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Von der Spielwiese auf die Regierungsbank

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Um den Begriff der öko-sozialen Marktwirtschaft ist es recht still geworden. Hört man nichts davon, weil ohnedies allerlei geschieht? Oder rückt man stillschweigend davon ab und läßt diese Idee höchstens ein paar Unentwegten als Spielwiese?

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Um den Begriff der öko-sozialen Marktwirtschaft ist es recht still geworden. Hört man nichts davon, weil ohnedies allerlei geschieht? Oder rückt man stillschweigend davon ab und läßt diese Idee höchstens ein paar Unentwegten als Spielwiese?

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Die Umweltverträglichkeitsprüfung, seit Jahren Zankapfel zwischen Grün-Alternativen und Wirtschaft, zuletzt auch zwischen den beiden Koa-lititonsparteien, soll im Jänner vom zuständigen Parlamentausschuß in Gesetzesform gegossen werden und könnte ab Jahresmitte Geltung haben. Für die Reform des Öko-Fonds gibt es nunmehr einen Rohentwurf und man hofft, sie im Februar absegnen zu können. Die neue Umweltministerin Rauch-Kallat sieht in einer kombinierten Energie-CO-Abgabe einen ersten Schwerpunkt ihrer Tätigkeit und will in Kürze einen Schritt in diese Richtung tun.

Dennoch ist es um den Begriff der öko-sozialen Marktwirtschaft recht still geworden.

Vor knapp drei Jahren war das Konzept der öko-sozialen Marktwirtschaft der große Entwurf, mit dem die Volkspartei - damals unter ihrem Obmann und Vizekanzler Josef Riegler - den Weg zu einer zeitgemäßen Synthese von Ökonomie und Ökologie weisen wollte. Das Ziel sei es, so sagte der damalige Ö VP-Obmann, die Dynamik der freien Marktwirtschaft weiterhin verantwortungsvoll für den sozialen Ausgleich zu nützen, zugleich aber in ebensolcher Verantwortung für die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen.

Will man Umweltpolitik auf marktwirtschaftlicher Grundlage betreiben, dann darf man zu Verboten nur da greifen, wo Gefahr im Verzuge ist, wie der Wirtschaftsforscher Karl Aiginger betont. Daß bedenkenloses Liegenlassen unbrauchbar gewordener Autobatterien oder das Wegschütten von Altölen und Lackrückständen in die öffentlichen Kanäle verboten ist, hat durchaus seine Berechtigung.

Aber Verbote können in der Marktwirtschaft nur ergänzende Instrumente sein, als Ausnahme und letztes Hilfsmittel. Wichtiger sind Rahmenbedingungen, die eine vernünftige Entsorgung umweltschädlicher Materialien bewirken, seien dies Ablaugen aus der Zellstoffproduktion und sonstige chemische Schadstoffe, seien es Kühlschränke (wegen der darin enthaltenen, die Ozonschicht gefährdenden Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe/FCKW) oder Gift- und Sondermüll der verschiedensten Art.

Auch Auflagen in Form von Geldbeträgen, die von Betrieben zu entrichten sind, wenn diese bestimmte Umweltnormen nicht einhalten, sind nicht der Weisheit letzter Schluß, denn profitable Unternehmen werden sich zähneknirschend (oder hohnlachend) diese Buße leisten, statt Kapital in neue umweltgerechte Anlagen zu investieren. Durch dezentrale Lösungen ist vielmehr zu erreichen, so Aiginger, daß die Firmen einen Anreiz haben, ökonomisch und ökologisch sinnvoll zu investieren, zu produzieren oder neue Geräte und Verfahren zu entwickeln. Denn der Markt, das Spiel von Angebot und Nachfrage auf der Grundlage echter Preise, ist auch in der öko-sozialen Marktwirtschaft das entscheidende Element.

So gesehen ist eine Verteuerung unerwünschter Energiearten durch höhere Besteuerung zu rechtfertigen. Nur darf der Staat nicht mit dem Argument des Umweltschutzes kurzerhand die Steuer- und Abgabenquote erhöhen; er muß dafür andere Steuern senken, auch wenn ihm dies schwerfällt.

In der Volkspartei bereitet man jetzt, aufbauend auf Anregungen des Grazer Um Weltkongresses vom April, ein sogenanntes Öko-Bonus-Modell vor, das voraussichtlich Mitte Jänner der Öffentlichkeit präsentiert werden so 11. Es geht davon aus, daß beispielsweise Anreize zur Verminderung des C02-Ausstoßes gegeben werden sollen, wobei man keineswegs nur an die

Industrie denkt, in der durch den Einbau von Filtern oder durch den Einsatz moderner Anlagen schon viel geschieht, sondern auch an den Straßenverkehr und vor allem an die Hausund Wohnungsheizungen. Wer in dieser Hinsicht Umweltschäden vermindern hilft, soll durch ein automatisches Bonus-System belohnt werden - also nicht durch Förderungen herkömmlicher Art, die erst auf Antrag gewährt werden. Ein zusätzlicher Vorteil dieses Modells könnte nach Ansicht seiner Entwerfer darin liegen, daß Arbeiten auf diesem Gebiet vorwiegend von Baufirmen und kleinen Gewerbebetrieben verrichtet werden, ein in der jetzigen Situation zweifellos wünschenswerter Konjunkturimpuls.

Vieles bleibt freilich den staatlichen Stellen und den lokalen Behörden überlassen. Bund und Länder müssen Altlasten früherer Umweltnachlässigkeit abtragen, weil die Urheber nicht mehr existieren oder nicht greifbar sind. Die Länder haben Sondermülldeponien einzurichten und zu betreiben, den Gemeinden (und Gemeindeverbänden) ist die Abwasserentsorgung und die allgemeine Müllabfuhr aufgetragen. Weil dies ihre finanziellen Kräfte trotz der Einhebung von Gebühren oft zu übersteigen droht, werden sie alle, in erster Linie der Bund, sich auf das Vordringliche konzentrieren und nicht ganz so Wichtiges hintanstellen müssen. Das Konzept der öko-sozialen Marktwirtschaft sieht die gleiche Verantwortung für sozialen Ausgleich und für die Wahrung der Lebensqualität vor. Derzeit werden aber, so Dozent Aiginger, nur etwa fünf Prozent des Brutto-Inlandsproduktes für Umweltaufgaben verwendet, aber an die 30 Prozent für soziale Leistungen.

Der Finanzminister mußte noch vor der parlamentarischen Genehmigung des Bundeshaushaltes für 1993 die Notbremse ziehen. Das unterstreicht drastisch die prekäre Lage der Staatsfinanzen. Für zusätzliche Aufwendungen im Umweltbereich ist kaum Spielraum. Gerade deshalb wird man endlich daran denken müssen, den Wildwuchs auf sozialem Gebiet umsichtig, aber entschlossen zu roden.

Die staatliche Pensions versicherung kann nicht einmal mit den für das kommende Jahr in Aussicht genommenen Bundeszuschüssen von 65 Milliarden Schilling auskommen - ein Aufwand, ohne den es das Bundesdefizit überhaupt nicht gäbe! Sie wird sechs, acht oder gar zehn Milliarden mehr brauchen. Das legt energische Sparmaßnahmen im Verwaltungsbereich der Sozialversicherung nahe. Daß die Arbeiterkammer und die Nationalbank die großzügigen Zusatzpensionen für ihre Angestellten, die bisher laut Zeitungsberichten im wesentlichen keinen Groschen dazu-zahlen, erst für künftige Mitarbeiter reformieren, wirkt sich zumindest indirekt auch auf die öffentlichen Finanzen aus.

Gegen eine Revision nicht mehr zeitgemäßer oder im Vergleich zu unerläßlichen Umweltmaßnahmen weniger dringliche Sozialleistungen gibt es freilich massiven Widerstand. Die Überprüfung der Sonderregelungen für wirtschaftliche Krisengebiete, deren Auswahl problematisch geworden ist, findet so gut wie keine Zustimmung. Der Vorschlag des Präsidenten der Bundeswirtschaftskammer, Leopold Maderthaner, den Mißbrauch von Krankmeldungen dadurch einzudämmen, daß der erste Krankheitstag auf den Urlaub angerechnet wird (was bei fünf Wochen Mindesturlaub durchaus zumutbar wäre), wird mit heftigen Vorwürfen eines angeblichen Sozialabbaues beantwortet -auch von sogenannten bürgerlichen Kreisen (siehe H. P. Halouska, Anm. d. Red.). Und Sozialminister Josef Hesoun stieß mit dem Gedanken, die Gewährung der Arbeitslosenunterstützung an strengere Maßstäbe für die Annahme oder Ablehnung angebotener Stellen zu binden, selbst in den eigenen Reihen auf strikte Ablehnung.

So bleibt der Gedanke eines besser ausgewogenen Verhältnisses zwischen den öffentlichen Leistungen im

Sozialbereich und im Umweltschutz praktisch auf der Strecke. Zumal auch in seriösen Wirtschaftskreisen die Meinung zu erkennen ist, derzeit habe man doch andere Sorgen. Ein Argument, dem Josef Riegler entgegenhält, daß die Gefährdung unseres Lebensraumes ständig fortschreitet, wenn nichts dagegen unternommen wird; man dürfe sich also nicht leichthin Zeit lassen. Einzelne Schritte, so ist hinzuzufügen, mögen den guten Willen beweisen, haben aber mitunter nur Alibi-Charakter. Die zielbewußte Vorgangsweise auf der Grundlage der öko-sozialen Marktwirtschaft ist nicht zu erkennen.

Josef Riegler verweist darauf, daß gerade jetzt auch die internationale Entwicklung eine Politik in diesem Sinne nahelege. Im Vertrag von Maastricht, der Grundlage unserer demnächst beginnenden Verhandlungen mit Brüssel, werden Erhaltung und Schutz der Umwelt, die Verbesserung ihrer Qualität sowie internationale Maßnahmen auf diesem Gebiet in einem eigenen Artikel ausdrücklich als Ziel der Gemeinschaft angesprochen, auch wenn konkrete Aktionen der EG noch fehlen. Die große Umweltkonferenz von Rio de Janeiro hat, so Riegler, vor allem in Nord- und Südamerika weit stärkere Wellen geschlagen, als man bei uns annimmt. Und in der kommenden US-Regierung werde mit Vizepräsident AI Gore ein Mann sein, der sogar für eine Art Marshall-Plan zur Bewältigung der Umweltprobleme unseres Planeten eintritt. Das Konzept der ökosozialen Marktwirtschaft verdient es nicht, irgendwo in einer Schublade zu vergilben.

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