklasse“ angestrebte Umwälzung zu „sabotieren“ oder sich durch „Verschwörung mit ausländischen gegenrevolutionären Kräften“ zu widersetzen. Julius Deutsch, der zusammen mit Otto Bauer an der Spitze des bewaffneten Aufstands vom Februar 1934 stehen sollte, nennt dieses Gewaltexperiment eine „Diktatur im Interesse und zur Verteidigung der Demokratie“. Einer Demokratie, die um 1926 wohl kaum von der unter einem christlichsozialen Kanzler amtierenden Regierung bedroht war, zumal besagter Kanzler von Bauer in der nämlichen Rede wegen seiner Schwächlichkeit ausdrücklich verhöhnt wurde.

Bauers Drohung wurde nicht etwa an zahlenmäßig kleine Pressure Groups gerichtet, die er nannte (Kapitalisten, Ausbeuter), sondern an die kompakte Mehrheit der Bevölkerung, die trotz sonstiger parteipolitischer Zersplitterung die Ziele, Methoden und Typen des Marxismus ablehnte. Diese Mehrheit, die zuweilen mit dem Bild der unaufhaltsamen Kraft der Weltrevolution des Internationalismus der Linken geschockt wurde, sollte sich nach Bauer ja nicht unterfangen, etwa auf internationaler Ebene Widerstand zu leisten. Und angesichts der bereits damals offenkundig gewordenen Irrtümer der marxistischen Theorie und Praxis wurde dieser Mehrheit zugemutet, nicht nur quasi „Naturnotwendigkeit“ der Linksentwicklung zu akzeptieren, sondern auch deren moralische Überlegenheit.

Zugleich mit dieser Gewalt der Tatsachen wurde ein „proletarischer Wehrwille“ exemplifiziert. Dazu holte man sich Körner, nachdem dieser den aktiven Dienst im Bundesheer quittiert hatte. Gibt man einem Schuster, der sein Handwerk versteht, gutes Material und Arbeitsmöglichkeiten in die Hand, dann wird dieser keine Damenhandtäschchen, sondern Schuhe produzieren. Und indem eine Massenpartei, wie die Sozialdemokratische Arbeiterpartei der zwanziger Jahre, eine militärische Kapazität wie Körner beauftragte, ihren Schutzbund nach den Ereignissen vom 15. Juli 1927 zu reorganisieren, konnte das Produkt keine Friedensliga werden, sondern eben: Militär oder Para-Militär. Und also hat sich Körner von 1927 bis 1929 sehr gründlich mit Fragen der Organisation, Bewaffnung und Führung des Schutzbundes beschäftigt. Ihm nur deswegen einseitig gerichtete Vorwürfe zu machen, wäre ebenso heuchlerisch, wie andere Militärs unerwähnt zu lassen, die gleichzeitig „auf der anderen Seite der Barrikade“ daran waren, mit zuweilen geringerem Geschick, aber mit gleichem Eifer zu wirken.

In dem Buch „An der Zeitmauer“ erklärt Ernst Jünger, wieso es komme, daß gerade die Aristokratie in ihren geistigen Repräsentanten „den Umwälzungen voranschreite*': Sie wird auf ihrem erhöhten Standpunkt zuerst von der „Morgenröte“1 des Kommenden getroffen; sie erlebt, wie „Dinge längst abgehandelt sind“, wenn es „zum Umsturz kommt“. Und das kann den Eindruck des Mannes erwecken, der den Ast sägt, auf dem er sitzt.

Zwei Söhne des traditionsbewußten, schwarz-gelb ausgerichteten Tornisteradels Altösterreichs sind es gewesen, die dem Schutzbund der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei das Gefüge angesichts der Alternative: Klassenkampf mit oder ohne Gewaltanwendung gaben. Theodor Körner Edler von Siegringen, 1918 k. u. k. Oberst und Generalstabschef der legendären Isonzoarmee, und Alexander Eifler Edler von Lobenstedt, der später seinen Einsatz für eine zusammengefaßte Abwehr gegen den 1938 hereinbrechenden Nationalsozialismus mit seinem Tod im KZ bezahlen mußte.

