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Von der Natur- zur Stadtlandschaft

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Der Lauf der Donau ist oberhalb Wiens vom Durchbruch zwischen dem Kahlen- und dem Bisamberg, der Wiener Pforte, unterhalb Wiens vom Durchbruch zwischen den Hainburger Bergen und den Kleinen Karpaten, der Hainburger Pforte, bestimmt. In der Ebene bei Wien hat die Donau kein geologisch vorbestimmtes Bett gefunden. Sie ist in einem angeschwemmten, ziemlich verschieden gegliederten Boden, in mehrere Arme geteilt, immer neue Ausformungen des Stromlaufes suchend, durch eine Aulandschaft von rund 20 Kilometer Länge und rund 5 Kilome-

ter Breite ostwärts geflossen. Wien wurde nur von einem Nebenarm berührt, dem heutigen Donaukanal.

Im Gefolge der Donauregulierung veränderte sich die alte Stromlandschaft entschieden. Mit Ausnahme der Lobau, die 1905 in den Wald- und Wiesengürtel einbezogen wurde, und des Praters verschwanden die Auen fast restlos. Der geradlinige Durchstich führte bald zum Sinken des Grundwasserspiegels, was sich besonders im Marchfeld sehr ungünstig bemerkbar machte.

Mit dem Bau der Kronprinz Rudolf-Brücke (Reichsbrücke), der Kaiser Franz-Joseph-Brücke (Floridsdorfer Brücke), der Stadlauer Ostbahnbrücke und der Nordwestbahnbrücke beginnend, wurde die Landschaft immer mehr von technischen Elementen geprägt. Am rechten Donauufer entstanden weitere Bahnanlagen,

Nord- und Nordwestbahnhof wurden vergrößert, Lagerhäuser und Landeflächen entwickelten sich nach und nach zum „Handelskai", der nun in moderner Art die Aufgaben der früheren Umschlaglände des Donaukanales übernahm.

Die Bauwerke des Handelskais verhinderten einerseits das Heranwachsen der Stadt an die Donau und anderseits jede auch nur armähernd natürliche Ufergestaltung. Das Ziel, den gesamten rund zwölf Kilometer langen Kai dvirch Wirtschaft und Verkehr mit Leben zu erfüllen, blieb jedoch damals wie auch in späteren Jahrzehnten eine Illusion.

Die Gedanken eines europäischen Binnenwasserstraßennetzes gewannen durch den Ersten Weltkrieg neuen Auftrieb, vor allem durch die Versuche, zwischen dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn eine engere wirtschaftliche Gemeinschaft (Mitteleuropa-Idee) anzubahnen.

Mit welchem Pathos diese Gedanken verbunden waren, zeigen Äußerungen Otto Wagners aus dem Jahre 1917, als er den Bau eines „Portales des Donau-Oder-Kanales" als wichtiges Bauvorhaben für das Wien nach dem Kriege bezeichnete: „Der Krieg als Erzieher wird stark beitragen, das mitteleuropäische Kanalsystem zu fördern, und nationalökonomische Taten sollen auch künstlerisch gebührend Ausdruck finden."

Das Thema „Wien und die Donau" — in vielerlei Abwandlungen - wurde jahrelang auch im österreichischen Ingenieur- und Architektenverein erörtert und in Denkschriften der Öffentlichkeit vorgelegt.

Auch das Ende des Ersten Weltkrieges und des Vielvölkerstaates . brachte die großen Pläne nicht zum Erliegen, im Gegenteil. Der auf demokratischer Grundlage angestrebte Zusammenschluß zwischen Deutschösterreich und der Weimarer Republik und das damit verbundene Großraum-

denken gab den Erörterungen besonders in den Jahren 1918/19 erneut starken Auftrieb.

Man sprach damals mehrfach in der Öffentlichkeit davon, daß Wien die Chance habe, das „Hamburg des Ostens" zu werden. Selbst das Herauslösen der Stadt aus dem Lande Niederösterreich, die Schaffung eines eigenen Bundeslandes Wien, wurde damit in Verbindung gebracht. Karl Renner am 1. Järmer 1922: „Wien ist heute ein Gemeinwesen geworden wie Hamburg, Lübeck vmd Bre-

men, eine freie Hansestadt an der Donau."

