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Von der Bäckerei zur Bank

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Wer von der älteren Generation erinnert sich nicht noch der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, da in Wien Bankhäuser und deren Filialen wie die Pilze aus dem Boden schössen? Gleichzeitig verschwanden viele Kaffeehäuser, deren Lokale nur zu gern von den neu aufstrebenden Banken erworben wurden. Aber mit der Konsolidierung der Wirtschaft verschwanden wieder viele dieser Scheinblüten der Bankenwelt, und langsam etablierten sich wieder Kaffeehäuser in den ehemaligen Räumen der Bankfilialen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ging äußerlich ein ähnlicher Prozeß vor sich. Wieder verschwanden viele Kaffeehäuser, und wieder wurden deren Räumlichkeiten gern von Banken erworben, um dort Filialen zu errichten. Aber diesmal hat dieses Phänomen andere Grundlagen. Das Wiener Kaffeehaus in allen seinen Varianten verschwindet aus dem Wiener Stadtbild, weil einfach die Menschen keine Zeit mehr haben, einige Stunden der Ruhe in einem solchen Winkel der Erde zu pflegen. An die Stelle des Wiener Kaffeehauses ist das ,.Espresso“ getreten, das schon durch seinen Namen aussagt, daß in ihm nur schnell etwas konsumiert werden kann. In den alten Wiener Kaffeehäusern wurde auch viel gelesen. Aber neben den Kaffeehäusern verschwinden in der heutigen Zeit auch die Zeitungen und Zeitschriften. Das Fernsehen einerseits und die steigenden Herstellungskosten anderseits untergraben die Existenz der Zeitungs- und Zeitschriftenwelt. Das Wien der Wirtschaftskrise vor 1938 besaß noch 16 Tageszeitungen, das Wien von heute in seiner Wirt-schaftsblüte besitzt nur noch sechs. Potentielle Zeitungsleser, die es noch vor 1938 gab, sind verschwunden, dazu gehörten in Wien die nicht geringe Anzahl von Juden, die eifrige Zeitungsleser waren und auch vielfach die Kaffeehäuser gern besuchten. Dazu gehört auch der Verlust der vielen Absatzgebiete, die es nach 1918 in den Nachfolgestaaten für die Wiener Presse gab. Auch nach 1918 fand man in den Prager und Brünner, in den Krakauer und Budapester und'Agramer Kaffeehäusern „Die Neue Freie Presse“, „Das Neue Wiener Journal“, und das „Wiener Tagblatt“. Alle drei Zeitungen hatten am Sonntag jeweils den Umfang eines kleinen Buches. Hundert und mehr Seiten waren nichts Außergewöhnliches. Heute ist ein solcher Umfang für eine Wiener Zeitung ein besonderes Ereignis, auf das mit Vehemenz hingewiesen wird.

Aber nicht nur die Zeitungen sterben und das Wiener Kaffeehaus, auch die Kinos. Innerhalb eines Jahrzehntes verloren die österreichischen Kinos sieben Millionen Besucher pro Jahr. Auch hier ist sicherlich das Fernsehen, das billige Heimkino, mit dem reichhaltigen Programm die Ursache dieses Phänomens.

In die Räume der zugesperrten Kinos mieteten sich vielfach Supermärkte ein und in die Räumlichkeiten der ehemaligen Cafes die Banken mit ihren neuen Filialen. Die Wirtschaftskonjunktur, die mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges einsetzte und immer größere Dimensionen erreichte, zwang die großen, aber manchmal auch schon die mittleren Banken Österreichs, immer neue Filialen zu errichten, um möglichst nahe der Kundschaft zu sein und sie bedienen zu können. Zum Unterschied zur Zeit der Inflation sind es jetzt hochseriöse Institute, die sich in den ehemaligen Kaffeehäusern niederlassen. Manchmal gelingt es diesen Banken, Häuser zu erwerben, die schon dem Verfall und dem Abbruch preisgegeben sind. Das ist für die Häuser meistens ein Glück, denn die Banken sind gar nicht so sehr darauf bedacht, solche Häuser abzureißen, als viel eher, sie so zu renovieren, daß sie in ihrem alten Glanz wiedererstehen. Ein Beispiel dafür sind die Häuser am Schottenring, die die Creditan-stalt in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft erworben hat und derart auf Glanz herrichtete, daß der heutige Wiener endlich eine Ahnung hat, wie schön die Ringstraße einst gewesen sein muß. Ein zweites Beispiel ist das kleine Maria-Theresien-Schlössel in Pötzleinsdorf, das die Erste österreichische Spar-Casse erwarb, um dort eine neue Filiale zu errichten. Sie baute ihre Filiale nicht in das Schlössel hinein, sondern hinter dem Schlössel an und renovierte gleichzeitig dieses Maria-The-resien-Stöckl in derart einmaliger Weise, daß man über diese kulturelle Tat nur entzückt sein kann.

Nach der zweiten Türkenbelagerung errichteten sich der Hof und die Hocharistokraten eine Reihe von Sommerpalais rund um die Residenzstadt. Die Anlage des Belvedere und die daneben befindliche Anlage des Schwarzenbergpalais lassen noch ahnen, wie dieser damalige Grüngürtel um Wien schön gewesen sein muß. Er umfaßte über hundert derartige Palais samt deren großen Gärten. Nur wenige davon sind übriggeblieben, und nur wenige noch sind von den alten Gärten und Parks umrahmt: so Schönbrunn und die Favorita, das heutige Theresianum, das bereits genannte Belvedere, das Schwarzenbergpalais. Weiters stehen noch das Sommerpalais der Liechtensteins in der Roßau, das Palais der Schönboms in der Laudongasse, die Palais der Trautsohn und Auers-perg an der Lastenstraße. Nach den Wintermonaten zogen der Hof und die hocharistokratischen Familien in diese Palais, um in besserer Luft das Leben genießen zu können.

