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Von der Abschaffung der Wirklichkeit

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MusiK Roman „Oer Mann ohne Eigenschaften" bleibt unabgeschlossen. Spricht die Kritik vorerst von einem Torso, so weiß sie es später besser, - Musils Lebenswerk unterläuft nicht nur die Einbahnstraße des Erzählens, es verwirft ebenso den Schein des geschlossenen Werks, seine Beruhigung in Anfang und Ende.

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MusiK Roman „Oer Mann ohne Eigenschaften" bleibt unabgeschlossen. Spricht die Kritik vorerst von einem Torso, so weiß sie es später besser, - Musils Lebenswerk unterläuft nicht nur die Einbahnstraße des Erzählens, es verwirft ebenso den Schein des geschlossenen Werks, seine Beruhigung in Anfang und Ende.

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„Eines Tages", so Ingeborg Bachmann, „bemerkte die Kritik unter anderem, daß sein Roman der größte geschichtsphilosophische Versuch und der schonungsloseste Roman der Weltanschauungskritik seit Voltaires .Candide' sei." Es geht um die Zeit. Nicht allein um die Zeit des „Fortwursteins" im versunkenen, kaiserlichköniglichen Kakanien, um seine bürokratische Verlangsamung, sondern auch um ihre Kehrseite, um Metropolis als „soziale Zwangsvorstellung". -„Rohrpostmenschensendungen, Kraftwagenketten rasen horizontal, Schnellaufzüge pumpen vertikal Menschenmassen von einer Verkehrsebene in die andere;.. .zwischen zwei losdonnernden Geschwindigkeiten eine Synkope, eine Pause, ... ohne Überlegung angesaugt und hineingerissen... Fragen und Antworten klinken ineinander wie Maschinenglieder..."

Das Denken der Gegenwart wie-derholtdas Motiv eines „In-der-Weltsein" - auf Rolltreppen gestellt. Wo es bei Musil heißt, daß die Wirklichkeit sich selbst abschafft, spricht man heute von einer Ästhetik des Ver-schwindens. Einer selbst ins Rasen gekommenen Welt entspricht die Gleichschaltung durch Geschwindigkeit als sichtbarste, ihrer Varianten. Musil faßt das Getriebe von Politik, Kultur und Wissenschaft als geschäftiges „Seinesgleichen geschieht".

Eigenschaftslosigkeit zeichnet dann den Normalzustand im Horizont der Langeweile, Subjektlosigkeit als Entfremdung. Der Mannohne Eigenschaften verkehrt sie zum Experiment des Möglichen, erprobt sie als Chance gegen den Lauf des Seinesgleichen. Aber „die Sache hat uns in der Hand. Man fährt Tag und Nacht in ihr und tut a.uch alles andere darin; man rasiert sich, man ißt, man liebt, man liest Bücher, man übt seinen Beruf aus, als ob die vier Wände stillstünden und das Unheimliche ist bloß, daß die Wände fahren, ohne daß man es merkt und ihre Schienen vorauswerfen, wie lange, tastend gekrümmte Fäden, ohne daß man weiß wohin." So erscheint die Zeit als „ein Fluß, der seine Ufer mitführt". Das „Gespenstische des Geschehens", wird Musils erklärtes Thema sein.

Auch er teilt das Unbehagen am bürgerlichen Parlamentarismus. Die Wiederholung, das Ereignislose, aber führen nicht in die messianische Verkennung des Politischen. Ihr Scheitern zeichnet der Roman. Auch dem Geschichtlichen als Einbruch der Seinsgeschichte, wie Martin Heidegger sie gegen Uneigentlichkeit und Indifferenz des Daseins entwirft, bleibt Musil fern.

Der Durchschnitt, die Statistik zeichnen die Folie der Notwendigkeit. Vergeblichkeit zeigt sich als Grundzug des „Seinesgleichen". Darin „werden es in der Summe oder im Durchschnitt immer die gleichen Möglichkeiten bleiben, die sich wiederholen". Zugleich aber ist es „die Wirklichkeit, welche die Möglichkeiten weckt", und der Möglichkeitssinn, der, wie schon Friedrich Nietzsche, aufruft zur Erfindung der Geschichte. Solche Erfindung läßt gewordene Wirklichkeit selbst verstehen als Geflecht der Erfindung im Weltlauf. Weder der dem Handeln entzogenen Vergangenheit, noch der Zukunft attestiert sie eine geschichtsphiloso-phisch konstruierte Notwendigkeit. Eher liegt „im Verlauf der Weltgeschichte ein gewisses Sich-Verlaufen". Das Bild des Stille-Post-Spielens tritt an die Stelle von ehernen Notwendigkeiten. Musils Roman überprüft die verschiedenen Sprachspiele in der Schreibweise der Ironie. In ihr und nicht als Meinung des Autors tritt der Anspruch auf Exaktheit auf, wie der Traum von der Einheit der Naturwissenschaft, - „von mathematischen Aufgaben, die keine allgemeine Lösung zulassen, wohl aber Einzellösungen, durch deren Kombination man sich der allgemeinen Lösung nähert".

