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Vorhang auf in Rom

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Mit dem ersten großen Werk von Giuseppe Verdi, das seinen Weltruhm begründete, mit „Nabucco”, eröffnete das römische Opemtheater seine diesjährige Spielzeit. Seit etwa 20 Jahren war es an dieser Bühne nicht mehr aufgeführt worden, und deshalb wurde es von fast allen als eine Novität empfunden, ein echter Verdi, der nach den Triumphen des vergangenen Jahrhunderts — die Oper war 1842 an der Mailänder Soala mit stürmischem Erfolg aus der Taufe gehoben worden — vielen so gut wie unbekannt geblieben war. Die Revolution, der große Umschwung des Geistes und der Lebensformen, stand vor der Tür und kam auch in der Musik zum unwiderstehlichen Durchbruch. Derartig leidenschaftliche Spannungen im Sologesang und ein so mitreißender Schwung in den Chören waren vor dem „Nabucco” noch nie erreicht worden.

Aus der Zusammenarbeit des hochbetagten, aber immer noch von jugendlichem Elan beseelten Dirigenten Vittorio Gui — er hat 85 Lebensjahre hinter sich! — mit dem zielstrebigen Regisseur Pietro Zuffl entstand eine Aufführung, die um so mehr stilistische Geschlossenheit zeigt, als der Spielleiter auch die Bühnenbilder und Kostüme entworfen hat. Sie waren für eine frühere Inszenierung des San-Carlo-Theaters in Neapel entworfen worden, mußten aber neu gestaltet werden, weil sie vor kurzem bei einem Brand im Ausstattungslager dieser Oper vernichtet worden waren. Zuffl bewies, wie man mit modernen Mitteln durch geschickte Wandeldekorationen und durch wechselvolles Spiel farbiger Lichter wirksame Bühneneffekte und großen Zeitgewinn gegenüber umständlichen Umbauten erzielen kann. In den Hauptrollen glänzten Elena Suliotis, Mario Zanasi und Carlo Cava. Uneingeschränktes Lob gebührt dem Chor, dem eine tragende Rolle in dem Stück zukommt.

Noch vor der Opernspielzeit hatte das Theatro dell’Opera in Rom das Bolschoi-Ballett der Sowjetunion zu Gast. Mit Tschaikowskys „Schwanensee” und dem „Nußknacker” do kumentierte das berühmte Ensemble, daß es den unvergänglichen Werten der großen Tradition einer früheren Epoche durchaus verhaftet bleibt. Die Technik des Solotanzes und die Präzision des Zusammenspiels im Ensemble sind kaum zu überbieten. Wenn aber in Chatscha- turians „Spartacus” versucht wurde, ein Element der politischen Propaganda auf die römische Bühne zu bringen, trat die Anerkennung der künstlerischen Leistung in den Hintergrund, um einer eisigen Ablehnung fremder Ideologien Raum zu geben. Die Verstimmung war um so größer, als die Römer die in mosko- witischer Sicht vorgesetzte Handlung als ein unziemliches Eindringen in ihre höchst eigene historische Vergangenheit auffaßten. Abgesehen davon war ein objektiver Zuschauer dieses zwar meisterhaft inszenierten und grandios dargestellten Tanzdramas nur allzu leicht versucht, das Sujet mit umgekehrten Vorzeichen, also durchaus nicht im Sinne der östlichen Veranstalter, zu sehen. Und dies um so mehr, als der Komponist Aram Chatschaturian in einem Vorwort zum Programm betonte, daß er „die Gestalt des Spartacus als Auflehnung gegen die Sklaverei zur Verteidigung der Freiheit des Individuums” auffasse, eine für einen Sowjetbürger immerhin erstaunliche Erklärung. Chatschaturians effektvolle Spartacus-Musik vermag zu fesseln, geht aber nicht über ein Niveau hinaus, das die westliche Musik schon gut 50 Jahre früher erreicht hatte. Über diesen Widerspruch zwischen revolutionären Ideologien und, nach unserer Auffassung, recht konservativen Schöpfungen ist nicht leicht hinwegzukommen, sowohl im Tanz als auch in der Musik.

• Pierre Dux, der vor kurzem ernannte Direktor der Comedie Fran- ęaise, will in Hinkunft auch neue Stücke spielen: feststehen René de Obaldia und Felix Weingarten, neu im Spielplan ist auch Anouilhs „Beckett oder die Ehre Gottes”

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