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Vor dem Massaker

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In den letzten Monaten hörte man viel von den „Juden in Österreich”. In diesem Zusammenhang ist es besonders erfreulich, daß nun eine objektive, wissenschaftliche Studie über dieses Thema, wenn auch bloß in bezug auf einen beschränkten Zeitraum (1934 bis 1938), erschienen ist.

Es ist der Autorin unter anderem gelungen, durch ihre Darstellung des Selbstverständnisses der jüdischen Gruppen dieser Zeit, sowie der jüdischen und nichtjüdischen Kritik an diesen, die Vielschichtigkeit des Judentums aufzuzeigen. Die Spannungen und Differenzen zwischen den einzelnen Gruppen wurden durch eine innere Krise, aber auch durch eine Neuorientierung des österreichischen Judentums verursacht, was auf seine Lebendigkeit und Dynamik hinweist. Neben der innerjüdischen Situation wird auch die Situation der „Judenchristen” sowie die Haltung von Juden und Nichtjuden zur Konversion behandelt. Wie Maderegger selber schreibt, war es „die Aufgabe des ersten Abschnittes… Einblick zu geben in die Probleme und Auseinandersetzungen dieser Gemeinschaft (der Juden) und ihre Haltung zu Österreich, damit die Verzerrung des Bildes, welche die Antisemiten vom Judentum hatten, im folgenden deutlich werden kann”. (104) Obwohl sich die verschiedenen Gruppen zum Teil heftig bekämpften und kritisierten, waren sich alle eins in ihrem Bekenntnis zu Österreich. „Die Erhaltung Österreichs sis unabhängiger Staat war ein Grundanliegen aller jüdischen Gruppen.” (67) Dies war „einerseits ein Erbe der Monarchie, der die Juden, soweit sie nicht sozialistisch eingestellt waren, positiv gegenüberstanden. Anderseits lag ein selbständiges Österreich im Interesse eines jeden Juden, da die einzige Alternative seit 1933 der Anschluß an das nationalsozialistische Deutschland war.” (67)

Im zweiten Teil des Buches zeigt Maderegger die Haltung der Umwelt zu den Juden. Si& zeichnet ein deutliches Bild des „österreichischen Antisemitismus”, der sich von dem deutschen unterscheidet, indem er „nicht offen, sondern versteckt und ungreifbar auftrat” (235), wie insbesondere an der Diskriminierung jüdischer Ärzte, vor allem der Jungärzte, deutlich wird. Im Zusammenhang mit dem Verhalten zu den Juden in verschiedenen Berufs zweigen, insbesondere im öffentlichen Dienst, zitiert die Autorin Eli Rubin, der 1933 schrieb: „Was Deutschland in wenigen Tagen unter gewaltigem Getöse in Szene setzte, hat Österreich schon seit dem Umsturz mit nicht mehr .Gerechtigkeit, aber mit mehr Geschicklichkeit und mit mehr Glätte, mit weniger Theatralik und mit weniger Lärmentwicklung, manchmal verbindlich-bedauernd lächelnd, aber immer erbarmungslos hart, durchgeführt.” (214) Zusammenfassend schreibt Maderegger: Die Haltung der Umwelt zu den Juden „reichte von Gleichgültigkeit und stillschweigendem Hinnehmen antisemitischer Parolen bis ziu aktiver antisemitischer Agitation.” (267) Sie stellt eine Zwiespältigkeit in der Judenpolitik des Ständestaates fest und eine schwankende Haltung der Kirche. Eine Analyse der Presse der Zeit läßt eine allgemein negative Haltung der Massenblätter dem Judentum gegenüber erkennen.

Besonders wertvoll ist es, daß die Autorin auch die positiven Bemühungen im Kampf gegen den Antisemitismus würdigt, in erster Linie die Schriften von Irene Harand und Wilhelm Börner sowie die Ansätze zu einer Verständigung seitens einiger katholischer Geistlicher, wie Pater Zyrill Fischer und Johannes Österreicher, sowie der von Dietrich von Hildebrand geleiteten Zeitschrift „Der christliche Ständestaat” (144).

Maderegger verurteilt nicht, sondern fragt „nach der Verantwortlichkeit in einem autoritären System” (27) und stellt eine „unentschlossene und uneinige Haltung der Verantwortlichen des Staates” (128) fest.

Das Buch schließt mit einer Würdigung der jüdischen Wissenschaftler und Künstler, die trotz Anfeindungen der Umwelt und trotz der Schwierigkeiten der Zeit, mit denen sie ebenso „zu kämpfen hatten wie alle anderen Österreicher auch” (217),

Leistungen hervorbrachten, „die aus der österreichischen Kultur nicht mehr wegzudenken sind, ja, sie entscheidend mitprägten.” (267)

DIE JUDEN IM ÖSTERREICHISCHEN STÄNDESTAAT 1934—1938. Von Sylvia Maderegger. Veröffentlichungen des historischen Instituts der Universität Salzburg VIII, Geyer Edition, Wien-Salzburg, 230 Seiten.

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