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Vor Gott sich selbst finden

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Wir möchten uns vielmehr im Folgenden auf einige elementare Bedingungen religiöser Erziehung besinnen, an welchen das Problem der Glaubensfreiheit gleichzeitig dargestellt werden soll.

1. Nur wenn religiöse Erziehung bezogen ist auf eine fundamentale

Anschauung gelebten Glaubens, vermag sie zur Freiheit des Glaubens zu führen.

Im Sprachewerden von Vertrauen, aber auch von Angst und Angstüberwindung erzeugt alles kindergemäße Reden zu Gott und vor Gott das erste Begreifen von

Schuld und Vergebung. Das heißt, daß religiöse Erziehung vom ersten Umgang mit religiösen Worten und Symbolen an an jene Erfahrungsdimension gebunden ist, die Pestalozzi als die fundamentale Anschauung bezeichnet hat.

Keine der drei Institutionen, in welchen religiöse Erziehung vornehmlich geschieht, Familie — Kirche — Schule, kann auf Anschauung im Sinn der Vermittlung lebbaren, gelebten Glaubens verzichten.

Im Blick auf unser Thema ist damit gesagt, daß religiöse Erziehung immer in Bindung an tradierte Sprache, tradierte Symbole, tradierte Inhalte, das heißt, an eine bestimmte Uberlieferung von Religion, von Kirche, von Konfession und an die Vermittlung bestimmter Glaubensinhalte gebunden ist.

Jeder ernstzunehmende Begriff von Erziehung schließt von vorneherein ein Marktangebot beliebiger Glaubensinhalte und Glau-bensforhien aus.

2. Religiöse Erziehung heißt Aufklärung. Sie bedeutet Be-wußtmachung der Freiheit des Glaubens. Sie führt damit zur Fähigkeit freier Glaubensentscheidung und, so verstanden, zur Glaubensfreiheit.

Freiheit an Glauben tritt bereits dann in einen religiösen Erziehungsvorgang ein, wenn ein Kind dazu angeleitet wird, nicht nur in vorgeprägten Gebetsworten, sondern auch selbst in eigenen Worten zu beten. Diese Schritte in eine erste Mündigkeit zu gehen und später auf allen Stufen neu zu ermöglichen, ist christliche Religionserziehung.

Ihre Ambivalenz ist unvermeidlich, sie kann zur Loslösung von jeder religiösen Praxis ebenso führen wie zur Erfahrung evangelischer Einheit, das heißt zur Einsicht, daß Glauben immer die Freiheit des Menschen vor Gott bedeutet.

Religionserziehung ist Aufklärung kraft der Vernunft und kraft der Freiheit, die dem Evangelium innewohnt. Das aber bedeutet auf einer höheren Stufe christlich religiöser Erziehung, daß eine bestimmte Form von Religionskritik ihr innewohnen muß. Man kann sagen, als die evangelische, als die therapeutisch-befreiende Dimension dieser Erziehung.

3. Die Bindung religiöser Erziehung an das Evangelium bedeutet Begegnung mit Fremden. Sie führt dann notwendig auch zur ökumenischen Begegnung, zur Öffnung für fremde Religionen.

Wenn die Sprache christlicher Uberlieferung, insbesondere die biblische, das Material ist, aus dem Glauben anschaulich wird, dann bedeutet religiöse Erziehung bereits auf einer elementaren Stufe den Umgang mit Fremden. Genauer: Dann besteht eine Erziehung zum Glauben in jener Einheit von Beheimatung und Verfremdung, welche jedem Prozeß einer Identitätsfindung zugrunde liegt.

Nun geschieht heute christliche Religionserziehung in einer Situation, da alles, was den Lauf der Geschichte scheinbar geordnet und entschieden hat, unversehens in neuer Anspruchshaftigkeit wieder gegenwärtig geworden ist.

Es scheint, daß wir überall von vorne anfangen müssen, weil auch die Zukunft gleichsam von vorne angefangen hat.

Christliche Religionserziehung hat sich, angesichts dieser Situation, wie mir scheint, auf zwei Aufgaben zu beschränken.

Einmal: eine christliche Religionserziehung ist heute nur noch möglich, wenn sie sich auch der Gegenwart des anderen zuwendet, die christliche Begegnung mit ihm riskiert, einfach deshalb, weil dieser andere in einer Weise da ist, wie dies seit der Glaubensspaltung noch nie der Fall war.

Die Frage kann längst nicht mehr sein, ob solche Begegnungen in die religiöse Erziehung einbezogen werden sollen oder nicht, sondern wie sie verantwortlich geschehen können, wie die Oberfläche einer unverbindlich, beinahe nur noch folkloristisch erscheinenden Verschiedenheit durchbrochen werden kann und der andere in seiner wahren An-dersheit und damit mit seiner wahren Anfrage an uns erkennbar wird.

Die Pflicht der Religionserzie-himg wird es zum anderen sein, auch Gefühle überzuführen in Verantwortung. Zuletzt bewährt sich religiöse Erziehung weder darin, daß sie die jungen Menschen in ihre eigene Tradition einbettet, nachdem sie deren Horizont weitmacht für andere Traditionen - so wichtig beides ist -, sondern darin, daß sie ihnen hilft, im Gewissen festzuwerden, daß sie ihnen zu der Freiheit des Glaubens verhilft und daß sie vor Gott sich selbst finden lernen.

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