6981840-1986_13_04.jpg
Digital In Arbeit

Vorfahrt für die Jugendwohlfahrt

19451960198020002020

Ohne Familie ist kein Staat zu machen. Von dieser Überlegung geht die Reform des Jugendwohlfahrtsgesetzes aus. Die Materie ist - mit Ausnahmen - konsensfähig.

19451960198020002020

Ohne Familie ist kein Staat zu machen. Von dieser Überlegung geht die Reform des Jugendwohlfahrtsgesetzes aus. Die Materie ist - mit Ausnahmen - konsensfähig.

Werbung
Werbung
Werbung

Nach längeren Vorarbeiten wird derzeit in einem Unterausschuß des Familienausschusses des Nationalrates die Regierungsvorlage eines Bundesgesetzes behandelt, „mit dem die Grundsätze über die Mutterschaft, Säuglings- und Jugendfürsorge aufgestellt und unmittelbar anzuwendende Vorschriften in diesem Bereich erlassen werden“ (Jugendwohlfahrtsgesetz 1986).

Im Vorblatt zu dieser Regierungsvorlage wird als Begründung für diesen Gesetzesentwurf angeführt, daß das aus dem Jahre 1954 stammende Jugendwohlfahrtsgesetz „nicht den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen entspricht“.

Der vorliegende Entwurf ist keineswegs der erste Versuch, das geltende Jugendwohlfahrtsgesetz aus 1954 zu reformieren. Bereits im Jahre 1981 wurde sowohl vom Justizministerium - soweit es die zivilrechtlichen Bestimmungen betraf — als auch vom Sozialmihi-sterium ein Entwurf für ein Jugendwohlfahrtsgesetz 19c#vorge-legt.

Nach einem umfangreichen Begutachtungsverfahren kdnnte dieser Entwurf allerdings nicht mehr im Parlament behandelt werden. Nach weiteren Vorarbeiten wurde daher nun vom Familienministerium das Jugendwohlfahrtsgesetz 1986 präsentiert.

Dieses Bundesgesetz ist wie das geltende Gesetz ein Grundsatzgesetz. Die Regierungsvorlage regelt daher die Grundsätze für die Landesgesetzgebung.

In den Erläuterungen zum vorliegenden Gesetzesentwurf heißt es in der Beschreibung der Ausgangslage: „Die Vermittlung der für das Leben wesentlichen Werte an die Jugend gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Erwachsenen. Die Bundesregierung bekennt sich erneut dazu, daß diese Aufgaben vorrangig der Familie zukommen sollen ...“

Und weiter heißt es in den Erläuterungen: „Kann die Familie ihre Schutz- und Erziehungsfunktion nicht ausreichend oder gar nicht erfüllen, so fällt diese Aufgabe — subsidiär — der Gesellschaft zu.“

Was ist an diesem Entwurf für ein neues Jugendwohlfahrtsrecht kritikwürdig?

In den bisherigen Paragraphen 1 und 2 war eine inhaltliche Beschreibung der Tätigkeit der Jugendwohlfahrt enthalten, während jetzt die vergleichbaren Paragraphen sehr allgemein gehalten sind.

Es wäre daher wichtig, daß analog zum Paragraphen 146 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) der Zielparagraph des neuen Jugendwohlfahrtsgesetzes auch eine inhaltliche Beschreibung enthält, zum Beispiel mit der Formulierung: Die öffentliche Jugendwohlfahrt hat die körperliche, geistige, seelische und sittliche Entfaltung sowie die Förderung der Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten des Minderjährigen in bestmöglichem Ausmaß durch ein Angebot von fördernden und sichernden Maßnahmen zu gewährleisten, soweit dafür nicht von anderer Seite vorgesorgt wird.

Im geltenden Jugend wbhl-fahrtsgesetz ist auch von einer „besonderen Befürsorgung der Schwangeren“ die Rede, im Jugendwohlfahrtsgesetz 1986 bloß von einer Betreuung werdender Mütter.

In den Erläuterungen findet sich keinerlei Begründung, warum das Wort „besondere“ weggefallen ist und warum aus „Befürsorgung“ die „Betreuung“ geworden ist.

Schließlich muß auch darauf aufmerksam gemacht werden, daß im Unterschied zum derzeit geltenden Zielparagraphen im neu formulierten Paragraphen nicht mehr davon die Rede ist, daß „zur Sicherung der körperlichen Entwicklung des Kindes von der Empfängnis an die Landesgesetzgebung zu bestimmen hat...“

Dies erscheint umso unverständlicher, als sowohl im derzeit geltenden Gesetz als auch im neuen Entwurf Maßnahmen vorgesehen sind, die besonders die Zeit vor der Geburt betreffen.

Während zu allen anderen Paragraphen Begründungen in den Erläuterungen für die Veränderung angeführt sind, ist für diese Änderung im Paragraph 1 weder in den Erläuterungen zum Jugendwohlfahrtsgesetz 1982 noch zum Jugendwohlfahrtsgesetz 1986 eine Begründung angegeben.