Als die Monarchie zerbrach, haben unzählige Menschen aller Nationen des Multinational Empire neue Haltepunkte gesucht.' Indem Korner später nach links ging, hat er seinen Offiziersberuf nicht verraten; noch in der Haft nach den Ereignissen des Februars 1934 nahm er für sich in Anspruch, im Krieg „von Anfang bis zum Schluß seinen Dienst gemacht zu haben“. 1913 glaubte der eben ernannte Oberstleutnant Körner eher im Kreis der Männer um Erzherzog Franz-Ferdinand Ideen für Neues zu erkennen und er bot sich an. 1918/19 stellte er sich der Leitung des Heeresressorts der jungen Republik zur Verfügung und viele Konzepte aus jener Zeit haben angesichts der heutigen Malaise des Bundesheeres eine beklemmend wirkende Aktualität. Und Körner refusierte auch nicht, als 1921 und 1922 der Christlichsoziale Carl Vaugoin, sein späterer politischer Gegner, die Ressortleitung übernahm. Nach dem Konflikt im Amt stieß Körner 1924 zur Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Ein Psychogramm dieses „letzten Schrittes“ konnte auch Kollman nicht vollends gelingen. Wohl aber erwähnt der Autor mit aller Deutlichkeit die Ursache jener Distanz, die Körner 1929 zum Schutzbund legte: Kein Gesinnungswechsel, sondern Folge der Einsicht, wonach der militärische Wert der diversen „Parteiarmeen“ der zwanziger Jahre gering bleiben mußte; und das kalkulierte Risiko eines „defensiven Putsches“ nicht nur mit Körners Wissen in Wiederspruch geriet, sondern auch mit dessen Gewissen. Indem Körner damit zu Einsichten zurückkehrte, die er bereits gegen Ende seiner aktiven Dienstzeit im Heeresministerium hatte, bewies er zumal in der Spätkrise der Bürgerkriegsära eine Gewissenhaftigkeit, die zumal jene nicht aufbrachten, die den heute unfaßbaren Opfermut des Einzelkämpfers mißbrauchten.

Kollman hat die große Zeit des Grand Old Man aus Altösterreich noch einmal beschrieben: die Ära des Bürgermeisters der vierfach besetzten Bundeshauptstadt nach 1945 und das Finale im Präsidentenpalais. Körner war eine der unerläßlichen Korsettstangen, deren es in der eher „lieblosen“ Vernunftehe der Regierungskoalition 1945 bis 1966 zu Zeiten bedurfte. Diese Art der Zusammenarbeit hat Körner bejaht, weil sie ihm „brauchbar“ erschien. Dieses Bild des kompromißbereiten alten Mannes in der Dämerung verdeckt ein wenig die Tatsache, daß Körner im Grund politisch radikal dachte; und zwar in dem Sinn, daß er politische Fragen nicht oberflächlich, sondern an der Wurzel anging. Stößt man aber auf den Kern seiner Persönlichkeit, dann wird eine „Vorkriegsqualität“ des österreichischen erkennbar, die man jetzt nur mehr an jenen rar gewordenen Typen wahrnimmt, mit denen sich das Beste aus Alt-Österreich nunmehr endgültig verabschiedet. Je älter und je einsamer Körner wurde, desto mehr trat diese seine Ursprünglichkeit zutage. Kollman beschreibt, wie Körner zuweilen sein Temperament im guten wie im schlechten Sinn durchging; wie dann einige von Taktlosigkeit redeten, andere vom Mangel an politischem Instinkt, dritte einfach von Kommis-sigkeit. Wer als Bundesminister eine von Körners „Kapuzinerpredigten“ zu hören bekam, wird indessen gerade angesichts solcher Erinnerungen der Gradlinigkeit des „alten Körner“ die Ehrenbezeigung nicht vorenthalten. Das Volk aber wird hoffentlich den „Körner“ nicht vergessen, wenn ihm im Politischen zuweilen weniger Wesentliches begegnet, dafür aber manches sorgfältig aufgemachtes Image.

Am 24. April 1973 wäre der „General“ 100 Jahre alt geworden. Die Generalität der Monarchie ist ausgestorben. Es tun aber noch drei „alte“ Diener aus ihren Reihen Dienst: In Prag amtiert der gewesene k. u. k. Fähnrichsanwärter Ludvik Svoboda, jetzt General und Präsident der CSSR; in Belgrad der ausgezeichnete kroatische Unteroffizier Josip Broz-Tito, jetzt Marschall und Präsident der Republik, und in Wien der gewesene k. u. k. Infanterist Franz Jonas, seit 1965 Bundespräsident der Republik Österreich. Sie ragen in jener Schüttzone auf, die nach dem Ende des Multinational Empire blieb. Und niemand weiß, was nach ihrer Zeit sein wird. Dann, wenn das Jahrhundert des Theodor Körner vollends vorbei sein wird.

THEODOR KÖRNER, MILITÄR UND POLITIK. Von Eric C. Kollman. Verlag für Geschichte und Politik, Wien 1973, 468 Seiten, 13 Abbildungen, S 280.—.

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