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VonSchuldund Vergebung
Obiger Titel ist der Untertitel zu einem neuen Buch von Simon Wiesenthal: „Die Sonnenblume”. Daß Wiesenthal einiges über menschliche Schuld auszusagen imstande ist, werden ihm sogar jene zugestehen, die ihm just wegen der Tätigkeit gram sind, aus welcher er solchen Kompetenzanspruch im Laufe der letzten 24 Jahre bezogen hat. Im vorliegenden Buch setzt er sich nun auf Grund eines eigenen Erlebnisses mit dem Motiv von Vergebung auseinander. Das Erlebnis bestand darin, daß von ihm — in seiner ärgsten Zeit, als er gefangen und als Zwangsarbeiter in Polen, täglich, ja stündlich mit physischer Vernichtung rechnen mußte — Vergebung von einem jener verlangt wurde, der leicht sein Mörder hätte sein können. Sein können, wenn ihn nicht ein Artilleriegeschoß an der Front schwer verletzt und ins Lazarett gebracht hätte, wo er im Sterben nach einem Juden verlangte, der ihm die Absolution für all das Greuliche erteilen sollte, das er, ein SS-Mann, anderen Juden angetan hatte. Wiesenthal konnte ihn nicht absolvieren. Ihm fehlte in seiner ganzen damaligen Lage sowohl der „Abstand” als auch, wie er anführt, die Zuständigkeit. Sein Argument hdefür mag manchem ein wenig rechnerisch erscheinen: Vergeben könnten nur jene, an denen die Schuld begangen worden war; da sie jedoch infolge der letzteren gestorben waren,
konnten sie es nicht tun. Wiesenthal ist selber nicht von seinem Argument befriedigt und so reicht er die Frage, was er hätte tun sollen, weiter an andere, Heutige, von denen er glaubt, daß sie die Legitimation zu einer Beantwortung besäßen. Ihre Antworten füllen die zweite Hälfte des Buches. Es kommen dabei zu Worte Juden und Christen, ehemalige Opfer und überhaupt nie Verfolgte, Priester, Philosophen, Schriftsteller, Politiker. Und ebenso verschieden sind auch ihre Antworten, die zu geben und wie immer sie lauteten, keinem von ihnen leicht gefallen ist. Weil ja was damals geschehen ist, so furchtbar, so unmöglich, so ohne Präze- denz gewesen ist, daß überhaupt darüber schwer zu reden und zu entscheiden ist, wenn man vermeiden will, sich auf die gleiche Ebene jener Schuld zu stellen. Und darum möge auch — um auf die zurückzukommen, die Wiesenthal hier in Österreich gram sind — niemand sich vermessen, ihn dafür zu verurteilen, daß er nicht vergeben kann, ehe er nicht die. selbstgestellte und niemals ganz zu erfüllende Aufgabe erfüllt hat: die Schuldigen aüfzu- suchen und ihre Schuld vor diesen und kommenden Generationen zu etablieren.
DIE SONNENBLUME. Von Simon Wiesenthal. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg. 248 Seiten.
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