Der Staatsvertrag von Saint-Germain vom September 1919 enthielt mannigfache Bestimmungen über die Internationali-sienmg der Donau und der Wasserstraßen. Alle Nachfolgestaaten der Monarchie beschäftigten sich mit diesen Angelegenheiten.

Vor diesem Hintergrunde studierte 1920 ein von der Donau-Re-gulienmgs-Kommission eingesetztes Arbeitskomitee die den Wiener Donauraum betreffenden Fragen, vor allem den weiteren Ausbau der Hochwasser schutzanlagen. Hochwässer hatten in den Jahren 1897 und 1899 gezeigt, daß die Anlage des Uberschwem-•mungsgebietes neben dem Strome und die Dänime nicht ausreichend waren.

Für die endgültige Sicherung Wiens wurde damals ein Projekt ähnlich dem späteren Entlastungsgerinne und der Donauinsel vorgeschlagen. Die Alte Donau sollte damals zum „Floridsdorfer Hafen" ausgebaut werden. Man rechnete immer noch mit einem Anwachsen des Umschlageverkehrs und gestaltete nur nach technischen und kommerziellen Gesichtspimkten.

Auch der Bau eines Donau-Wasserkraftwerkes im Räume Wien sowie ähnliche Projekte bei Aschach und Wallsee waren damals bereits in Planung. Schon im April 1919 schrieb die „Neue Freie Presse": „Die Durchführung dieser neuen Projekte wird einen Zeitraum von sechs bis acht Jahren erfordern, es ist eine rasche Inangriffnahme notwendig, damit für die überragende Stellung Wiens als Donaustadt nichts versäumt wird."

Alle diese Pläne kpnnten aufgrund der wirtschaftlichen Not der Ersten Republik nicht verwirklicht werden. Lediglich die Dämme des Hochwasserschutzes begann man in der Zeit der Weltwirtschaftskrise mit Hilfe des

Freiwilligen Arbeitsdienstes um 1933 zu erhöhen.

In der Weimarer Republik war es nicht viel anders. Die 1921 gegründete Rhein-Main-Donau-AG begann damals zwischen Aschaffenburg und Bamberg mit dem Mainausbau, der erst 1962 vollendet wurde. Die Gesamtlänge der Rhein-Main-Donau-Wasserstraße beträgt 677 Kilometer, wovon 624 Kilometer fertiggestellt und 600 Kilometer bereits in Betrieb sind. Lediglich von der Strecke Nürnberg-Kelheim sind 53 Kilometer noch im Bau.

Schon in den Jahren vor 1914 bildete sich in Wien eine starke geistige Strömung gegen die Zerstörung des Erbes an Bauwerk und Landschaft. Diese kultizrelle Bewegung gewann in der jungen Republik stark an Einfluß. Das Wort von der tunlichsten Aufrechterhaltung des Gleichgewichtes im Naturhaushalt nahm nun auch in Gesetzen greifbare Formen an. In einer Vielzahl von Schriften, aber auch in der Tagespresse wurde die verfehlte Donauregulierung sehr offen besprochen.

Gleichzeitig kam es mit dem Ubergang der ehemaligen Krongüter an den Staat beziehungsweise an die Stadt zu Forderungen, den Wienerwald und die Donau-Auen zwischen Krems und Hainburg zu schützen, Flora und Fauna zu erhalten. Die Öffnung der Lobau als Naturschutzpark im Jahre 1926 war ein erster Schritt in diese Richtung.

Die Zeit nach der nationalsozialistischen Machtergreifung im März 1938 brachte ein Wiederaufleben der alten Pläne aus den Jahren 1914 beziehungsweise 1918/19 in gewandelter und noch gesteigerter Form.

Wien sollte nun nicht nur das „Hamburg des Ostens", sondern „zu einem der ersten Warenumschlagplätze Europas ausgebaut werden", die Wasserstraßen Rhein-Main-Donau und Donau-Oder sollten bis 1945 fertiggestellt sein. Anstelle des Welthandelsgebäudes sollten nun an der Reichsbrücke, nach verschiedensten Entwürfen, Bauten der Partei entstehen, wobei der Gedanke einer axialen Verlängerung der Ringstraße über die Donau allen Entwürfen gemeinsam war.