Der Pressesprecher der österreichischen Bischofskonferenz, Weihbischof Helmut Krätzl, hat in einer Erklärung betont, daß die Formulierung des vorliegenden Gesetzesentwurfs, es möge für die Betreuung werdender Mütter Sorge getragen werden, kein vollwertiger Ersatz für die Feststellung des derzeit noch geltenden Gesetzes sei, daß die bestmögliche

Entwicklung des Kindes von der Empfängnis an zu sichern ist.

Abschließend muß auch noch im Zusammenhang mit dem Zielparagraphen auf einen Brief der „Aktion Leben“ an Frau Bundesminister Gertrude Fröhlich-Sandner verwiesen werden, in dem auf die enormen Fortschritte, aber auch auf eher zweischneidige Entwicklungen auf dem Gebiet der Molekularbiologie, Gentechnologie und Reproduktionsbiologie hingewiesen wurde, die den Abbau des Schutzes von der Empfängnis an in keiner Weise rechtfertigen, sondern mehr denn je notwendig machten.

Sowohl im Jugendwohlfahrtsgesetz 1986 als auch im zivilrechtlichen Teil geht es darum, wie weit Kinder als Betroffene selbst zu hören sind.

Die Regierungsvorlage sieht vor, daß der Jugendwohlfahrtsträger das mindestens zehnjährige Kind jedenfalls, das noch nicht zehnjährige Kind nach Tun-lichkeit zu hören hat.

Es ist zwar erfreulich, daß im vorliegenden Gesetzesentwurf nun festgehalten wird, daß das mindestens zehnjährige Kind jedenfalls zu hören ist. Es sollte jedoch auch die Möglichkeit eingeräumt werden, diese Altersgrenze nach unten zu öffnen.

Von den zivilrechtlichen Bestimmungen zur Förderung der Jugendwohlfahrt sollen ebenfalls nur einige Aspekte herausgegriffen werden. So soll die Mutter nach dem neuen Gesetz nun das Recht erhalten, den Namen des Vaters nicht bekanntzugeben, wobei sie vom Jugendwohlfahrtsträger über die Folgen der Nicht-feststellung der Vaterschaft zu belehren ist.

Unberücksichtigt bleibt dabei aber die Tatsache, daß die Mutter in der Zeit der Geburt unter starkem emotionalen Druck steht. In diesem Zusammenhang muß an einen einstimmigen Beschluß des Familienpolitischen Beirates aus dem Jahr 1981 erinnert werden, wonach „im Interesse des Kindes für die Feststellung der Vaterschaft und die Durchsetzung der Unterhaltsansprüche des Kindes die Sachwalterschaft von Gesetzes wegen zwingend vorzusehen ist; es soll nur dann entfallen, wenn die Mutter dies ausdrücklich begehrt.“

Weiters ist im Entwurf 1986 vorgesehen, daß zunächst der Vater des unehelichen Kindes, sodann — wie beim ehelichen Kind — die. Großeltern heranzuziehen sind, wenn die Mutter ihren Pflichten nicht nachkommen kann.

Es erscheint problematisch, die Rechte der unehelichen Mutter vorbehaltlos auf den unehelichen Vater zu übertragen, wenn die Mutter gestorben oder voll entmündigt oder ihr Aufenthalt seit mindestens sechs Monaten unbekannt ist.

Die Situation des unehelichen Kindes ist in diesen Fällen doch meist schwieriger als die des ehelichen Kindes. Oft ist das Kind bei der Mutter und den mütterlichen Großeltern ohne jeden Kontakt und ohne jede Beziehung zum Vater aufgewachsen und verliert dann unter Umständen nicht nur alle Bezugspersonen, sondern auch sein „Zuhause“.

Nicht nur aus sozialrechtlichen Gründen erscheint die im vorliegenden Entwurf vorgesehene Übertragung der gleichen Rechte auch auf in Lebensgemeinschaft lebende Eltern wie auf verheiratete Eltern nicht nur nicht sinnvoll, sondern sogar bedenklich.

Im Unterschied zum Entwurf 1981 müssen die Eltern nach dem neuen Entwurf zwar in ständiger häuslicher Gemeinschaft leben, und das Wohl des K^des darf dieser Verfügung nicht entgegenstehen. Fällt nur eine der beiden Voraussetzungen weg, ist die Verfügung aufzuheben.

Dennoch: wenn als allgemeiner-Konsens als Leitvorstellung die lebenslange Ehe vorhanden ist, sollte dieses Signal von den Abgeordneten nicht gesetzt werden.

Trotz allem scheinen die Einwände gegen den Entwurf für ein Jugendwohlfahrtsgesetz 1986 nicht so gravierend, als daß er nicht bei einigem guten Willen der drei Parlamentsparteien konsensfähig wird.

Die große Frage bleibt, ob auch in der Formulierung des Zielparagraphen, insbesondere was den geplanten Wegfall der Worte „von der Empfängnis an“ betrifft, eine Einigung möglich ist. Sie wäre tatsächlich ein erfreuliches Signal.

Der Autor ist Generalsekretär des Katholischen Familienverbandes Österreichs (KFO).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung