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Von Politik und Liebe

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Die Salzburger „Mozartwoche“ begann erstmals im Großen Festspielhaus: Gleichwohl wäre ihr zu wünschen, daß sie kein „großes Festspiel“ wird, sondern bleibt, was sie ist — wissenschaftlich grundiertes Korrektiv des Salzburger Festspielgedankens, der Mozart-Ästhetik und der Aufführungspraxis in Sachen Mozart. Zu berichtigen gibt es da viel! Der größere Raum gab einem breiteren Publikum die Möglichkeit, abermals den weitgehend unbekannten, ja den verkannten Mozart zu erleben: die Oper „Lucio Silla“ erfuhr unter Leopold Hägers Leitung eine konzertante Aufführung, die fortan aus der Rezeptionsgeschichte Mozartscher Werke nicht mehr fortzudenken sein wird; eine Schallplattenproduktion mit der gleichen Besetzung ging unmittelbar voraus.

I „Lucio Silla“ wurde für die Mailänder Karnevals-Stagione 1772/73 geschrieben; es ist die letzte Oper vor der „Fina giardiniera“, die allerdings erst drei Jahre später entstehen sollte. In Mailand ein En-suite- Erfolg, verschwand sie für hundertfünfzig Jahre von den Spielplänen; auch dann noch blieb es bei einzelnen mehr oder minder folgenlosen Belebungsversuchen. In Salzburg gab es vor zehn Jahren eine Aufführung auf dem sogenannten zweiten Festspielgeleis …

Die Salzburger konzertante Aufführung war jetzt um Authentizität und zugleich ein Höchstmaß von Wirkung überaus erfolgreich bemüht. Nichts Wesentliches war gekürzt; trotz nahezu dreieinhalbstündiger Dauer geriet sie zu einem fesselnden, in einigen Passagen zu einem atemberaubenden Ereignis — auch ist Giovanni de Gamerras Libretto weit besser als sein Ruf. Träger jener Kunstwirklichkeit sind Vokal- und (vor allem in den Rezitativen bereits erstaunlich ausgestaltete) Orchesterstimmen. Vier Soprane tragen das

Werk: Giunia, Verlobte eines von dem Despoten Lucio Silla verbannten Senators; Silla begehrt sie, doch sie bleibt — wie ihre Nachfolgerinnen aus dem Mozartschen Opernkosmos — standhaft bis zur Todesbereitschaft. Arleen Augėr gab ein neues Beispiel ihrer Phrasierungskunst und sängerischen Akribie; die Krone des Abends gebührte wohl ihr. Im Stimmklang und Gestus kontrastierte sie zu Julia Varady, die den Part des aktiven, gleichsam heldischen Cecilio — jenes Senators, des Geliebten der Giunia — übernommen hatte und mit großer Klanggebärde, mit dramatischem Feuer erfüllte.

Freund des Cecilio ist der Patrizier Cinna, ein aufrechter Charakter, von politischen und menschlichen Motivationen geleitet: vom geforderten Ausdruck her keine leichte Aufgabe für Edith Mathis, der man die Überlegungen zu einem politischen Mord nicht recht abnimmt, wohl aber das große moralische Bekenntnis. Unklar und etwas obenhin ist Celia, die Schwester Sillas, gezeichnet: Helen Donath suchte nach Möglichkeit zu differenzieren, die Attitüde sinnen- hafter Lebensfreude einzubringen. Der Titelpart ist weniger reich ausgestaltet als bei Mozart üblich; ein Manko, das mit der Entstehungsgeschichte der Oper zusammenhängt. Peter Schreier gab nicht den menschenverachtenden Herrscher, sondern zeigte mehr die Umkehr zur Güte und Entsagung. Sillas Ratgeber und Einflüsterer Aufidio — Werner Krenn — blieb ohne Profil. Leopold Hager war den Sängern ein guter Mentor und aktivierte das Mozarteum-Orchester zu gelöstem, tonschönem Musizieren, in der knappen, zugleich sachlichen und gefühlsgespannten Zeichnung einem modellhaften „Salzburger Mozartstil“ auf der Spur.

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