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Von der Rechtschaffenheit des Schreibens

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Es wäre mehr als nur töricht, nämlich schädlich, die angesichts von Literatur möglichen literarischen Verhaltensweisen gegeneinander auszuspielen: der das Realwissen mehrende Germanist hat sein Recht wie der polemisierende Pamphletist, der ungenierte Parodist wie der akribische Lexikograph, wenn nur jeder das ihm Gemäße redlich leistet. Wenn hier der Mangel an dem bedauert wird, was man als Besinnungshilfe bezeichnen möchte, Hilfe in der Form von Erläuterung und Deutung in einem, dann geschieht das erstens nicht in Geringschätzung anderer möglicher Verhaltensweisen und zweitens vielleicht überhaupt nur deshalb, weil kürzlich ein hoher Meister dieses Faches dahingegangen ist: Johannes Pfeiffer. Der Verlust wird schmerzlich merkbar jetzt erst recht, da ein noch vom Autor selber zusammengestellter neuer Band solcher Besinnungshilfen posthum erschienen ist: „Weder progressiv noch konservativ.”

Der Verfasser hat sich darin der uns allen gestellten Aufgabe vorbiidhaft entledigt, „die aus der Überlieferung stammenden Maßstäbe und Prinzipien unseres Wertbewußtseins in ihrem ursprünglichen Anspruch zu bewahren, ohne sie darum auf ihre vergangene Ausformung festzulegen”, und er tut das in den drei Gegenstandsbereichen der Dichtung, der ethisch-politischen Bemühung und des Glaubens. In dem ersten geht es, an Hand von Beispielen weltlicher und geistlicher Lyrik, um das kriterielle Erfassen gestalthafter Notwendigkeiten jenseits vom epigonalen Klischee wie vom Leerlauf einer avantgardistischen Manier; im zweiten, an Hannah Arendt, Theodor Eschenburg, Dolf Stemberger und Karl Jaspers anschließend, um die Überwindung der falschen Alternative von Freiheit und Zwang durch die wechselseitige Aneinanderbin dung von Autorität und Liberalität; und im dritten endlich um eine weder formalistisch erstarrte noch jedem Zeitgeist sich anbiedernde Religion, in der es, nach dem ausführlich gewürdigten Carl Hilty, primär und letzten Endes nicht auf die Rechtgläubigkeit ankommt, sondern auf das Gutwerden.

Die Position Pfeiffers, also nicht zwischen, sondern jenseits von Progressismus und Konservativismus, erhellt ein Zitat zu einem scheinbar schwachgewichtigen Thema, zum Kirchenlied in einer heute gemäßen Form: „Die um der Ehrlichkeit sowie um der allgemeinverständlichen Einfachheit willen etwa geforderte Zurückhaltung gegenüber den großen Worten der Vergangenheit findet ihre Grenze unabdingbar daran, daß die christliche Botschaft nun einmal nichts ist, was sich gleichsam zu herabgesetzten Preisen verkaufen und durch liebedienerische Anpassung an den Mann beziehungsweise an die Frau bringen ließe. Wer den Menschen, aus lauter Angst, sie nicht mehr zu erreichen, auch nicht die leiseste Anspannung mehr zumuten mag, bestätigt und bestärkt sie nur in ihrer lauen Bequemlichkeit und verrät durch sein kleingläubiges Verhalten eben die Sache, der er angeblich dienen will.” Und daß der feinsinnige Deuter von Dichtung in diesem Buch sich auch als ein Mann von handfestem Gemeinsinn, von, vulgär ausgedrückt, politischer Verantwortlichkeit deklariert, kann dann nur mehr den überraschen, der den von der Schöpfung her ganzen Menschen sich nur zerstückelt zu denken vermag und deshalb nicht kapiert, daß jeder, der irgend einer Sache buchstäblich und tatsächlich auf den Grund gegangen ist, damit auch alle anderen Sachen ergründet hat.

Ob also nun Kunst, Politik oder Religion in Frage steht: immer bekennt Pfeiffer sich dazu, „daß die

Dinge erst in der Erkanntheit und durch die Erkanntheit zu ihrem vollen und eigentlichen Da-Sein kommen”. Bei aller selbstverständlichen Anerkennung des Numinosen verfällt er doch nie dem Mystizismus: er will, was so selten vorkommt, zu denken aufhören erst dort, wo das Denken selbst endet und nur noch staunende Verehrung geboten ist. Die Wahrheitsfindung nach dem Muster der Hegelschen Dialektik von These, Antithese und Synthese versteht er, im Gegensatz zu den Hegel-Prakti- zierern, so, daß ein Tertium novum nicht eben durch Einpendelung zwischen den beiden Extremen, sondern über diesen, auf einer schon wesentlich anderen Ebene, sich bildet.

Das Verhalten Pfeiffers seinem jeweiligen Objekt gegenüber wird man am treffendsten charakterisieren mit einem Wort, das er selber gerne gebraucht: mit dem Wort „behutsam”. Der Leser glaubt förmlich zu sehen, wie der Autor den gerade in Rede stehenden Gegenstand — dies Wort einmal wörtlich genommen — in seinen Händen dreht und wendet, ihn zärtlich abtastet oder prüfend beklopft, ihn nah ans Auge führt oder in objektivierender Distanz bringt, ihn ins rechte Licht rückt oder mitleidlos neben Vergleichbares hält. Es waltet in solcher Vorgangsweise etwas Altmodisches, aber im allerbesten Wortsinn; es ist gewissermaßen das Gegenteil des intellektuellen Schnappschusses, der ja nicht selten dann als ein intellektueller Kurzschluß sich erweist. Und diese Gründlichkeit ohne Pedanterie kennzeichnet denn auch den Stil, der nun nicht etwa durch syntaktische Kompliziertheit, sondern durch seinen un-

beirrten Gang jenes langsame Lesen heimlich erzwingt, welches das Mitdenken auch komplexer Sachverhalte erst ermöglicht und überdies zur Lust macht. Weder mit Bonmots jonglierend noch Begriffsgebirge türmend, befleißigt Pfeiffer sich einer Tugend, die in der nur mehr aus produzierenden Konsumenten und zugleich konsumierenden Produzenten bestehenden, in einer nur mehr am Verbrauch orientierten Menschheit auch den Schreibenden zusehends abhanden kommt: der Rechtschaffenheit. Nicht also bloß Inhalte, sondern auch Formen vermittelt dieser Autor seinen Lesern.

Johannes Pfeiffer hat offenbar die konkrete Wirksamkeit im überschaubaren Kreis geliebt und deshalb das, was er jeweils zu sagen hatte, nicht gehortet, sondern verstreut — mit der Folge, daß der über die jeweils eine Publikation hinaus interessierte Leser sich das ganze Werk aus mehreren Verlagen und Zeitschriften zusammenklauben muß. Eine Sammlung zumindest der die Kunst des Lesens lehrenden Schriften Pfeiffers wäre deshalb wünschenswert — und sie wäre ein vielleicht sogar nicht nur geistig lukratives Unternehmen. Denn der Bedarf an Wahrheit — mit diesem Wort schließt das Buch und damit des Verfassers Leben — wird in einer sich komplizierenden Welt eher wachsen als schwinden.

WEDER PROGRESSIV NOCH KONSERVATIV. Hinweise und Besinnungshilfen. Von Johannes Pfeiffer. Verlag „Die Spur”, Herbert Dorbrandt KG, Berlin 1970. 140 Seiten.

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