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Von Ismailia nach Jerusalem

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Der zweite Termin für die Ägypter in Jerusalem zu den Außenministergesprächen am 15. Jänner erfüllt sie schon jetzt mit ebensolcher Sorge, wie ihnen im November erst die Ankündigung der Friedensreise überschwengliche Begeisterung verursacht hatte. Nach dem enttäuschenden Ausgang des Verhandlungstreffens zwischen Menachem Begin und Anwar As Sadat in Ismailia hatten nur der Besuch des deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt und die von ihm überbrachte Unterstützung der Europäischen Gemeinschaft für Ägyptens Drängen nach einem möglichst totalen israelischen Rückzug und echter Selbstbestimmung für die Palästina-Araber zu einem „Zwischenhoch“ in Kairo geführt.

Aber schon Präsident Carters Eintreten für Begins Plan von Israel kontrollierter „Arabistans“ nach dem Modell der südafrikanischen „Bantu-stans“ im Westjordanland und dem Gazastreifen hat alle Hoffnungen der Ägypter für einen amerikanischen Druck auf die israelische Führung zum Jahreswechsel am Boden zerstört. Ägyptens neuerwachtes Mißtrauen gegen Israel und den Westen hat zwar noch keine Verbesserung seiner äußerst strapazierten Beziehungen zum radikalen arabischen Lager und dessen sowjetischen Hintermännern zur Folge gehabt. Die Rolle der US-Botschaft in Kairo als Bindeglied für den Austausch von Vorschlägen und Gegenvorschlägen zum Begin-Plan zwischen Ägypten und Israel nach Abreißen der direkten Kontakte - sogar die neue Telefonleitung zwischen Alexandria und Tel Aviv ist schon wieder gekappt - hat aber schon schwer unter diesem frostigen Rückschlag zu leiden

Die schon vor Ismailia bekannten, aber erst durch den kaum verhüllten Eklat zwischen Sadat und Begin in ihrer Tragweite erkannten Standpunktverschiedenheiten von Ägypten zu Israel betreffen kaum bilaterale Streitfragen. Man ist sich in Kairo wie Jerusalem völlig darüber einig, daß der gesamte Sinai unter ägyptische Souveränität zurückkehren, in der Praxis jedoch zu einem Kondominium werden muß: mit ägyptischer Militärpräsenz bis zu den Wüstenpässen und israelischen Stützpunkten und Siedlungen an der Ostküste, mit einer großen entmilitarisierten Pufferzone von AI-Arisch am Mittelmeer bis zum Katharinenkloster an der Südspitze, die gemeinsam entwickelt und genützt werden soll.

Man könne daher fragen, weshalb sich Sadat überhaupt auf Probleme der Westbanks, Arabisch-Jerusalems und Gazas versteift, wo doch für Ägypten dort nichts zu holen ist. Das entspricht heute genau der Meinung des einfachen ägyptischen Mannes, der auch nach Ismailia nur den Frieden will, seine alten anti-israelischen Vorurteile weitgehend auf Palästinenser, Syrer und Libyer übertragen hat Aber selbst die arabischen Delegationen aus Gaza und den cisjordanischen Städten haben in Kairo jetzt recht klar zu verstehen gegeben, daß sie einer organischen Verbindung mit Israel unter ägyptischen Garantien dieser Autonomie und mit auch sonst engen Beziehungen zum Nil unbedingten Vorzug vor einer eigenstaatlichen Etablierung der PLO oder gar der palästinensischen Volksfront geben würden. Sieht man anderswo in der arabischen Weit, wie Algerien und Volksjemen fünfzehn oder zehn Jahre nach der Unabhängigkeit noch immer unter Diktatur und Mißwirtschaft der alten Befreiungsfronten zu leiden haben, so ist diese Scheu vor Jasser Arafat nur verständlich.

