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Von der Holzkirche zum Skigymnasium

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Inmitten der herben Oberinntaler Landschaft liegt, beherrschend und doch in seiner Stilreinheit unaufdringlich, das Zisterzienserstift Stams. In den 286 Räumen des verzweigten Gebäudekomplexes leben 25 Konventsmitglieder mit 10 weltlichen Angestellten und — während des Schuljahres — mit 140 Hauptschülern und 120 Gymnasiasten unter einem Dach. Stift Stams ist heuer genau 700 Jahre alt. In den Gängen, Sälen und Gebetsräumen weht der Atem der Geschichte, und doch ist dieses Kloster erfüllt von einem zukunftsoffenen Geist der Gegenwart. Stift Stams ist eine Stätte religiöser Besinnung und ein Hort der Bildung, ist ein kunsthistorisches Juwel und ein landesgeschichtliches Zentrum.

Im Jahre 1273 bezogen zwölf Mönche des Zisterzienserordens und fünf Laienbrüder das im Auftrag des damaligen Tiroler Landesfürsten Meinhard II. erbaute Holzhaus am uralten Wallfahrtsort in Stams. Wenig später wurde mit dem Bau eines steinernen Klostergebäudes begonnen. Die Chronisten verbinden die Entstehung des Klosters mit dem tragischen Tod des letzten Hohenstaufen Konradin. Elisabeth von

Wittelsbach, Konradins Mutter, wurde nach dem Ableben ihres ersten Mannes, des deutschen Königs Konrad IV., Meinhards Frau. Nach der Hinrichtung ihres Sohnes in Neapel soll sie das Gelöbnis getan haben, für das Seelenheil Konradins und für das ganze, mit ihm erloschene staufische Geschlecht eine Gedächtnisstätte zu schaffen. Herzog Meinhard II. machte das Anliegen seiner Gemahlin zu dem seinen und stiftete das Kloster, das bald zu einem geistlichen und geistigen Zentrums Tirols wurde. An Stelle der einstigen Wallfahrtskapelle zum heiligen Johannes entstand die Pfarrkirche, heute eines der bedeutendsten Barockbauwerke Österreichs. Bis ins 16. Jahrhundert war das Stift auch landesfürstliche Begräbnisstätte. In der Fürstengruft halten acht lebensgroße Holzflguren ewige Wache. Die Klosterkirche ist mit 81,5 Metern die längste Kirche Tirols. Der biblische Stammbaum, beginnend bei Adam und Eva, mit 84 geschnitzten Figuren über dem Hochaltar zählt zu den besonderen Sehenswürdigkeiten des Stiftes, ebenso bewundernswert sind das barocke Chorgestühl, das Rosengitter

in der Blutkapelle, der Bernhardi-saal und das Stiegenhaus mit dem handgeschmiedeten Geländer. In naher Zukunft wird Stift Stams auch die größte private Kunstsammlung Tirols mit Werken von Albrecht Dürer beherbergen.

Im Laufe der Jahrhunderte erlebte das Kloster ein sehr wechselhaftes Schicksal. Es gab Zeiten der Hochblüte und totale Tiefpunkte. Während der mittelalterlichen Bauernaufstände in Tirol wurde das Stift arg in Mitleidenschaft gezogen, die Mönche wurden vertrieben und die Baulichkeiten verwüstet. 1545 reduzierte die Pest den Konvent auf drei Mönche und 1552 überfielen die Kriegshorden des Moritz von Sachsen das Kloster. Auch Feuersbrünste zerstörten mehrere Gebäude. Zweimal wurde das Kloster aufgehoben: 1807 unter der bayrischen Besatzung und 1939 unter dem nationalsozialistischen Regime. Während des Zweiten Weltkrieges beherbergten die Gebäude 500 Umsiedler aus Süd-triol, und nach Kriegsende quartierten sich die Besatzungstruppen ein. Erst 1946 konnte wieder eine klösterliche Familie Einzug halten. Zwölf Zisterzienser aus dem slowenischen Kloster Sittich besiedelten gemeinsam mit einheimischen Helfern den riesigen Bau und begannen unter schwersten Bedingungen mit einer zielbewußten Aufbauarbeit. Die „Stamser Pater“, die jahrhundertelang ihre Aufgaben in der Landwirtschaft und Seelsorge gesehen hatten, wandten sich neuen Aufgaben zu: Heranbildung priesterlichen Nachwuchses und Erziehung junger Menschen. Vorerst vollzogen sie die Trennung von ihren landwirtschaftlichen Besitzungen. Eine Nutzfläche von 390 Hektar wurde an die bisherigen Pächter als Eigentum übergeben. Nun war der Weg frei für neue Aktivitäten, und diese wurden mit Zähigkeit verfolgt und führten zu erstaunlichen Erfolgen. Aus der 1951 gegründeten Ma-turaffchüle' für Spätberüfehe' gingen bisher 70 Priester hervor. Ein Meditationskurs für Erwachsene mit autogenem Training wendet sich an Menschen, die sich in der Unrast der Zeit zu verlieren drohen. 1961 wurde

die Maturaschule in ein Aufbaugymnasium umgewandelt, das derzeit von nahezu 200 jungen Menschen besucht wird. 1967 entschloß man sich zu einer pädagogischen Pioniertat: das Skigymnasium wurde gegründet. Damit nahm das Stift das Wagnis der Einführung eines neuen Schultyps in Österreich auf sich. Ein völlig neuer Lehrplan mußte aufgestellt werden, und es ging auch nicht ohne Schwierigkeiten ab.

Für kurze Zeit bestand die Gefahr des Scheiterns. 1969/70 kam es zu einer Neukonstruktion des Schulversuches. Während man anfänglich diese Institution als Ausbiklungs-stätte für Weltklasseläufer verstand, gelangte man durch die Erfahrungen der Realität zur Erkenntnis, daß das sportliche Ziel einer derart differenzierten Bildungsanstalt eine gehobene Breitenarbeit sein müsse. Es könne nicht Aufgabe dieser Schule sein, Spitzensportler heranzuzüch-ten, sondern vielmehr Spitzensportlern eine gediegene Bildung zu vermitteln und ihnen natürlich auch in ihren sportlichen Interessen zu helfen. Bund, Land und Stift sind die Hauptsäulen der neuen Trägergemeinschaft. An eine. Auf lassung des Skigymnasiums denkt niemand mehr. Im Gegenteil, es bestehen konkrete Pläne für einen großzügigen Ausbau. Heute besitzt die Anstalt eine Kapazität von 100 Schülern, in den kommenden Jahren soll die Aufnahmefähigkeit in drei Ausbaustufen auf 280 Schüler erweitert

werden. Nach Fertigstellung der erforderlichen Gebäude soll dem Gymnasium eine Handelsschule angeschlossen werden, damit den Sportstudenten auch diese Ausbildungssparte offensteht. Die Errichtung von ausgedehnten Sportanlagen ist geplant und in Kürze wird Stams die erste Mattensprungschanze Tirols besitzen.

Seit 1970 werden in Stams auch Schisportler der nordischen Disziplinen aufgenommen. Aus dem Skigymnasium sollen künftig nicht nur Rennläufer, sondern auch qualifizierte Trainer, Leibeserzieher und Sportfunktionäre hervorgehen. Die Aufnahme der Schüler erfolgt nach einer Aufnahmeprüfung. Das allgemein-übliche Klassensystem wurde abgeschafft und durch Leistungsstufen ersetzt. Bei negativen Lernergebnissen muß nicht eine ganze „Klasse“, sondern nur der Stoff der jeweiligen Leistungsstufe in dem betreffenden Fach wiederholt werden. Die Studiendauer liegt zwischen 4 und 7 Jahren. Wie der schulische Leiter des Skigymnasiums, Abt Dr. Bernhard Slovsa, betont, sei neben der sportlichen Ertüchtigung vor allem auch die berufliche und charakterliche Bildung der Skijugend das Ziel dieser Einrichtung. Der Geist dieser Schule ist irgendwie bezeichnend für das Klima in diesem Kloster, in dem Tradition und Fortschritt schon immer in weiser Ausgewogenheit geflegt wurden.

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