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Von Kopf bis Fuß aufs Pumpen eingestellt

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Bundeshaushalt - Schicksalsbuch der Nation, in Zahlen gegossenes Regierungsprogramm, Sternstunde des Parlaments. Die Wirklichkeit sieht freilich anders aus. Der Finanzminister präsentiert das Regierungsbudget, garniert es mit Ap- percus zur Weltwirtschaftslage und weiß - Parlament hin, Parlament her - recht genau, daß dieses Budget von der parlamentarischen Mehrheit geradeso beschlossen werden wird, wie er es schon in den Sommermonaten mit den einzelnen Ressorts abgesprochen hat. Das stolze Budgetrecht des Parlaments wird in der österreichischen Wirklichkeit nicht einmal mehr als Fiktion gepflegt.

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Bundeshaushalt - Schicksalsbuch der Nation, in Zahlen gegossenes Regierungsprogramm, Sternstunde des Parlaments. Die Wirklichkeit sieht freilich anders aus. Der Finanzminister präsentiert das Regierungsbudget, garniert es mit Ap- percus zur Weltwirtschaftslage und weiß - Parlament hin, Parlament her - recht genau, daß dieses Budget von der parlamentarischen Mehrheit geradeso beschlossen werden wird, wie er es schon in den Sommermonaten mit den einzelnen Ressorts abgesprochen hat. Das stolze Budgetrecht des Parlaments wird in der österreichischen Wirklichkeit nicht einmal mehr als Fiktion gepflegt.

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Der Bundeshaushalt 1980, nun angeschwollen in die rationaler Kritik entrückten Dimension der 302-Mil- liarden-Schilling-Unvorstellbarkeit, was Minister Hannes Androsch am Dienstag der Vorwoche mit kaum unterdrücktem Stolz vortrug, ist auch im kommenden Jahr das Ergebnis einer Regierung, die von Kopf bis Fuß aufs Pumpen eingestellt ist. Das zehnte der bisher von Finanzminister Androsch präsentierten Bundesbudgets firmiert als sogenanntes „Sanierungsbudget“: Sein Defizit beläuft sich brutto auf rund 49 Milliarden Schilling und netto, das heißt nach Abzug der Ausgaben für den Schuldendienst, noch immer auf rund 30,7 Milliarden Schilling.

Um diesen Betrag erhöht sich auch der Schuldenstand der Republik Österreich. Das atemberaubende Tempo seines Wachstums ist lange schon ein arger Grund zur Besorgnis. Finanz- und Wirtschaftspolitik wird in Österreich schon seit 1974 auf dem Rücken der nächsten Generation ausgetragen.

„Nütze den Tag, so als ob’s der letzte wär’ “ - dieses Motto charakterisiert die Budgetpolitik. In Österreich heißt Budgetsanieren, dafür

Sorge zu tragen, daß auch in Zukunft die Staatsschuld einigermaßen termingerecht zurückbezahlt werden kann.

In Österreich ist man daran, eine eigene nationalökonomische Schule einzurichten. Sie nennt sich „Aus- tro-Keynesianismus“ und bezieht ihre sozial- und wirtschaftspolitische Rechtfertigung daraus, daß alles für die Erhaltung der Vollbeschäftigung getan wird. An dieser humanen Absicht ist nichts zu kritisieren, bloß die Art, wie sie von der Budgetpolitik unterstützt wird, ist äußerst problematisch.

Hinterher teilt der Finanzminister eine ihm in der Tat „passierte“ Budgetpolitik in Phasen ein, die er als rational gestaltetes „Konzept“ zu vermarkten versucht. Die „Phase 1“ (1970 bis 1973) war die Phase des Schuldenabbaus, die „Phase 2“ (1973 bis 1975) die Phase der Rezessionsbekämpfung, die „Phase 3“, in der wir uns laut Androsch’ ökonomischer Zeitrechnung im Augenblick befin den, ist die Periode des Defizitabbaues.

Mit der Wirklichkeit hat diese Einteilung wenig zu schaffen. Die Defizitwirtschaft begann schon in der Hochkonjunktur der frühen siebziger Jahre. Die budgetäre Vollbeschäftigungspolitik in der Mitte der siebziger Jahre war - wie nicht wenige Kritiker meinen - überdreht und wurde damals von einer - heute auch von Hannes Androsch als Schaden bezeichneten - Lohnpolitik konterkariert. Und die Büdgetsanierungs- politik (seit 1976) hat den Steuerdruck stark verschärft, läßt die Staatsausgaben in den nicht investiven Bereichen kräftig wachsen und produziert von Jahr zu Jahr neue Budgetdefizite.

Mit dem so viel zitierten „Keynesianismus“ ist das nicht zu begründen. Der britische Nationalökonom dachte seinerzeit an den Budgetausgleich innerhalb eines Konjunkturzyklus. Einen solchen Konjunkturzyklus hat er in seinen budgetpolitischen Empfehlungen mit etwa vier Jahren begrenzt.

In der Wirklichkeit der siebziger Jahre haben sich die Konjunkturzyklen sowohl in der Abfolge als auch in der Intensität wesentlich geändert. Die staatliche Defizitwirtschaft hat heute selbst unter der Bedingung einer angemessenen Wachstumsrate Ausmaß erreicht, die allenfalls im Kampf gegen eine tiefe Depression angemessen wäre.

Während Keynes seinerzeit eine antizyklische Budgetpolitik empfahl, wird in Österreich seit Beginn der siebziger Jahre prozyklische Budgetpolitik gemacht: der Finanzminister greift in die Staatskasse, solange diese noch voll ist, und steuert einen restriktiven Kurs, sobald nichts mehr vorhanden ist.

Hannes Androsch hat die Entwicklung aus den Augen verloren: Als er im Oktober 1978 sein Budget für das laufende Jahr vorlegte, ging er von eher schwachen Wachstumserwartungen aus. Die wirtschaftliche Entwicklung war besser als gedacht. Dennoch wird das für 1979 geplante Budgetdefizit um mindestens sechs Milliarden Schilling überboten. Er hatte, wie fast immer in der Vergan genheit, die Steuereinnahmen zu hoch und die Budgetausgaben zu tief angesetzt.

Diese Situation wird sich mit einiger Sicherheit auch 1980 wiederholen. Die Parlamentarier aller Fraktionen haben sich schon daran gewöhnt, daß es hierzulande mit der Budgetwahrheit nicht weit her ist. Die betrübliche Folge dieser Bewußtseinsänderung sind „Hausnummembud- gets“, über die ernsthaft zu beraten heute kaum noch Sinn hat. Das alles ist geblieben von dem einst stolzen Privileg des Parlaments, über die Staatsausgaben zu bestimmen.

Zu Beginn der siebziger Jahre war Finanzminister Androsch von den Möglichkeiten der konjunkturellen Feinsteuerung mit Hilfe des Bundeshaushaltes noch felsenfest überzeugt. Diese Überzeugung ist geschwunden. Geblieben ist eine von der Realität entfernte Einnahmen- Ausgabenrechnung über einen Ausgabenbrocken von 302 Milliarden Schilling und Einnahmen in Höhe von rund 253 Milliarden Schilling.

Und wenn sich im Oktober 1980 herausstellen wird, daß eigentlich doch wieder alles anders gelaufen ist, dann verursacht das bestenfalls noch eine kurze Meldung in der Tagespresse. Es braucht kein sehr puritanisches Gemüt, um zu finden, daß in diesem Jahrzehnt auch viel Budgetqualität verlorengegangen ist.

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