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Vor dem Jubiläum

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Seit einigen Jahren und noch bis zum Vorjahr mußte man immer wieder betonen, daß die alljährlichen Internationalen Filmfestspiele in Berlin — durch geschicktes Taktieren linksradikaler Kreise in eine Krise gedrängt und dadurch erst langsam und mühsam sich einen neuen Weg erkämpfend — eine Notwendigkeit für die Inselstadt Berlin bedeuten, die man aus verschiedensten Gründen (nicht zuletzt auch politischer Natur) kenwsfaHs-aufgeben odeiv durch Hefe^TORfgneM.erjnü^et^ycr-

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Seit einigen Jahren und noch bis zum Vorjahr mußte man immer wieder betonen, daß die alljährlichen Internationalen Filmfestspiele in Berlin — durch geschicktes Taktieren linksradikaler Kreise in eine Krise gedrängt und dadurch erst langsam und mühsam sich einen neuen Weg erkämpfend — eine Notwendigkeit für die Inselstadt Berlin bedeuten, die man aus verschiedensten Gründen (nicht zuletzt auch politischer Natur) kenwsfaHs-aufgeben odeiv durch Hefe^TORfgneM.erjnü^et^ycr-

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Nach den diesjährigen Festspielen besteht die Bedeutung eines solchen Hinweises nicht mehr: die 24. Berlinale hat sich auch filmisch so eindrücklich manifestiert, daß an ihrem Weiterbestehen nur Pessimisten und fanatische Gegner noch zu zweifeln imstande sein können. Was das offizielle Wettbewerbsprogramm bot, zeigte nicht nur eine klare und eindrückliche Linie (und zwar im Sinne eines neugefundenen Weges), sondern bewies auch eine solche künstlerische Qualität, daß es jede Konkurrenz erfolgreich zu bestehen imstande ist. Dies sei an die Adresse einiger Radikaler irgendeiner linker Couleur gerichtet, die künstlich einen Zwiespalt mit dem letztlich ganz andere Ziele verfolgenden, leider gleichzeitig stattfindenden „internationalen forum des jungen films“ hervorzurufen und diesen aufzubauschen versuchen — wobei es ihnen gar nicht um den künstlerischen Film, sondern nur um Zerstörung geht, um anarchistische Absichten. (Daß das „forum“ die besseren Filme bringt, diese faule Ausrede ist ihnen in diesem Jahr genommen worden — was werden sie dann als Vorwand erfinden, um weiter zu unterminieren?)

24 Filme präsentierte Festspielleiter Dr. Bauer bei der Berlinale, die im nächsten Jahr ihr Vierteljahrhundert-Jubiläum begeht. Daß unter ihnen auch schwächere sind, ist wohl selbstverständlich — es gibt und gab noch kein einziges Filmfestival in der Geschichte des Kinos, das nur Spitzenwerke präsentierte, und solches zu verlangen, hieße sich als Narr zu gebärden. Doch schien das Gesamtniveau so bedeutend, war unter dem Aufgebot soviel Uberdurchschnittliches, daß jeder vernünftig denkende Filmfachmann nach diesem Jahr feststellen muß: die Berliner Filmfestspiele sind wieder zu einem (gegenwärtig) höchsten Ansprüchen genügenden Festival geworden, das seinen Platz neben Cannes und den anderen Filmwettbewerben durchaus berechtigt vertritt.

Dabei hatte es die Auswahlleitung durchaus schwer: nachdem sogenannte „Kommerzfilme“ auf der hetzerischen Liste der verpönten Kinoware stehen (was für ein Unsinn! Warum sollen Kinofilme — unpolitischer Absicht — nicht auch hohe filmkünstlerische Qualität aufweisen können?) und daher Werke „arrivierter“ Filmschöpfer auch unter diese gezählt werden, ist das Angebot festivalreifer Filme von vornherein sehr eingeschränkt. „Stars“ sind erst recht suspekt, in den Augen dieser Politdenker jedenfalls, also fallen auch solche Filme weg. Daß es also heuer gelang, trotz aller dieser von bestimmter Seite sofort Einwände heraufbeschwörender Einengungen, eine so hohe Anzahl sehens- und diskussionswerter Streifen aufzufinden und zu präsentieren, muß als Leistung doppelt hoch bewertet werden.....

Sogar eine echte filmische Überraschung — Sensation wäre vielleicht etwas zu hoch gegriffen — fand sich unter den Wettbewerbsfilmen: des jungen iranischen Regisseurs Sohrab Shadid-Saless zweiter (?) Film „Stilleben“ (Tabiate Bijan), die unwahrscheinlich ruhig erzählte und dabei durch seine innere Spannung faszinierende Erzählung von einem alten Bahnschrankenwärter, der an seiner Pensionierung zerbricht. Dieses souverän gestaltete Meisterwerk, das an den Beschauer hohe Ansprüche stellt, erhielt nicht nur einen „Silbernen Bären“ der Hauptjury, sondern darüber hinaus noch eine Empfehlung des Internationalen Katholischen Filmbüros (OCIC), einen „Otto-Dibe-lius-Filmpreis“ der internationalen Evangelischen Filmjury und schließlich noch den Preis der FIPRESCI (Vereinigung der internationalen Filmpresse) — „für sejne hohe menschliche Thematik, seine politische und soziale Bedeutung und seine filmkünstlerische Qualität“, somit der meistausgezeichnete Film der Berlinale, in seltener Einmütigkeit ausgesprochen! Und wohl noch selten wurden Preise so verdient zuerkannt ...