Ägyptens Engagement für die Palästina-Araber hängt mit dem Wiederaufleben alter Kairoer Hoffnungen zusammen, anstelle der PLO selbst wieder die arabische Führungsmacht in diesem nahöstlichen Schlüsselland zu werden. Eine schon von König Faruk verfochtene Lieblingsidee, die dann unter Abd el Nasser bis in die Katastrophe des Sechstagekrieges hinein voll durchexerziert wurde. Sadat versucht, es heute in Verhandlungen mit Israel doch noch möglich zu machen. Seine Grundidee von einem arabischen Palästina mit Ägypten als Schutzmacht ist aber im Grunde dieselbe, wie sie vor 1967 von der alten PLO unter dem Kairoer „Haus- und Hof-Palästinenser“ Ahmad Schukairi vertreten wurde.

Eine arabische Selbstverwaltung im Westjordanland und Gaza unter ägyptischer Oberhoheit und Militärpräsenz entspricht daher nicht diesen inner-sten ägyptischen Wünschen. In den ersten von Sadat an Begin übermittelten Gegenvorschlägen wurde daher eine Art israelisch-palästinensischer Doppelstaat vorgeschlagen, der mit gemeinsamer Verantwortung für die Verteidigung frappierend an das dualistische Konzept Österreich-Ungarn erinnert. Das ist als Verhandlungsgrundlage gedacht, während die Ägypter als Minimum israelischer Zugeständnisse sogar noch eine Gemeinschaftsverwaltung der besetzten arabischen Gebiete - vom Sinai abgesehen - akzeptieren könnten, in der Kairo die außenpolitischen Interessen der Palästinenser wahrnimmt. In einer solchen Lösung könnten auch die Golanhqhen einbezogen werden, falls sich Syrien weiter von jeder Friedenslösung ausschließt.

Für Jerusalem hat Begin Sadat in Ismailia einen Sonderstatus für die christlichen und islamischen Heirig-tümer angeboten. Dabei sollen der saudiarabische König Chaled die Schirmherrschaft über die Moscheen der Altstadt ein Gremium christlicher Führer die Verwaltung der Grabeskirche und anderer Heiligtümer in Jerusalem und Bethlehem übernehmen Der ägyptische Gegenvorschlag sieht die Entmilitarisierung von ganz Ostjerusalem und Schaffung einer Art freien Stadt vor, die jedoch eng und freizügig mit Israelisch-Jerusalem verbunden sein soll. Was Ägypten gerade noch akzeptieren könnte, wäre ein Teilabzug der Israeli aus der Altstadt und Schaffung eines über die eigentlichen Kultstätten hinausgehenden, zusammmenhängenden „Kirchen- und Moscheenstaates“.

Sadats Interesse an einer solchen Lösung hängt mit seiner Angewiesenheit auf Zufriedenstellung der saudiarabischen Gönner und Finanzhelfer Ägyptens zusammen König Chaled ist bei dem ganzen Palästinakonflikt eigentlich nur darauf erpicht, sich die Rolle eines Schirmherrn über Felsendom und Aksa-Moschee zu sichern und damit seinen Anspruch auf die gesamtislamische Kalifenwürde zu untermauern. Doch auch die vatikanische Nahostpolitik ist an der Seite der Ägypter in dieser Richtung höchstaktiv, was Dayans Jännerbesuch bei Papst Paul VI. veranlaßt haben dürfte.

Auch personell ist im ägyptischen Verhandlungsteam einiges in Bewegung. Während der Staatsminister für Äußeres, der koptische Christ Butros (Peter) Ghali, als schlechthin unersetzlich gilt wird in Kairo von Ablösung des Delegationschefs bei den Gesprächsrunden vom Menahouse, Abdel Megid, gesprochen. Der ägyptische UNO-Botschafter hat sich als wenig flexibel und zu cholerisch erwiesen. Der neue Außenminister Muhammad Ibrahim Kamel, bisher Kairoer Botschafter in Bonn, scheint eigentlich nur dafür da zu sein, den einem Mos-lim reservierten Posten zu repräsentieren, während die eigentliche Arbeit von Ghali erledigt wird. Der hellwache Kopte war auch in Ismailia der einzige Mann in der ägyptischen Delegation -Sadat nicht ausgenommen -, der sich den schlagfertigen Israeli voll gewachsen zeigte. Und so ist nach der großen Ernüchterung für Jerusalem doch wieder einiges zu hoffen, was den Nahostfrieden und auch was eine gewisse Erfüllung der ägyptischen Wünsche betrifft

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