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Vorbeireden grenzt an Dialogverweigerung

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Zur Lage der Katholischen Soziallehre.

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Zur Lage der Katholischen Soziallehre.

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In der Diskussion über die Regierungserklärung hat der designierte Obmann der großen Oppositionspartei, Alois Mock, einmal mehr ein klares Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft abgelegt mit der plausiblen Begründung, daß bisher niemand ein Wirtschaftssystem gefunden hätte, in dem Güterversorgung, Wirtschaftlichkeit, persönliche Verantwortung und soziale Entwicklung besser gelöst worden wären.

Dem setzte der erste Redner der Regierungspartei, Heinz Fischer, die ausführliche Zitierung eines katholischen Theologen entgegen, „der die Soziale Marktwirtschaft in Grund und Boden verdammt“ (so die AZ vom 21. 6.1979). Das System der Sozialen Marktwirtschaft werde sogar von der KSÖ angegriffen als „Deckmantel, mit dem Mißstände des Spätkapitalismus zugedeckt werden sollen“.

Heinz Fischer hat tatsächlich einwandfrei und korrekt zitiert, und zwar aus einem Artikel der offiziellen Nachrichten und Stellungnahmen der Katholischen Sozialakademie Österreichs, der als Meinung von Franz Klüber, Professor für christliche Gesellschaftslehre, Regensburg, kenntlich gemacht war. Dieser Beitrag unter dem Titel „Was ist ,Soziale Marktwirtschaft'?“ verblüfft durch sein völliges Ignorieren der gesamten zum Thema bestehenden Literatur.

„Bis jetzt ist es niemandem gelungen“, so wird eingeleitet, „eine Auskunft darüber zu geben, worin das spezifisch Eigene und Neue dieser Wirtschaftsform ,Soziale Marktwirtschaft' besteht, und was sie vom kapitalistischen Wirtschaftssystem unterscheidet“. Dieser Begriff sei (lediglich) eine Zweckkonstruktion der politischen Propaganda, mit dem Ziel, die Mißstände des Spätkapitalismus zu verschleiern und den Status quo zu stabilisieren. Da die Eigengesetzlichkeit der marktwirtschaftlichen Automatik auf dem Wege der ruinösen Konkurrenz zu einer immer stärker zunehmenden Vermögens- und Machtkonzentration führt, sei die Soziale Marktwirtschaft ein Rückfall hinter den in Theorie und Ethos auf einem hohen Niveau stehenden Neoliberalismus Walter Euckens.

Hier fehlt der Raum - und man könnte einige Bände damit füllen - aufzuzeigen, wie sehr die Väter der Sozialen Marktwirtschaft Wert gerade darauf legten, daß ihre Konzeption aus dem vernichtenden Urteil Alexander Rüstows über das Versagen des Wirtschaftsliberalismus, dem wirtschaftstheoretischen Ordnungsdenken Walter Euckens und der umfassenden Gesellschaftskritik Wilhelm Röpkes entsprungen ist und wie sehr sie davon überzeugt waren und ihre geistigen Nachfolger auch heute überzeugt sind, daß hier gegenüber den beiden historisch gescheiterten Wirtschafts- und Sozialordnungen - dem individualistischen Liberalismus und dem kollektivistischen Sozialismus - ein „dritter Weg“ gefunden wurde, der Freiheit und Ordnung in einer Synthese verbindet.

Das erklärt auch die sicherlich nicht einheitlichen aber doch zahlreichen positiven Würdigungen der Chancen, die diese Konzeption gibt, auch und gerade für diejenigen, die von den Grundsätzen des christlichen Sozialdenkens motiviert sind, - Beurteilungen, die Franz Klüber offenbar auch nicht kennt, obwohl sogar in der vorausgegangenen Nummer der „KSÖ“ davon die Rede gewesen ist.

Gerade in der Erkenntnis der von Klüber beklagten Eigentendenz des Wettbewerbs zur Selbstaufhebung liegt einer der fundamentalsten Unterschiede der Sozialen Marktwirtschaft gegenüber dem, klassischen Manchesterliberalismus: die Erkenntnis, daß der Wettbewerb vom Staat als „Rahmenbedingung“ stets neu „veranstaltet“ werden muß, durch die Kartell- und Monopolkontrolle, vor allem aber durch die Wettbewerbsfreiheit im Inneren und durch offene Grenzen dem Welthandel gegenüber.

Angesichts der offensichtlichen Unkenntnis der gesamten ordnungspolitischen Literatur überrascht es nicht, daß der Autor auch den gesamten Strukturwandel der letzten Jahrzehnte in Produktion, Handel und Landwirtschaft einfach als Folge der „kapitalistischen Interessen-Ideologie der Sozialen Marktwirtschaft“ versteht. Die Unkenntnis der konjunkturpolitischen Diskussion läßt sich daraus ersehen, daß die heutige Arbeitslosigkeit als „das Werk der Sozialen Marktwirtschaft“ gesehen wird.

Die in dieser Frage sehr lebhafte wissenschaftliche Auseinandersetzung hätte, wenn man schon diese Meinung teilt, wenigstens eines begründenden Hinweises bedurft. Und das ist es, was aus diesem Anlaß wieder einmal decouragierend bewußt wird und für das dieser KSÖ-Artikel nur ein Beispiel ist: daß Ignorieren der laufenden Diskussion gerade in ordnungspolitischen Fragen und - nicht selten - das einfach Nicht-Eingehen auf entgegengesetzte Argumente in der Tat heute allzu oft die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung gerade auf der Seite von Sprechern der katholischen Soziallehre kennzeichnet.

Was im gegenständlichen Fall noch erschwerend hinzukommt, ist der Umstand, daß der Autor als Professor für christliche Gesellschaftslehre an der Universität Regensburg tätig ist, d. h. daß dies alles an Generationen von Studierenden weitergegeben wird!

Was immer die Ursache dafür sein mag, Unkenntnis der Quellen, mangelnde Zeit, sich mit den Problemen ernstlich auseinanderzusetzen, Überforderung infolge interdisziplinärer Überschneidungen (z. B. der Notwendigkeit grundsätzlich-philosophischer wie auch konkret nationalökonomischer und anderer Kenntnisse), eines scheint markant: dieses Vorbeireden an Gesprächspartnern grenzt mitunter geradezu an Dialogverweigerung und ist damit für eine der unangenehmsten Varianten der Intoleranz verantwortlich und damit einer der Gründe für die Sterilität einer im Grundsätzlich-Abstrakten verbleibenden katholischen Soziallehre, wie sie erst kürzlich wieder vom Zentralpräses des Kolping-Verbandes, Ludwig Zack, in seinem „präsent"-Interview mit Recht beklagt worden ist.

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