In der maria-theresianischen Zeit bauten sich schon Kleinadelige und reich gewordene Bürgerliche kleine Landhäuser in der näheren und weiteren Umgebung von Wien. So wie jedes österreichische Stift, das etwas auf sich hält, ein Napoleonzimmer besitzt, in dem der Korse angeblich übernachtet haben soll, behauptet jedes dieser kleinen Schlössel, daß Maria Theresia dasselbe entweder erbaut oder irgendeinem Günstling geschenkt habe oder zumindest einmal dortselbst übernachtet habe. Das alles dürfte wohl eher Wünschen entsprechen als Tatsachen. Tatsache ist, daß viele dieser Schlößchen — man denke an das Stöckl „Xaipe“ beim Meidlinger Eingang zum Park von Schönbrunn oder an das Maria-Theresien-Schlössel im Kahlenberger Dorf — unter der Regierung der Maria Theresia entstanden und ganz dem Lebensstil dieser Zeit entsprachen.

Seit Beginn des 19. Jahrhunderts setzt eine neue Bewegung ein, die bis zum Anfang des Ersten Weltkrieges anhält Kleinbürgerliche, aber auch mittelreiche und sogar sehr reiche bürgerliche Familien bauen sich, ähnlich wie zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Hocharistokraten, mehr oder minder kleine Landsitze in der Umgebung von Wien. In diese Häuschen zieht man bereits unter Mitnahme von ungeheuer viel Gepäck und Hausrat im Monat Mai ein und verbleibt bis zum Oktober. Es ist die große Zeit für Orte wie Hütteldorf, Perchtoldsdorf, Pötzleinsdorf, Mauer, Maria-Enzersdorf, Salmannsdorf bis hinaus nach Baden und Vöslau. Viele Karikaturisten haben diese Umzüge, unter denen die Väter stöhnten und auf die sich alle Kinder freuten, immer wieder festgehalten. Viele dieser Häuser atmeten eine behagliche Atmosphäre, die die Kinder als ein wichtiges geistiges Kapital in ihr Leben mitnahmen. Der Erste Weltkrieg unterbrach diese Entwicklung. Viele dieser kleinen Villen verfielen, ähnlich wie die Schlößchen aus der maria-theresianischen Zeit, darunter auch das Schlössel in Pötzleinsdorf, das nun die Erste österreichische Spar-Casse erwarb. Es wurde um 17,40 erbaut und bildete den Mittelteil einer drei Häuser umfassenden Anlage. Der ursprüngliche Verwendungszweck dieses Hauses war, seinen Besitzern als Jagdschlössel zu dienen. Das Dorf Gersthof war zu dieser Zeit von Weingärten, aber auch von Wäldern und Wiesen umgeben, eine ideale Gegend für die Jagd, aber auch für fröhliche Zusammenkünfte der besseren Gesellschaft. Die Fresken, die bei der Restaurierung wiederentdeckt wurden und auf den ursprünglichen Glanz aufgefrischt wurden, zeigen Szenen des edlen Weidwerks und beweisen damit den obgenannten Zweck dieses kleinen Schlösseis. Wer die Schöpfer dieser Fresken sind, war nicht zu eruieren. Fachleute meinen, es habe sich um einige der damals im Lande umherziehenden Wandermaler gehandelt, andere wieder sagen, die Schöpfer der Fresken seien Österreicher gewesen, die bei italienischen Meistern in . die Schule gegangen sind, wie es damals vielfach Brauch war. Zentrales Stück der Darstellungen ist ein Deckengemälde, das die Göttin Diana darstellt, die sich mit zwei Hunden auf der Jagd befindet. Die originale Malschicht wurde al secco — also nicht im nassen Mörtel — ausgeführt. Sie weist keinerlei Gravuren auf. Die Beurteilung der Malerei wird übereinstimmend als durchaus qualitätsvoll angegeben, wobei zentrale Figuren sowie architektonische Durchblicke von hervorragender Qualität sind. Der große Salon mit seinem Deckenfresko ist der Zentralraum des kleinen Stöckls. Er wurde zu keinem Sparkassenzweck „umfunktioniert“, sondern in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt und ist als Bestandteil des Schlösseis ein kulturhistorisches Geschenk der Ersten österreichischen Spar-Casse an alle, denen Denkmalpflege ein echtes Anliegen ist.

Nach den ersten Besitzern ging das Schlössel in die verschiedensten Hände über, bis es schließlich in die Hände eines Bäckers gelangte, der durch 150 Jahre dem Stöckl wieder eine Geschichte aufprägte. Denn so lange diente dieses Stöckl nun dem Bäckereigewerbe. Vom letzten dieser Bäcker kaufte dann die Erste österreichische Spar-Casse das kleine Schloß. Die Bankfiliale selbst, die die Spar-Casse errichtete, wurde an der rückwärtigen Seite des Schlösseis angebaut, so daß sie in keiner Weise die alten Räume des Schlösseis belastet. Eine ideale Komposition von alt und neu, wie sie nicht besser gelöst werden kann.

In den letzten Jahren und Jahrzehnten wurde in Wien auf dem Bausektor viel gesündigt. Die Neubauten richteten oft ärgeren Schaden an als die Bomben des Zweiten Weltkrieges. Wunderschöne alte Gebäude mußten verschwinden, obwohl sie zu retten gewesen wären. Ganze Stadtviertel erhielten ein neues, nicht immer schönes Gesicht. Daß bei einigem guten Willen vieles hätte anders werden können, beweist diese Renovierung des Maria-Theresien-Schlös-sels in Pötzleinsdorf.

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