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Vor dem Ende der Klassenpolitik

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Der 100jährige Bestand der Sozialdemokratie ist nicht nur ein Jubiläum, mit dem die Sozialisten von heute auf die Verdienste der österreichischen und europäischen Sozialdemokratie, vor allem auf dem Sektor der sozialen Entwicklung, verweisen können. Dieses 100-Jahr-Jubiläum fällt genau in einen Zeitabschnitt, in dem sich die gesellschaftspolitisehen Entwicklungen, vor allem die auf sozialpolitischem Gebiet, weitgehend zu ändern beginnen.

Den sozialdemokratischen Parteien in Europa wird sichtbar der Boden für eine auf die Arbeitnehmerseite ausgerichtete Klassenpolitik entzogen, und allenthalben macht sich aus nicht zu übersehenden ökonomischen Gründen die Notwendigkeit einer Uberprüfung dessen bemerkbar, was bisher im Kapitel Sozialpolitik zusammengefaßt war.

Eine andere markante Entwicklung, der die Sozialdemokratie, vor allem die österreichischen Sozialisten, reichlich unentschlossen gegenübersteht, ist die europäische Wirtschaftsintegration.

Tragische Situation

Die österreichischen Sozialisten standen von allem Anfang an dieser Entwicklung skeptisch gegenüber und sind heute offensichtlich unentschlossen, welche Linie sie einschlagen sollen. Das Ganze war schon einmal ein innenpolitisches Problem, als in den sechziger Jahren unter ÖVP-Führung eine sehr eindeutige proeuropäische Integrationspolitik betrieben wurde, während die Sozialisten in der EFTA-Konstruktion das Maximum ihrer Integrationsbereitschaft sahen.

Die Situation für die SPÖ ist gewissermaßen tragisch. Jene Kreise in der SPÖ, denen die internationalen wirtschaftlichen Zusammenhänge in Europa bekannt sind, wissen genau, daß ein Fernbleiben Österreichs von den EG, auf Sicht gesehen, nur schwere wirtschaftliche Nachteile für unser Land bringen kann. Die andere Gruppe in der SPÖ, stark links orientiert, setzt alle Hebel in Bewegung, um die Regierung daran zu hindern, das dringend erforderliche Beitrittsansuchen in Brüssel abzugeben.

Sie unterliegt dabei außerdem dem taktischen Irrtum, daß ein Beitrittsansuchen noch keine

Entscheidung über einen tatsächlichen Beitritt sein kann, sondern erst die Voraussetzungen dafür klären muß.

Taktischer Irrtum

Diese Verzögerungs- beziehungsweise Verhinderungstaktik hat allerdings in erstaunlich kurzer Zeit einen Effekt gehabt, der von den Urhebern dieser Taktik sicherlich nicht erwartet und gewünscht wurde: Die ÖVP ist wieder wie vor 25 Jahren die österreichische Integrationspartei geworden.

Der Autor, Vizekanzler a. D.p ist Vorsitzender des Aufsichtsrates der Creditanstalt-Bankverein.

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