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Vor vollendeten Tatsachen

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In eine nunmehr groteske Phase ist der Streit zwischen Ungarn und der Tschecho-Slowakei über die Fertigstellung der Staustufe Gabcikovo/Bös geraten. Das Budapester Parlament hat neulich die Regierung beauftragt, den Bauvertrag aus dem Jahre 1977 zu kündigen, sollte das Nachbarland die Bauarbeiten am umweltgefährdenden Monstrum bis zum 30. April dieses Jahres nicht einstellen.

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In eine nunmehr groteske Phase ist der Streit zwischen Ungarn und der Tschecho-Slowakei über die Fertigstellung der Staustufe Gabcikovo/Bös geraten. Das Budapester Parlament hat neulich die Regierung beauftragt, den Bauvertrag aus dem Jahre 1977 zu kündigen, sollte das Nachbarland die Bauarbeiten am umweltgefährdenden Monstrum bis zum 30. April dieses Jahres nicht einstellen.

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Von der Fertigstellung des ungarischen Gegenstückes zum naturfeindlichen Zivilisationsungeheuer - Na-gymaros, nördlich von Budapest - trat bereits die reformsozialistische Regierung vor zweieinhalb Jahren zurück. Es geht darum, und internationale Experten weisen auch mit Nachdruck darauf hin, daß die Inbetriebnahme des slowakischen Staudammes sowohl die Trinkwasserreserven des Karpatenbeckens als auch Flora und Fauna auf weiten Gebieten innerhalb kurzer Zeit vernichten würde.

Hinzu kommt auch noch, daß ohne das funktionsfähige Gegenstück auf der ungarischen Seite sogar das kleinste Hochwasser eine verheerende Katastrophe für Budapest hervorrufen könnte. Ungeachtet dessen bauen die Slowaken seit Monaten fröhlich an ihrem Wasserkraftwerk weiter und führen dabei noch eine Variante aus, die im ursprünglichen Vertrag mit Ungarn gar nicht vorgesehen ist.

Die Donau, seit 1920 Grenzfluß zwischen beiden Ländern, wird in einer Weise umgeleitet, daß Ungarn dadurch erhebliche Gebietsverluste erleiden soll. Anders - so heißt es in Preßburg - könne man die Betriebssicherheit des Kraftwerkes nicht mehr garantieren. Dieses aus dem Munde des slowakischen Regierungschefs Jan Camogursky stammende „nicht mehr" hat die ungarischen Umweltschützer neulich wieder zur Weißglut gebracht: sie fragen sich ohnehin, warum die Regierung in den vergangenen sechs Wochen insgesamt sechs verschiedene Erklärungen zur Frage Staustufe abgegeben hat, bis sie sich endlich durchrang, das Parlament zu befragen.

Ob es Regierungschef Jözsef An-tall und seinem Umweltminister Sändor K. Keresztes erst jetzt auffalle, daß es hier um einen glatten Erpressungsversuch geht? Und überhaupt, warum seien Milliarden für die Instandhaltung des ungarischen Gegenstückes Nagymaros fast zwei Jahre lang ausgegeben worden, anstatt dieses abzubauen? Der „Donau-Kreis" der Umweltschützer, der seinerzeit mit Unterstützung zahlreicher, in der Euphoriederpolitischen Veränderungen schwelgender Bürger die sozialistische Regierung zur Einstellung der Bauarbeiten zwang, vermutet ein wohlkonzipiertes Treiben im Hintergrund: jemand soll dem slowakischen Partner geraten haben, mit den Arbeiten an Gabcikovo/Bös ruhig fortzufahren, das vor vollendete Tatsachen gestellte Abgeordnetenhaus in Budapest werde dann die günstige Entscheidung früher oder später schon treffen müssen.

So logisch Mutmaßungen dieser Art auch sein dürften, belegt werden können sie nicht. Allein schon aus dem Grund, weil sich die christlichnationale Koalition bisher tunlichst davor gehütet hat, die Machenschaften der - übrigens von den Kommunisten vollends geerbten - Wasserkraftwerklobby öffentlich darzulegen. Diese wiederum hat sich im Laufe der Jahre durch Verfilzungen mit neuentstandenen Privatbanken - deren Kapital auch aus unterschlagenen und schneeweiß gewaschenen Staatsgeldern besteht - weiter stabilisieren können.

Hinzu kommt auch noch, daß manche ungarische Politiker langsam dazu neigen, die Argumentation der Slowaken zu übernehmen. Demnach sei im Bauvertrag von 1977 keine Kündigungsklausel enthalten. Wahrhaftig, die Genossen hielten sie untereinander für nicht nötig. Wozu auch? Eine Kontrollinstanz durch das Volk gab es ja nicht. Nun sollten sich die Zeiten seitdem vielleicht doch geändert haben.

Konsequenz zeigen jedenfalls die Slowaken. Ungeachtet des Auftrages des Buapester Parlaments (Jan Car-nogursky: „Das ist eine Sache der Ungarn") werden die Bauarbeiten an Gabcikovo/Bös vorangetrieben. Sollte aber ein Ausschuß internationaler Experten zu dem Ergebnis kommen, daß die Staustufe tatsächlich umweltgefährdend ist, so würde man sie selbstverständlich bereitwillig wieder abbauen. Aber - damit der Irrsinn dieser wohl noch aus der kommunistischen Zeit stammenden Argumentationsweise auch vollkommen wird -heißt es, daß ein solches Komitee in absehbarer Zeit ohnehin nicht zu einem eindeutigen Ergebnis kommen könne. Folglich sei Preßburg gezwungen, aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus mit den Arbeiten fortzufahren.

Ungarns Sonderbeauftragter, Fe-renc Madl, war nach seinem jüngsten Geheimtreffen mit Carnogursky jedenfalls wieder einmal optimistisch. Selbst für die Umweltschützer fand er freundliche Worte. Glück hat die christlich-nationale Regierung Ungarns auf jeden Fall: die Kommunisten haben die einheimische Öffentlichkeit über 40 Jahre lang erfolgreich darauf trainiert, für dumm verkauft zu werden.

So kann ihr heute wieder einiges seelenruhig vorgemacht werden. Dafür sorgen sowohl die Resignation als auch der Alltag, deren Überwindung beziehungsweise dessen Bewältigung die Mehrheit der Bürger nach wie vor zu überfordern droht. Narren, wie Umweltschützer, dürften einen dabei kaum ernsthaft stören.

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