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Vorgeplänkel

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Ein kräftiges Hoch-über München — ein flaches Tief über Bonn. Dieser politische Wetterbericht kennzeichnet die Situation der Bundesrepublik. Während die Politiker aller Couleurs sich in München via TV-Kameras in prominentem und spektakulärem Rahmen dem Wählervolk präsentieren, herrscht in der politischen Schaltzentrale jene Gedrücktheit, bei der jede Bewegung als ein Anzeichen eines möglichen Sturmes genau registriert und in ihren Auswirkungen leicht überschätzt wird. Minister Helmut Schmidts politische Aktionen, die jetzt in der Vorlage eines Entwurfs für einen Haushaltsplan des kommenden Jahres und in geschickt placierten Gesprächen mit Vertretern der Wirtschaft äußere Höhepunkte fanden, zeigen aber, daß die SPD den Wahlkampf nach Vorgeplänkeln um Schiller und „Quick“ nun in Sachen Wirtschaftspolitik trotz der Olympiade zu eröffnen gedenkt.

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Ein kräftiges Hoch-über München — ein flaches Tief über Bonn. Dieser politische Wetterbericht kennzeichnet die Situation der Bundesrepublik. Während die Politiker aller Couleurs sich in München via TV-Kameras in prominentem und spektakulärem Rahmen dem Wählervolk präsentieren, herrscht in der politischen Schaltzentrale jene Gedrücktheit, bei der jede Bewegung als ein Anzeichen eines möglichen Sturmes genau registriert und in ihren Auswirkungen leicht überschätzt wird. Minister Helmut Schmidts politische Aktionen, die jetzt in der Vorlage eines Entwurfs für einen Haushaltsplan des kommenden Jahres und in geschickt placierten Gesprächen mit Vertretern der Wirtschaft äußere Höhepunkte fanden, zeigen aber, daß die SPD den Wahlkampf nach Vorgeplänkeln um Schiller und „Quick“ nun in Sachen Wirtschaftspolitik trotz der Olympiade zu eröffnen gedenkt.

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Helmut Schmidt, dem als Nachfolger Karl Schillers ohnedies grundsätzlich eine Schlüsselstellung im Wahlkampf eingeräumt wurde, scheint sich dabei in dieser Position zurechtzufinden und bemüht zu sein, den Stier — die Opposition — bei den Hörnern zu packen. Nach seiner Amtsübernahme war er zunächst ein leicht angreifbares Opfer oppositioneller Attacken. Um seinem alten Spitznamen „Schmidt-Schnauze“ gerecht zu werden, gab er Interviews, in denen er salopp über Stabilität, Vollbeschäftigung und Steuererhöhungen plauderte. So stellte er wieder die Alternative von Vollbeschäftigung und Stabilität auf und legte dabei das Schwergewicht auf die Vollbeschäftigung, obgleich gerade die SPD/FDP-Regierung. zu Anfang ihrer Tätigkeit unter ständiger Wiederholung der Formel „Die Vollbeschäftigung muß gesichert werden“ eine Überbeschäftigung und eine Uberhitzung der Konjunktur verursachte.

Als Schmidt nach solchen Tritten ins politische Fettnäpfchen auch noch seinen Urlaub antrat, erntete er erneut Schelte, weil ein Finanz-und Wirtschaftsminister nicht in einer derart schwierigen Finanzlage seinen Schreibtisch verlassen dürfe. Auch erinnerte er mit seiner Erholungsbedürftigkeit an seine schweren Erkrankungen, die noch in seine Amtszeit als Verteidigungsminister fielen und damals die Vermutung nährten, daß Schmidt kein Ministeramt mehr übernehmen werde.

Schmidt muß sich viele kritische Fragen zu seinem Entwurf und zu der von ihm angepeilten Politik gefallen lassen, aber in dem politischen Tief der Bonner Politik bedeutet diese Aktion nahezu Sturm und für die SPD so etwas wie Aufwind. Franz Josef Strauß, wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU/CSU, reagierte entsprechend heftig und bewies mit seiner prompten und deutlichen Reaktion („großangelegtes Täuschungsmanöver“), daß mit einer solchen Taktik der SPD die Wahlkampfstrategie der CDU/CSU etwas durcheinandergeraten könnte.

Immerhin zeichnete sich nun nach Schmidts Aktionen und der Antwort der Opposition die Linie der kommenden Auseinandersetzungen um die Macht am Rhein bereits deutlich ab. Eine Abkehr von Karl Schillers Wahlkampflinie ist dabei unverkennbar. In der Haushaltspolitik ebenso wie sein Vorgänger auf Maßhalten bedacht, versucht Schmidt dadurch offensiv zu sein, daß er unumwunden von Steuererhöhungen spricht, diese allerdings unter Hinweis auf die Stabilitätspolitik und auf die Bedürfnisse der Allgemeinheit rechtfertige. Es kann kaum ein Zweifel darüber bestehen, daß Schmidts Linie „sozialistischer“ ist als die Schillers, der zuletzt nicht nur von Jusos, sondern auch von den Kabinettskollegen Schmidt und Eppler gefragt worden war, was an seiner Politik noch sozialdemokratisch sei.

Auch Bundeskanzler Brandts Rede zum 20. Todestag Kurt Schumachers deutet darauf hin, daß die SPD im Wahlkampf betont als „sozialistische“ Partei auftreten will, dabei allerdings versucht, ihren Charakter als Volks- und Sammlungspartei zu wahren. Auch bei Brandt, mit seinem deutlichen „wir sind sozialistisch“, zeigt sich die Tendenz, den Angriffen der Opposition offensiv zu begegnen. Dem von der CDU und CSU bereits zur Kennzeichnung des Gegners kräftig verwendeten Reizwort „sozialistisch“ soll der negative Beigeschmack genommen werden, gleichsam unter der Devise „Man kann ruhig darüber reden“.

Ob die SPD mit der Strategie der offensiven Verteidigung, die nun die sommerliche Lähmung dieser Partei, die über lange Zeit von der En'c-schlußlosigkeit ihres Parteivorsitzenden angesteckt zu sein schien, ablöst, bei den Wählern im nötigen Ausmaß ankommt, wagen auch Optimisten im Regierungslager noch nicht zu hoffen.

Mit der für jede Hausfrau spürbaren Teuerung hat nämlich die Opposition einen Trumpf im Wahlkampf in Händen, den ihr auch ein noch so aktiver Schmidt nicht nehmen kann. Zwar läßt sich über die Ursachen der Inflation ähnlich streiten, wie über die Haushaltspolitik von Bund und Ländern, in ihrer realen Existenz aber ist sie für den. Wähler unmittelbar vorhanden. Ein zweites Plus ist für die CDU/CSU das Wohlwollen der Wirtschaft. Obwohl auch hier Schmidt um eine Aufweichung der Fronten bemüht war und Wirtschaftsvertretern seine Zukunftsperspektiven noch vor dem Kabinett mitgeteilt hat. Bei der CDU/CSU hingegen verweist man auf die gut fließenden Spendengelder aus Kreisen der Wirtschaft. SPD-Schatzmeister Nau hatte mit einer Bettelaktion bei der Industrie dagegen wenig Erfolg: Beschimpfungen von den Jusos und eine kalte Schulter bei den Angesprochenen.

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