7043772-1990_26_07.jpg
Digital In Arbeit

Vor unseren Augen geht die Schöpfung zugrun'ae - na und?

Werbung
Werbung
Werbung

I chsteheunterdem Eindruck von Gesprächen und Informationen über die Situation unserer Umwelt, die mich in der letzten Woche sehr · betroffen gemacht haben - wieder einmal: Da berichtet ein Freund von einer Informationsreise durch Salzburg. Der Besuch von Bauernhöfen war auf dem Programm. Viele von diesen -ja die meisten - sind unrentabel bei halbwegs vernünftiger Kalkulation.

Sie leben von der hartnäckigen Ausdauer, vom Verzicht, von . der unbedankten Einsatzbereitschaft und der Heimatverbundenheit der älteren Generation von Bauern. Fällt diese einmal aus, wird die Alpenlandschaft verwildern, die · Lawinengefahr steigen, die Bewohnbarkeit der Täler infragestellt werden.

Im Bereich der Tauernautobahn, dort wo die aus den Tunnels abgesaugten Abgase ins Freie treten, können die Almen wegen Vergiftung der .Böden guten Gewissens nicht mehr genutzt werden. In einem nahe der Autobahn gelegenen Stall hat die Fruchtbarkeit der Tiere merkbar abgenommen - trotz des au/wendigen Lärmschutzes.

Die Fähigkeit des Bodens, Wasser zu speichern, sinke laufend, erzählt er weiter, nicht nur in den Alpen, dort aber mit besonders schwerwiegenden Folgen: Die Zahl kleiner und mittlerer Rutschungen hat stark zugenommen. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis größere Muren abgehen würden. Auch dafür ist die Übersäuerung der Böden ein Hauptverursacher.

Und gerade die Bevölkerung von Salzburg hat ·eben erst gegen die Einführung von Tempolimits gestimmt! Und die Verkehrsdichte auf den Transitrouten in den Alpen nimmt zu.

Ein Schlaglicht aus dem Osten des Landes: Eine Bestandsaufnahme der Waldqualität im waldreichsten Bezirk Niederösterreichs (Lilienfeld) ergab, daß mehr als zwei Drittel der Buchen krank sind.

Ich schlage die ·Zeitsch rift „ Umwelt-Erziehung " auf. Thema: Ozon. Warnung vor den schädlichen Folgen dieses Gases. Besonders bei Schönwetter sei es bedenklich, Kinder zu Mittag ins Freie zu lassen. Bedenklich hohe Werte wurden im Wienerwald, am Neusiedlersee, aufl OOO Meter Höhe in den Alpen gemessen. Wo man früher hingepilgert ist, „um an die Luft zu kommen", hält man jetzt besser ????en Atem an. Da seien manche Städte besser dran: Dort schütze die Dunstglocke vor Ozonbildung!

Dann am Samstag ein Seminar zum Thema: „Die veruntreute Schöpfung". Wieder das Thema Ozon, wieder die Beschreibung eindeutiger Beziehungen zum Waldsterben. Die Ozonkonzentration steige in unserem Lebensraum jährlich um ein bis drei Prozent, erreiche beispielsweise auf der Jägerwiese im Wienerwald bei Schönwetter bedrohlich hohe 'werte, be-

komme ich zu hören. Und dabei: E,igentlich sind all diese besorgniserregenden Beobachtungen alte Hüte. So alte, daß jeder,. der ähnliches liest, weiterblättert, den Kopf schüttelt - und alles möglichst rasch vergißt. Wir sind einfach · in . Sachen Umwelt weitgehend abgestumpft, haben ja schon so viel wegstecken müssen: Tschernobyl und das europaweit verstreute Cäsium, das unsere Nahrung immer noch „anreichert ", die immer wiederkehrenden Tankerkatastrophen, Seveso und Bhopal, Basel, den toten Aralsee, die Wasserverseuchung in der Mitterndorf er Senke und die Nitratbelastung des Grundwassers und, und, und....

Der kleine Mann resigniert und lenkt sich mit der Fußball-WM ab.

Und die Politiker steuern verbissen auf EG-Kurs. Damit können wir uns aber keine wirklich bf!deutsame Umweltpolitik - die ja etwas kosten muß - leisten: Denn mit diesem Ziel vor Augen stehen Effizienz und Konkurrenzfähigkeit der Betriebe auf dem Programm. Und wirklich -bedeutsamer Umweltschutz ist auf später vertagt: Ja, dann im Gleichschritt mit der EG werden wir es angehen, heißt es. Daß die bekannt unbewegliche EG-Maschinerie sich zum ·Anwalt der Umwelt mausern könnte; glaubt eigentlich niemand wirklich ernsthaft.

Ist es·nichtzum Verzweifeln? Was so viele 'in den siebziger Jahren begriffen hatten, nämlich, daß es „ Grenzen des Wachstums" gibt, scheint heute wieder vergessen zu sein. Munter steuern wir auf Expansionskurs, glücklich über jeden Protetitptlnkt mehr an steigendem Bruttönationalprodukt. Umweltsanierung erfordere eine florierende Wirtschaft, heißt es. Dann erst könnten wir uns den Umweltschutz leisten'und die Durchführung entsprech ????ri'i:ler Gesetze finanzieren.

Und dabei ist es ja mehr als fraglich, ob mit Gesetzen und Verboten allein das Auskommen gefunden werden 'kann.

Ein Gespräch mit einem für Wasser/ragen zuständigen Beamten hat mich sehr nachdenklich gestimmt': Er stünde der auf ihn zukomm'enden Gesetzes- und Verordnungslawine beinahe hilflos gegenüber,_ klagte er. Wenn diewirtschaftliche Rdtionalität zu Umweltsünden erm4tige, sei eine überlebensfähige Umwelt durch Kontrolle und Besttafung (sie ist meist lticherlich nied?ig im Vergleich zum wirtschaftlichen „Nutzen " der UmweltscfJ.ädigung) einfach nicht zu gewährleisten. Das Verantwortungsbewußtsein des einzelnen könne nic????t ????'durch Perfektionierung der Übetwachung ersetzt werden. Gertau das ist aber die Grundphilosophie unseres derzeitigen Systems. Es peitscht die Wirtschaft zu weiterer Expansion voran und . . , , . versucht bestenfalls, den dabei auftr,etenden Schaden im nach.hinein · (vielfach werden schädliche Folden Ja er,st nach Jahren erkannt) ZU minimieren. Wenn sich hier riichts arldert, sind großräumige Umweltkatastrophen vorprogrammiert' ???? t-tnd.????mit ihnen die Einrichtung von „Oko-Dikataturen ".

Was tun? Wahlen stehen vor der Türe. Sie werden uns eine Flut von schön/ärberischen Botschaften vom Aufschwung ins Haus liefern, werd ????suggerieren, die Entscheidungsträger hätten alles ohnedies weitgehend im Griff

Damit· sollten wir uns nicht abspeisen\ lasseri. Glaubwürdige Politik wird uns mit erforderlichen materi'ellen Opfern konfrontieren. Ihre Notw????ndigkeit einsehen zu lernen, ist die Herausforderung für jedermann.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung