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Von dieser Stadt

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Es sind immer wieder dieselben Figuren, die Menschen, die übei leere, steinerne Plätze gehen, odei ein Kind, das in einer Gasse schreit. Es ißt da immer wieder dasselbe Panorama, eine Stadt, eine Stadt, die am Fluß liegt, eine Stadt am Meer. Ich selbst bin Immerzu in diese Stadt hinein unterwegs. In dieser Stadt bin ich nie gewesen, immerzu gehe ich in sie hinein, lange nicht an, gelange nirgends hin, gehe. Wäre diese Stadt ein musikalisches Gebilde, es müßte eines in Dur sein, ein Helles, Strahlendes, hingeforeitet über das sich in Inseln aufteilende Land, die grünen Arme des Meeres ringsum.

Ich halbe da Wirtshäuser betreten In roten Ziegelbauten. Da habe ich billigen Wein getrunken. Da hat mich ein alter Mann angebettelt und mir erzählt, daß er Opernsänger gewesen sei. Draußen am Meer ist ein schwarzes Schiff vorbeigefahren. Ich habe die Flaggen vom Mast wehen sehen. Es ist ein schwarzes Schiff vollbeladen mit Holz gewesen. Matrosen sind über die Stämme geturnt Da hat der alte Mann zu singen begonnen, ich habe eine Münze über den Tisch rollen lassen, der Wirt hat gelacht, der Wirt hat aus Münaen kleine Säulen aufgestapelt und draußen ist das Schiff gefahren und viele Vögel sind auf dem Wasser gewesen.

Und immer sind es die Gesichter, in die ich ganz fassungslos schaue. Da war einer, dessen altes Gesicht weiß gepudert gewesen ist. Da war eine dunkelhäutige Frau, die sich aus einem Fenster gebeugt hat. Ihre Augen sind so gewesen wie grüner Stein und ich habe mich der Korallen entsonnen und dann der Beeren des Holunderstrauches, dessen Zweige über einen Bach hängen. Es ißt aber noch etwas anderes aufgekommen, Hände mit spitzen Nägeln, die haben gewürgt, die haben sich in Fleisch gebohrt und zuletzt ist viel Blut gekommen. Wieder ist ein Schiff auf dem Wasser gewesen. Da ist ein weinender Mann über die Brücke gekommen und ein anderer hat Gitarre gespielt. Plötzlich öffnet er den Mund und du siehst, daß er keine Zähne hat, und daß seine Zunge schwarz ist und Wie aus Leder. Drüben hat die Sonne geschienen und die Häuser sind in den Nachmittag hineingestanden, ganz still.

Oder daß der Geruch von Zitronen aufgestiegen ist oder daß man Fässer von Bord gerollt 'hat, die auf der Planke einen dumpfen Ton erzeugt haben, weil sie voll gewesen sind. Immer wieder greift man sich an den Kopf, weil man zu träumen glaubt, weil alles so deutlich ist, ein toter Fisch auf den Steinquadern, eine flache Wolke über dem Meer. Man glaubt eu träumen, weil man endlich in der Welt ist weil man endlich mit ihr etwas zu schaffen hat Das kann nicht sein, denkt man, und das ist die Verzweiflung.

Ich habe in den Laden eines Handwerkiers geschaut An einer Hobelbank habe ich den Mann arbeiten gesehen. Helle Späne haben den Boden bedeckt Dosen mit Lack und Politur sind herumgestanden. Der Mann hat den Kopf des Nagels mit einen Eisen in das Holz versenkt. Der Mann hat gearbeitet Da ist aus seinen Händen heraus etwas geworden. Das wird ein Sessel, habe ich gedacht Ich habe in den Laden hineingeschaut Es ist wie der Blick in den Korb eines Kindes gewesen. So ist dann der Sessel unter meinen Augen fertiggeworden.

Vielleicht habe ich mir, das alles erfunden. Vielleicht gibt es diese Stadt gar nicht Vielleicht habe ich mir diese Stadt mit ihren Mensehen zusammengelogen. Vielleicht bin ich bloß ein Märchenerzähler, der gerade die Märchen erzählt, die alle hören wollen. — Dann sollte man mich besser fortjagen. Dann sollte man unibarmherzig mit Prügeln auf mich einschlagen, mich anspucken, mich aus den Häusern hinauswerfen und mir nachschreien, daß man meine Geschichten nicht mehr hören wolle. — Man soll diese Beden nicht als abgekartetes Spiel auffassen. Man sollte es sich genau überlegen. Vielleicht ist jeder einzelne Satz gezinkt Vielleicht hat sich hier ein neuer Potemkin sein Amt erschlichen. Dann sollte ein grausames Gelächter ausbrechen. Dann sollte man mit den Fingern das dünne Papier der Kulissen durchstoßen. Dann sollte man über die leeren, verbrannten Felder gehen, dann sollte man keine Angst haben.