Hannah Arendt hat gezeigt, daß Naturwissenschaft an der Schwelle zur Moderne zum einzigen Ort wird, an dem sich der Prozeßcharakter des Handelnsorganisiert, - das aus dem Politischen abgezogene Hineinhandeln in die Zukunft. Was dem Handeln und Sprechen zugesprochen war, - daß es Prozesse auslöst, die es nicht vorhersehen kann, Prozesse, die irreversibel sind, kommt nun dem Horizont einer an Mikro- und Makrokosmosorientierten Wissenschaft zu. Der Möglichkeitssinn als Rückzug in die Reflexionen des Mannes ohne Eigenschaften setzt an dieser Stelle an. um das Versprechen eines unmöglichen Handelns zu inszenieren. Exaktheit steht nicht mehr als Wissenshorizont in Aussicht, der endlich Leitfaden eines nicht mehr provisorischen Handelns wäre. Nicht auf das falsche Versprechen der Gewißheit kommt es an. Vielmehr ist es der radikale Zug der Wissenschaft in ihrer Kraft zur Erfindung, der die Forderung nach Genauigkeit mit der Frage nach Darstellbarkeit und Anschaulichkeit verbindet. Der von Musil oft formulierte Anspruch, alle Evidenz zu durchqueren in der Suche nach anderen Möglichkeiten, wendet sich dem zu, was nicht selbstverständlich ist, die Grenzen der Verständlichkeit berührt, die Möglichkeiten des Anschaulichen beschreitet.

Während die in vielen Varianten gespiegelte Normalität die Muster vorschreibt, die letztlich ins „Ereignis" des Krieges münden, überprüft sich die Frage nach einem anderen Ausweg des „Seinesgleichen" an Gestalten der Abweichung. Der poetische Mörder Moosbrugger, die Hysterikerin Ciarisse wie das Inzestmotiv zeigen die Varianten des Scheiterns einer anderen Moral. An den Stellen des Bruchs mit Gesetz und Tabu, versucht sie sich mit darzustellen - als eine, die dem Doppel von Gesetz und seiner Verneinung entgeht. Darin deutet sich Musils „Logik" als Versuch einer über die Gegensätze wie ihre Versöhnung hinausgreifenden dritten Möglichkeit an. In der „Forderung eines Generalsekretariats der Genauigkeit und Seele" ist es nicht der zu versöhnende Gegensatz von Verstand und Gefühl -sondern der Absprung von den verständigen Mustern beider. Als Versprechen einer Wiederkehr des Handelns gegen bloßes Verhalten deutet er sich an in der Weltflucht der Geschwister.

Nur die Schrift im Gleichnis bewahrt sich den Möglichkeitssinn. Nicht im Fluchtpunkt desZusammenfallens der Gegensätze, der Coincidentia op-positorum des Cusanus, sondern angelehnt an die Analogia entis bleibt Verwirklichung unter Vorbehalt: „Gott meint die Welt keineswegs wörtlich; sie ist ein Bild, eine Analogie, eine Redewendung". Gerichtet gegen die Auflösung seiner Mehrdeutigkeit, das Zusammenschmelzen im Begriff, findet auch die Lektüre keinen Abschluß, weil sie immer von anderswoher neu beginnen kann, während der Begriff wie ein Denkmal erscheint.

Im 1936 erschienenen „Nachlaß zu Lebzeiten" widmet Musil eine seiner „unfreundlichen Betrachtungen" dem Widersinn von Denkmälern. Er, der sich stets verkannt, zurückgesetzt, zu wenig beachtet und mißverstanden wußte, bemerkt - „ihren Hauptberuf verfehlen Denkmäler immer. Sie verscheuchen geradezu das, was sie anziehen sollten. Man kann nicht sagen, wir bemerkten sie nicht; man müßte sagen, sie entmerken uns". „Ausgesuchte Bosheit" trifft dann diejenigen, denen man ein Denkmal setzt: „Da man ihnen im Leben nicht mehr schaden kann, stürzt man sie gleichsam mit einem Gedenkstein um den Hals, ins Meer des Vergessens." Die Autorin ist Philosophin und Germanistin.

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