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Von Piaton zum Computer

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„Auch die Privatschulen bilden einen unersetzlichen Teil des österreichischen Schulwesens“, sagte der Minister. Die Männer, die für diese Privatschulen verantwortlich sind, waren vor einigen Jahren von der Richtigkeit dieser Feststellung gar nicht mehr so felsenfest überzeugt. .Woher sollte man die Lehrer nehmen, wenn die Orden immer weniger Nachwuchs finden? Waren die Patres in der Seelsorge nicht wichtiger als in der Schule, in einer Zeit, da der Staat die Chancengleichheit proklamiert und allen seinen Bürgern den Weg bis zu höchsten Bildungszielen freigibt?

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„Auch die Privatschulen bilden einen unersetzlichen Teil des österreichischen Schulwesens“, sagte der Minister. Die Männer, die für diese Privatschulen verantwortlich sind, waren vor einigen Jahren von der Richtigkeit dieser Feststellung gar nicht mehr so felsenfest überzeugt. .Woher sollte man die Lehrer nehmen, wenn die Orden immer weniger Nachwuchs finden? Waren die Patres in der Seelsorge nicht wichtiger als in der Schule, in einer Zeit, da der Staat die Chancengleichheit proklamiert und allen seinen Bürgern den Weg bis zu höchsten Bildungszielen freigibt?

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Wenn man heute „Kalksburg“ sagt, assoziiert man das mit „Trinkerheilstätte“. In vergangenen Jahrzehnten war der Name des Dorfes am Hang des Wienerwaldes Synonym mit dem Jesuitenkolleg, das als eine der berühmtesten Schulen des alten, großen, wie des kleingewordenen Österreich galt. Die Schule, aus der Minister und Diplomaten, Wirtschaftsführer, Gelehrte und Künstler und natürlich viele Theologen gekommen waren. Daß sich der Begriff verschoben hat, war nicht zuletzt dem Unbehagen zuzuschreiben, das aus dem Zweifel an der Existenzberechtigung erwuchs.

Was soll wirklich die Privatschule in . der demokratisierten Gesellschaft? Die Sozialfunktion, die die Kirche mit ihren Schulen durch Jahrhunderte ausgeübt hat, ist auf den Staat übergegangen. Die Notwendigkeit, Eliten heranzubilden, wird heute nicht gerne gehört; eine Schule, die sich dieses Ziel setzt, verstößt gegen das heiligste Tabu einer Gesellschaft, die die Gleichheit verherrlicht.

Eine Schule, die die „höhere Ehre Gottes“ in ihrem Wahlspruch trägt; die sich bemüht, ihre Schüler nach diesem Motto zu erziehen; die die Bildungswerte der Religion und der alten Sprachen in den Mittelpunkt dieser Erziehung stellen will — ist eine solche Schule nicht rettungslos unmodern, um so mehr dann, wenn sie schwere Opfer von den Eltern ihrer Zöglinge verlangen muß, um den Betrieb aufrechterhalten zu können?

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Als in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre die erste Phase der österreichischen Schulreform auch an die Mauern der Privatschulen brandete, da fanden sich die Lehrer am Jesuitenkolleg in Kalksburg, Patres wie Laien, am Sandkasten zusammen, um die Konsequenzen aus den neuen Gegebenheiten durchzuspielen und damit einen Weg zu finden, der aus dem Unbehagen, aus den Zweifeln an der eigenen Existenzberechtigung herausführen könnte. Nur in einer echten Alternative zur staatlichen Schule konnte diese Existenzberechtigung liegen, nur im Besonderen, im Einmaligen, eben in dem, was es nur dort geben kann, wo die größere Freizügigkeit der privaten Institution Experimente erlaubt, an die sich die staatliche Schule (noch) nicht heranwagt.

P. Rudolf Reichlin-Meldegg als Rektor des Gesamtkollegs und Doktor Erich Schmutz, mit knapp vierzig Jahren der zweitjüngste unter Wiens Gymnasialdirektoren, an der Spitze des Lehrkörpers haben in den vergangenen zwei Jahren diesen neuen Weg skizziert und durchexerziert. Sie haben versucht, mit dem „Projekt Kalksburg“ eine Antwort auf die Frage zu geben, wie sich das Studium griechischer Schriftsteller und lateinischer Grammatik mit Industriepsychologie und Computertechnik, das Menschenbild des christlichen Humanismus mit Demoskopie, Management und Gruppen-dynamik vereinen läßt.

So wurde zunächst einmal in der dritten Klasse eine der vier Deutschstunden abgezweigt, um die Schüler auf speziell programmierten Maschinen in die Kunst des Maschineschreibens einzuführen. In dieser Stunde macht ihnen auch Rechtschreibung und Zeichensetzung mehr Spaß, die sonst auf dem Programm stünden, und in den folgenden Jahren können sie auch ihre Hausaufgaben auf der Maschine schreiben.

In der 6. Klasse gibt es eine Stunde zusätzlich: Datenverarbeitung. Zunächst ließen sich die Mathematikprofessoren selbst am Computer ausbilden, nun bieten sie an, was für den künftigen Wirtschaftsführer oder Verwaltungsfachmann unerläßlich sein wird. Im Jahr darauf gibt es ein Seminar für Wirtschaftsfragen zur Einführung in die Grundelemente der Betriebswirtschafts- und Volkswirtschaftslehre, weitgehend praxisbezogen, an Hand von Fallstudien und unter Beiziehung von Wirtschaftsfachleuten.

Im Philosophischen Einführungsunterricht der siebenten Klasse kommen Soziologie, Gruppendynamik, Management zum Zug — nicht zuletzt auf der Basis der päpstlichen Sozialenzykliken von „Rerum nova-rum“ bis „Populorum progressio“. Von der griechischen Grammatik geht der Weg zur Logik des Aristoteles und weiter zur modernen Logistik, der Voraussetzung zum Verständnis des Computers. Selbst das Stichwort „Leistungsgruppe“ wurde aufgegriffen: der (alternative) Unterricht in Musik oder bildnerischer Erziehung erfolgt jeweils für die beiden letzten Jahrgänge gemeinsam, aber in getrennten Gruppen nach Interesse und Leistungsvermögen. Der Handarbeitsunterricht der Kleinen reicht bis in die Automechanik und Elektrotechnik.

Ein anderes Stichwort: „Schülermitverwaltung.“ „Man darf die Schüler nicht mit Aufgaben überfordern, die sie nicht bewältigen können“, bremst Direktor Schmutz — aber was möglich ist, wird längst getan. Selbstverständlich gibt es auch hier Klassen- und Schulsprecher, deren Anregungen auch gerne aufgegriffen werden, wenn sie durchführbar sind. Die Großen aus der 7. und 8. Klasse dürfen rauchen — im „Rauchtempel“. Im vorletzten Jahr erfolgt im Tanzkurs auch die erste — schulische — Begegnung mit dem anderen Geschlecht.

Koedukation, ein Wort, das für die Privatschulen noch vor kurzem verpönt war, hat seinen Schrecken verloren. Zwar gibt es in Kalksburg — noch — keine Mädchen, aber „warum nicht?“ fragt Direktor Schmutz. Wenn der Wunsch an die Schulleitung herangetragen würde, warum sollte man ihn ablehnen? Um Mädchen ins Internat aufzunehmen, fehlen zwar noch die baulichen Voraussetzungen, aber im Halbinternat oder auch extern — warum nicht?

Das Problem ist nur die Platzfrage. Von den rund 350 Schülern wohnt gut die Hälfte im Internat, 130 sind halbintern, 40 kommen nur zum Unterricht in die Schule. In die beiden ersten Klassen wurden 72 Schüler aufgenommen, ebenso viele mußten abgewiesen werden, und das, obwohl der Monat im Internat 2350 Schilling, im Halbinternat 1750 Schilling, für Externe 450 Schilling kostet.

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Also doch eine Pflanzstätte des „Establishments“? Natürlich sind 25 Prozent der Väter Unternehmer und Kaufleute, 30 Prozent Angestellte und Beamte, 25 Prozent Techniker, Ärzte, Lehrer und Journalisten, aber auch 10 Prozent Handwerker und 5 Prozent Bauern. Aber Jahr für Jahr werden 400.000 Schilling an Ermäßigungen gewährt, Institutionen und Privatleute stellen Freiplätze zur Verfügung. Wenn die volle Abgeltung der Personalkosten Wirklichkeit wird, dann sollen die Schulgelder ermäßigt werden. Aber mehr Platz wird es auch dann noch nicht geben.

Denn Kalksburg soll nicht zur Massenanstalt werden. Kalksburg soll ja das leisten, was die Massenanstalt nicht kann — mehr bieten und mehr verlangen, mehr Leistung fordern, zu mehr Verantwortungsbewußtsein erziehen. Es soll eine Elite heranbilden, die nicht durch Herkunft, Geld, Privilegien hervorsticht, sondern durch bessere Erziehung, durch mehr Wissen, durch Charakterstärke, durch größere Bereitschaft, sich zu engagieren, Aufgaben zu übernehmen, Verantwortung zu tragen — für die Demokratie, die ohne solche Eliten nicht existieren kann.

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