Die „neue Blüte" der Stadt sollte für Donaureisende künftig „an den Türmen des Forvuns, an den Anlagen des Messe- und Ausstellungsgeländes, an den Hochhäusern, Stapelanlagen und großen Speichern" zu erkennen sein. In jenen Monaten wurde auch das Schlagwort „Wien an die Donau" sehr oft verwendet, man dachte also weiter im repräsentativen und mechanistischen Geiste des 19. Jahrhunderts.

Die Enquete für den Wiederaufbau der Stadt Wien vom Juh 1945 bis Jänner 1946 war, was den Wiener Donauraum betrifft, durch eine Mischung überkommener und neuer Vorstellungen geprägt.

So heißt es: „Heranrücken des Stadtkernes an die Donau, wirtschaftliche Entwicklung und landschaftliche Bereicherung des Uferbereiches durch Ausbau und Donaustaustufe (Donaukraftwerk), Ausbau der nord-südli-chen und west-östlichen Schiffahrtswege, der Autostraßen und des Luftverkehrs und Modernisierung des gesamten Verkehrsnetzes … Lösung der Hochwasserschutzfragen, Verlegung der aufzulassenden Güterumschlagsanlagen stromabwärts ins Hafengebiet, Ausbau des Hafens Lobau … Regulierung der Alten

Donau, des Mühlwassers und der Lobaugebiete im Zusammenhang mit dem Donau-Oder-Kanal unter weitgehender Berücksichtigung der Donaubäder und des Naturschutzgedankens."

Der Gedanke, an der Reichsbrücke ein „Zeichen" zu setzen, fand 1954 mit dem Bau von drei Hochhäusern an der Schüttau-straße eine — mit Recht umstrittene — erste Verwirklichung. Die Wiener Internationale Gartenschau 1964 und der Bau des Donauturmes waren weitere Schritte in Richtung dieses alten Stadtplanertraumes.

Das Problem des Schutzes gegen Überflutungen wurde nach dem Hochwasser von 1954 wieder verstärkt bearbeitet. Im Jahre 1957 legte das Stadtbauamt eine Studie zur Verbesserung der Lage vor. Innerhalb des Überschwemmungsgebietes sollte neben dem Strom ein Entlastungsgerinne ausgehoben werden, dazwischen sollte eine hochwasserfreie, als Erholungsgebiet nutzbare Insel entstehen.

Es gab von der Jahrhundertwende bis 1970 insgesamt 16 Studien über die Sicherung Wiens vor Hochwässern. Im städtebaulichen Grundkonzept 1961 war die Donauinsel als TeU der Grünraumplanung enthalten. Am 12. September 1969 erfolgte, rund 100 Jahre nach dem Beschluß über den Donaudurchstich vom 27. Juli

1868, der Beschluß über den Bau der Neuen Donau. Im Jahre 1972 wurde mit dem Ausbau begonnen.

Es folgte ein zweistufiger „Wettbewerb Donaubereich Wien". Bemerkenswertestes Endergebnis der zweiten Stufe von 1977 war die Festlegung, daß-der Charakter einer Fluß- und Aulandschaft zu erhalten, die Insel frei von Bebauung sein solle, und am rechten Donauufer eine durchgehend begehbare Grünzone als Uferpromenade anzulegen sei.

Damit war man erstmals vom rein technisch-kommerziellen Denken im Gestalten des Wiener Donauraumes abgegangen. Diese Grundsätze sind in einem langwierigen Prozeß bis heute weitgehend verwirklicht worden. Sie sind 1984 auch in den Stadtentwicklungsplan für Wien eingegangen.

Anders als in der Ersten Republik betrieb die Gemeinde Wien ab 1960 unter Ausnützung der schon beschriebenen Grundstücksreserven eine rege Wohnbautätigkeit im Norden Wiens.

Seit der Eröffnung der Ul nach Kagran im September 1982 ist der Norden Wiens erstmals durch ein leistungsfähiges öffentliches Verkehrsmittel mit dem Stadtkern verbunden.

80 Jahre nach der Eingemeindung ist nun die Eingliedenmg dieses Raumes in den Organismus der gesamten Stadt in vollem Gange. In der nunmehr möglichen Verwirklichung eines großzügigen Gestaltungskonzeptes, das den naturräumlichen Gegebenheiten der Stadtlandschaft gerecht wird, liegen die künftigen „Chancen für den Donauraum Wien".

Universitätsdozent Wilfried Posch ist Architekt für Raumordnung und Stadtgeschichte.

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