Einerseits die gepflasterten Straßen, auf denen die Menschen gehen, anderseits die Wasserstraße, auf denen die Schiffe fahren. Wenn man die Schiffe betrachtet, dann weiß man plötzlich, daß weit und breit nichts ist, daß man in seinen Schuhen steckt und in seiner Hose und in seinen Handschuhen und daß man verloren ist. Da ist ein Zufall mit einem Mal Gestalt geworden, da geht ein kleiner Atem in die Welt hinaus. Da fahren Schiffe als schwarze, scharf abgegrenzte Trapeze über das Meer. Rauchwolken lösen sich in der Luft auf. Aus einem Wirtshaus dringt der Geruch von verbranntem öl. Der Duft von Blumen steigt über eine Gartenmauer. Es ist so leicht, sich die Schiffe wegzudenken. Es ist so leicht, sich ein offenes, windig-graues Meer vorzustellen, mit nichts anderem als den ewigen Wellen. Aber den Atem kann man sich nicht wegdenken, aber der Atem kommt und geht, es ist ein unausgesetztes Dasein.

So stehen Steinsäulen auf den Plätzen, so stumm und aufrecht hat man Pfähle in den Meeresgrund gerammt. Die Passanten sind in den finsteren Gassen verschwunden. Die Marktweiber haben ihre Stände verlassen. Jetzt stehen die Kisten und Körbe eckig und rund in der kalten Sonne. Eine Plane, die schlecht festgezurrt ist, knattert im Wind. Die Papiertüten, die an einem Pfosten aufgehängt sind, rascheln. Eine faule Tomate liegt auf dem Boden. Essig sickert aus einem Faß. Und diese Häuser ringsum stehen und schauen mit ihren Fenstern. Da fährt die Kälte durch die Welt. Da reibt man sich vergeblich die eisigen Knöchel. Eine Zeitung wird über den Platz geweht. Sie haben Ihre Zeitung verloren, denkt man, aber es ist niemand da, dem man diese Worte nachrufen könnte. Bloß aus einem fernen Hof dringt das Weinen eines Kindes.

Wenn man Glück hat fliegen die Vögel aus den Giebelfenstern oder es tauchen Wolken auf. Dann kann man ihnen zuschauen und ihre Spiele betrachten. Dann kann man sich die Stadt vorstellen, teils besonnt, teils von den Wolken beschattet. Es sind ja nur ein paar Schritte in die Gassen hinein, in die Wirtshäuser hinein, unter Menschen. Da braucht man bloß ein Wort zu sagen und das Wort wird richtig aufgefaßt und alle verhalten sich ganz richtig und keiner geht auf dem Kopf. Keinem rinnt Blut aus der Nase. Keiner klopft an den Fußboden wie an eine Tür. Keiner sticht sich ein Messer durch den Hals. Da fällt das Licht durch die Scheiben und macht helle Rechtecke auf dem Boden. Da tropft der Wasserhahn und macht putsch. So einfach ist das alles.

Der Mann, der mit seinem Strohhut auf dem Kopf beim Tisch sitzt, kaut Zirbelnüsse. Aber der Mann wird sterben. Der Mann, der mit seinem Schnurrbart unter der Nase an der Schank lehnt, trinkt Wein. Aber der Mann wird tot sein. — Jetzt bricht das große Gelächter aus, alle zeigen auf mich und rufen: Das haben wir immer schon gewußt! Da beginne ich auch zu lachen, eher ist es ein Lächeln, und sage Zirbelkern-Essen und Wein-Trinken und Tot-Sein und gehe dann zu jedem einzelnen und sage ihm, daß er sterben wird, aber da lachen sie alle noch lauter und beginnen zu tanzen. Sie tanzen im Kreis, die Hüte fliegen, einer hat ein Tamburin hervorgeholt und schlägt es. Plötzlich merken wir, daß wir auf einem Feld sind, weit draußen, daß es kalt ist, eiskalt, und daß ferne, weit weg, ein Fluß

rauscht

Aber die Schiffe haben Fahnen auf ihren Mästen aufgezogen. Aber die Häuser der Stadt sind beflaggt worden. Noch liegen die Papierschlangen auf den Fenstersimsen, aber man sieht sie schon durch die Luft fliegen. Noch ist das Koriandoli fest in kleine Dosen eingeschlossen, aber man sieht es schon in Wolken auf die Feiernden herabwirbeln. Die Straßen und Plätze sind sauber gefegt worden. In den Durchgängen liegen wie tot Betrunkene. Aus den Häusern dringt Bratenduft Die Menschen legen ihre warmen Gesichter an die Fensterscheiben. Alles wartet auf die Nacht, auf das festliche Aufgehen der Sterne. Der Wind trägt den dunklen Geruch des Meeres herüber. Es ist als würde man Perlen in ölgefülite Schalen versenken. Da klingt Musik auf, da ziehen die Buntröcke ein und die Geschmückten strömen wie erlöst aus den Häusern.

Immer stelle ich mir dieses Fest vor und die Figuren der Tänze und die Gesichter und Kleider der Frauen. Die Stadt sollte widertönen vom Gesang, die Nacht sollte die Wärme eines Leibes halben. Es sollte ein großes, glückliches Vergessen sein. Aber wohin ich schaue, hat man die Türen verschlossen und ich erschrecke vor dem Laut meiner Schritte.

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