6870781-1978_22_13.jpg
Digital In Arbeit

Von der Allegorie zum Menschen

19451960198020002020

Langweilige Dokumente aus der Frühgeschichte der italienischen Oper - das war es wohl, was mancher vom Gastspiel der Zürcher Oper erwartet und befürchtet hatte. Ausgrabungen, die man nicht ohne Ehrfurcht vor dreieinhalb Jahrhunderten Tradition bestaunt. Die Wirklichkeit, also das, was dieses Gastspiel mit „Orfeo“, „Ulisse“ und „Poppea“, den drei erhaltenen Werken Monteverdis, im Theater an der Wien bescherte, muß viele Menschen in Erstaunen versetzt haben. Wiens Kritik sang den Aufführungen mit Recht Lobeshymnen, doch erschöpft sich die Bedeutung dieser drei Inszenierungen nicht in den Qualitäts-Superlativen optischen Reichtums und höchster Ensemblekultur.

19451960198020002020

Langweilige Dokumente aus der Frühgeschichte der italienischen Oper - das war es wohl, was mancher vom Gastspiel der Zürcher Oper erwartet und befürchtet hatte. Ausgrabungen, die man nicht ohne Ehrfurcht vor dreieinhalb Jahrhunderten Tradition bestaunt. Die Wirklichkeit, also das, was dieses Gastspiel mit „Orfeo“, „Ulisse“ und „Poppea“, den drei erhaltenen Werken Monteverdis, im Theater an der Wien bescherte, muß viele Menschen in Erstaunen versetzt haben. Wiens Kritik sang den Aufführungen mit Recht Lobeshymnen, doch erschöpft sich die Bedeutung dieser drei Inszenierungen nicht in den Qualitäts-Superlativen optischen Reichtums und höchster Ensemblekultur.

Werbung
Werbung
Werbung

Denn was der Wiener Concentus-musicus-Leiter Nikolaus Harnoncourt und der französische Meisterregisseur Jean-Pierre Ponnelle hier geschaffen haben, ist nicht bloß ein Versuch, eine uns eher fremd gewordene historische Kunstform möglichst authentisch wieder auf die Bühne zu bringen, und nicht nur ein sehr empfindsamer Einstieg ins bisher fast immer nur halb bewältigte Genre des frühen Musikdramas. Diese Aufführungen waren dramaturgisch, szenisch, optisch in jedem Moment hinreißendes Theater. Lebendig, prall komödiantisch, heutig. Geradezu ein neuer Begriff von Oper mußte sich da für das staunende Publikum einstellen, sofern es bereit war (und der Erfolg bewies: er war bereit), Oper einmal ausnahmsweise nicht nur wegen reißerischer Schlager und strahlender Spitzentöne zu hören.

Allerdings muß man umdenken. Denn die Welt, aus der diese Opern stammen, haben ein anderes musikalisches Klangbild, ein anderes Theaterempfinden, bis zum höchsten verfeinert, als wir es heute pflegen. Harnoncourt läßt deshalb auf zum Teil originalen, zum Teil nachgebauten Frühbarockinstrumenten musizieren. Die Darstellung selbst hochdramatischer Momente (wie der Selbstmord Sene-cas) vermeidet brutale Härte, wie unser (realistisches Theater sie pflegt; und selbst in den drastischen Rüpelspieleinlagen der Diener bleibt die höhere Ordnung spürbar. Und erst der Gesangsstil: er hat natürlich seine strenge Organisation. Rezitative, also der Sprechgesang, und die voll ausgesun-

genen Arien sind säuberlich geschieden.

Die Figuren selbst, gleich ob der mythische Sänger Orfeo, der sagenhafte König Ulisses oder der bereits neurotische Gewaltherrscher Nero und seine laszive Geliebte Poppea, werden stets in einen Kosmos eingebunden. Denn sie sind Beispiele für höhere Zusammenhänge, haben als solche ihren Stellenwert in der großen Allegorie unserer „schönen Welt“. Einmal sind sie Exempel für den Streit von Tugend, Glück und Liebe, wie in der „Krönung der Poppea“, ein andermal Beispiel für den Menschen als Spielball des Schicksals wie in „Ulisse“, oder Allegorie für die himmlische Macht der Musik wie im „Orfeo“.

Harnoncourts und Ponnelles Konzept stellt die drei Werke als überzeugende Einheit dar. Aber nicht bloß, weil in den drei Aufführungen ein prächtiges Einheitsbühnenkonzept, ein steinernes Hofhalbrund mit Bögen und Baikonen und wechselnden Prospekten, die Werke in einen optischen Zusammenhang rückt. Dieses Konzept macht auch die Entwicklung verständlich, die Monteverdi als einen der faszinierendsten Meister der Oper ausweist. Denn in 35 Jahren, also zwischen der fast pastoralidyllischen Fa-volä „Orfeo“ von 1607, dem Drama in musica „H Ritorno d'Ulisse in Patria“ von 1640 und dem gewaltigen Operndreiakter „L'Incoronazione di Popea“ von 1642 hat er die Zukunft der Oper schlechthin entschieden. Die Entwicklung, weg von den Allegorien und Symbolfiguren eines barocken My-

thos, hin zum Menschen, der von Affekten gesteuert wird, zu Charakteren und ihren Leidenschaften: Das war der Weg in die Zukunft.

Am Anfang, in dem für Mantua entstandenen „Orfeo“, ging Monteverdi noch sozusagen von szenischen Madrigalen aus, in denen auch alles noch Huldigung für den Herzog ist, der als Apollo verherrlicht wird. Am Ende seiner Entwicklung steht die neurotisch schillernde Figur Kaiser Neros, mit dem eigentlich kein Herrscher mehr verglichen werden will. Da bleibt als kanonisierte Besänftigung nach barockem Muster nur die neutrale Schlußapotheose von Tugend und Glück, die sich der Herrschaft der Liebe unterwerfen müssen. Und fast scheint es auch als einzig richtige Entwicklung, daß dieser Schritt zur extremen Individualisierung der Opernfiguren auch ein Schritt ist vom austauschbaren Madrigalsänger zum künftigen Opernstar. Mit Poppea steht es fest: die Bühne gehört in Hinkunft dem barocken Opernheros, der auftrumpfenden Persönlichkeit, der Primadonna und ihren Leidenschaften und Launen. Bis hin zu Mozarts „Titus“, der der „Poppea“ in vielem verwandt ist.

Wären nicht andere Monteverdi-Werke, vor allem aus der späteren Zeit, verlorengegangen, könnte man manche Zusammenhänge klarer sehen. Versucht man diese Entwicklung von 1607 bis 1642 aber als geistige Einheit zu erfassen, stellen sich allein die drei erhaltenen Werke als erstaunlich klarer Spannungsbogen dar, wie er sich sonstvon Wagners „Rheingold“ bis zur „Götterdämmerung“ spannt. Und sogar mit verwandten Problemen: vom Verlust der Naturreligion und des Mythos über die Säkularisation der Götterwelt (bis hin zu Theaterkasperln!) bis zum „modernen“ Menschen. Ein Aufbruch zum Welttheater, den auch Harnoncourt und Ponnelle Zug für Zug in ihrer meisterhaften Produktion verwirklichen.

Versucht man sichabervorzusteilen, wie Claudio Monteverdi in diese Entwicklungsströmung hineingeraten ist, muß man es fast banal sagen: Der Schritt ergab sich. Am Gonzaga-Hof von Mantua, wo er die beste Hofkapelle Italiens vorfand, wo Gastoldi, Ludovico Viadana, Benedetto Pallavi-cini musizierten, wo Tasso Und Galilei sich aufhielten und er für die ersten Sänger der Zeit Kanzonetten und Madrigale schreiben mußte, waren alle Mittel für das Musiktheater vorhanden. Natürlich kannte Monteverdi den in Florenz seit 1594 im Akademiekreis um den Grafen Rinuccini entwickelten frühen Opernstil mit seinem Sprechgesang, wie Peri ihn mit seiner „Daf-ne“ und gemeinsam mit Caccini in „Eurydice“ erprobt hatte. Ein Stil, den man für das „Ei des Kolumbus“ hielt, weil man sich so die Wiedergeburt der antiken Tragödie aus dem Geist der Musik erhofft hatte. Der Schritt Monteverdis von seinen affektgeladenen Madrigalen zur Favola „Orfeo“ muß ihm also umso leichter gefallen sein, als vieles in „Orfeo“ primär eine Verlängerung aus der Madrigalkunst darstellt Obendrein half die Herausforderung des Florentiner Librettisten Striggio mit, und wohl auch die Bal-letti Gastoldis.

Mantua hat Monteverdi jedenfalls beeinflußt wie nur noch nach 1613 Venedig, wo er die letzten Werke „Ulisse“ und „Poppea“, außerdem die verloren gegangenen „Adone“ und „Hochzeit des Aeneas“ schrieb. Und in Venedig findet er zu jenem hochdramatischen Stil, der der venezianischen Oper überhaupt das Gepräge geben sollte: Musik als Drama, mit voller Ausschöpfung des musikalischen Sinngehalts, mit den hinreißendsten Buffoelementen, wie den Lachszenen der Bettler oder Diener, die bislang an Witz kaum jemals in der Oper übertroffen werden konnten. Und auch damit hat Monteverdi für die weitere Entwicklung der Oper Schicksal gespielt; bis hin zu Mozart, nämlich wenn er die Forderung vertrat: „Das Wort sei Gebieterin der Musik und nicht ihre Sklavin.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung