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Von Rabbi Jeshua lernen

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Der Sohn einer jüdischen Mutter ist ein Jude. Maria war Jüdin, Jesus war folglich Jude. Petrus war ein jüdischer Fischer am See Genezareth, auch die anderen der Apostel waren Juden, ebenso Paulus.

Jesus wurde beschnitten und im Tempel dargebracht. Er besuchte am Sabbat die Synagoge und legte seinen Zuhörern die Thora, die Weisung Gottes an sein Volk Israel, aus. Er sah sich zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt. Jesus, jüdisch Jeshua, das bedeutet: Jahwe ist Heil, war ein Rabbi, ein Jude, der die Weisungen Gottes nicht ablehnte, sondern sie erfüllen wollte. Das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe war bereits in der hebräischen Bibel enthalten, wenngleich Jesus eine neue Gewichtung gebracht hat.

Dies sind theologische Selbstverständlichkeiten. Angesichts der leidvollen Geschichte zwischen Christen und Juden und angesichts latenter und in den letzten Wochen in Österreich ungeniert auch offen geäußerter Bedenken dagegen, sich beim jüdischen Volk für die schreckliche Vergangenheit zu entschuldigen, halte ich eine kirchliche und theologische Besinnung und eindeutige bekenntnishafte Stellungnahme für unerläßlich.

In der katholischen Kirche hat sich aufgrund des Konzildekretes „Nostra aetate” eine Grundlage für ein völlig verändertes, positives Verhältnis der Kirche zum Judentum herauskristallisiert. Für die Epoche der „Kirche und Theologie nach Auschwitz”, in der wir leben, kann diese Neubesinnung der Kirche zur Entfaltung eines fairen Dialoges von säkularer Bedeutung sein.

In einem Forschungsprojekt — finanziert von der deutschen Bischofskonferenz, der deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung in Österreich — wurden u. a. folgende theologische Grundlagen erarbeitet:

1. Der Jude Jesus hat jüdisches Gedankengut eigenständig interpretiert und zugespitzt. Dies insbesondere etwa in der radikali-sierten Forderung der Feindesliebe und in der Aufwertung der Frau. In ihm wurde der Anspruch für die Welt zur radikalen Herausforderung, das Reich Gottes ist in ihm angebrochen.

2. Die Bewegung um Jesus den Christus ist keine jüdische Bewegung geblieben. Die gläubige Deutung seines Todes und seiner Auferweckung durch die Osterer-fahrung in Verbindung mit der Tatsache, daß sich immer mehr NichtJuden in diesen Glauben an den auf erweckten Christus einließen, sprengte den jüdischen Rahmen.

3. In Jesus dem Christus hat Gott auch NichtJuden zum Heil erwählt und nach dem Römerbrief — in den Baum Israels eingepfropft. Zur eigentlichen Trennung zwischen Judentum und Christentum kommt es durch die Aufnahme von Heiden, ohne daß sich diese der Beschneidung unterwerfen mußten.

4. Das zentral Unterscheidende zwischen Christen und Juden besteht im christlichen Glauben, daß in Jesus von Nazareth Gott Mensch geworden ist. Daß Gott Mensch wird, ist für einen Juden eine skandalöse Vorstellung, weil sie die Würde Gottes antastet. Der Glaube an die Inkarnation Gottes und der Glaube an den trinitari-schen Gott sind das eigentliche Unterscheidende zwischen Christen und Juden. Aus dieser Unterscheidung ist aber in keiner Weise ein Grund für antijüdische Vorurteile gegeben. Auch die pauschale Anklage, „die Juden” hätten Jesus umgebracht, ist zu undifferenziert. Ganz abgesehen davon, daß sich vom christlichen Anspruch her überhaupt keine Legitimation ergibt, deswegen Juden zu töten.

Wer sich seines christlichen Glaubens sicher ist, kann sehr wohl an den Juden Jesus Christus als die absolute Offenbarung Gottes für die Menschen glauben, ohne es nötig zu haben, den jüdischen Glauben als minderwertig, jüdische Menschen als minderwertig herabzusetzen.

Die Christenheit hat sich langsam aufgemacht, die Erbstreitigkeiten mit den jüdischen Schwestern und Brüdern hinter sich zu lassen und sich als Teil des einen auserwählten Volkes Gottes zu begreifen, an dem der Glaube an Jesus Christus Anteil gibt. Dem Gottesvolk des alten Bundes wurde von Gott her der,.Bund nie gekündigt (Johannes Paul IL, Ansprache an die Vertreter der Juden im Dommuseum in Mainz, 17. 11. 1980).

Der Autor ist Univ.-Prof. für Katechetik und Religionspädagogik an der Universität Salzburg.

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