Es fehlt hier der Platz, alle filmischen Ereignisse des Festivals aufzuzählen — daher seien nur die wichtigsten, bei denen eine Chance besteht, daß sie auch einmal bei uns zu sehen sein werden, herausgegriffen — wobei die Reihenfolge keinerlei Wertung bedeuten soll. Hier sei in erster Linie der französische Problemfilm „Der Uhrmacher von Saint-Paul“ genannt, das Filmregiedebüt Bertrand Taverniers, die Geschichte der (wöM politisch zu sehenden)1 Be-wußtseinswerdung eines bürgerlichen Mannes, dessen Sohn einen Mord begangen hat. Der vor allem von Philippe Noiret großartig dargestellte, nach einem Roman von Simenon überaus geschickt gestaltete Film erhielt nicht nur einen „Silbernen Bären“ als Spezialpreis der Jury, sondern auch den Preis der OCIC. Oder „Brot und Schokolade“ des Italieners Franco Brusati, die ebenso bitter-tragische wie komödiantisch-satirische Darstellung des italienischen Gastarbeiter-Problems in der Schweiz (ebenfalls mit einem „Silbernen Bären“ und einer Empfehlung der OCIC bedacht), weiters die englische Diktatoren-Persiflage „Little Malcolm“ von Stuart Cooper, eine shakespearehafte Bühnenstückverfilmung mit Paraderollen für vier Schauspieler, die grandiose Bravourleistungen absolvieren: John Hurt, John McEnery, David Warner (Belohnung: ein „Silberner Bär“).

Unter die sehenswerten Filme der Berlinale sind aber nicht weniger „Effi Briest“ von Rainer Werner Faßbinder zu zählen, eine streng stilisierte Romanverfilmung mit Diskussionswert, ebenfalls durch einen „ Otto-Dibelius-Filmpreis“ ausgezeichnet (wenn sich Faßbinder nur nicht alle Sympathien bei persönlichen Kontakten durch seine wortkarg-unfreundliche Muffigkeit verderben würde!), oder „Charly Einauge“, ein in.das Gewand eines blutigen Western gekleidetes allgemeingültiges Rassen-Verständigungs-Thema von dem Engländer Don Chaffey, die jugoslawische ebenso mutige wie genial verschleierte systemkritische Parabel „Hamlet in Mrdusa Donja“ von Krsto Papic, und schließlich die mit dem Hauptpreis des Festivals, dem „Goldenen Bären“, demonstrativ geehrte kanadische Filmkomödie „The Apprentice-ship of Duddy Kravitz“ von Ted Kotcheff — wobei die Betonung hier wirklich auf dem Begriff „Komödie“ zu liegen hat, was allerdings bei dieser antisemitische Gefühle hervorrufenden Karrierestory in deutschsprachigen Ländern weniger zur Geltung kommen wird als auf dem nordamerikanischen Kontinent.

Was war die einzige wirkliche Enttäuschung? Der ebenso mit Spannung erwartete wie (vermutlich aus politisch falsch empfundenen Gründen) mit vielfachen tiefen Bücklingen empfangene sowjetische Beitrag — außer Konkurrenz (sonst hätte er ja einen Preis erhalten müssen!) gezeigt — „Mit dir und ohne dich“ von Rodion Nachapetow. Anstatt es als selbstverständlich hinzunehmen, daß aus allen Ländern Filme bei einem Festival zu erwarten sind, überschlugen sich manche Ehrerbietige vor Begeisterung darüber, daß nun das östliche Berlinale-Boykott „endlich“ aufgehoben sei — und was bekamen sie dafür? Ein kleinbürgerlich-prüdes, unsagbar spießiges und konventionell-bourgeoises Kolchos-Melodram, das ebenso eindeutig wie erschütternd demonstrierte, wie tief der Abstieg von Eisenstein-schem Feuergeist (in „Das Alte und das Neue“) zu heutiger biederer westlicher Stilkopierung geführt hat. Die Berliner Zeitungskritiken, notgedrungen, ergingen sich in Entschuldigungsversuchen, und der noch kurz vorher ertönende Freudenruf „Die Russen kommen!“ verstummte in peinlichem Schweigen. Das vorherzusehen, war nicht schwer: es hätte bekannt sein müssen, daß vielfach Freude herrschte, als die Russen wieder gingen, oder noch größere, wenn sie gar nicht erst gekommen wären. Das fand sich nun auch im Kino bestätigt...

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