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Vorkehrungen gegen OrwelTsche Welten

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In der Konferenz von Asilomar (1975) beschlossen die beteiligten Genforscher, sich Beschränkungen aufzuerlegen und bestimmte Versuche, wie gentechnologische Experimente mit menschlichen Krebszellen, nicht durchzuführen. Ihre Beschlüsse sind in verschiedene staatliche Richtlinien eingegangen. Sie sollen das Entkommen genetisch veränderter Zellen verhindern.

Trotzdem besteht in weiten Kreisen mehr oder minder artikulierte Angst. Hierbei stehen interessanterweise nicht die Gefahren durch manipulierte Zellen oder Viren im Vordergrund, sondern die Vorstellung vom klonierten Menschen oder von im Reagenzglas entstandenen „Homunculi”. Auch die Verwendung menschlicher embryonaler Zellen als nicht abstoßbare Zellspender zum Ersatz funktionsuntüchtiger Organe, wie etwa des Inselapparates des Pankreas bei Diabetikern oder bestimmter Hirnzellen bei Erkrankungen des Zentralnervensystems, zählt zu den beunruhigenden Visionen.

Wo liegen nun die eigentlichen Gefahren? Eine Gefahr liegt darin, daß Bakterien mit zusätzlicher, für sie neuer genetischer Information entkommen, sich in freier Natur vermehren und als gefährlich für den Menschen erweisen könnten. Damit es nicht durch Zufall zu einem solchen Ereignis kommt, sind Sicherheitsvorkehrungen vorgeschrieben.

Die eine besteht darin, daß solche Arbeiten nur in dem Gefährlichkeitsgrad der Experimente entsprechend ausgerüsteten Laboratorien durchgeführt werden dürfen. Sie werden in LI bis L4 eingeteilt. Ein zweiter, meist noch effizienterer Schutz besteht in der Auswahl der benützten Bakterienstämme. Es werden Stämme verwendet, die nur unter Laboratoriumsbedingungen vermehrungsfähig sind. Auch hier werden, in Analogie zur Laborsicherheit, Stufen der biologischen Sicherheit (Bo bis B3) unterschieden. Ähnliches gilt für die Vektoren (Transportmoleküle, beispielsweise Viren), welche zur Übertragung der genetischen Information in die Zelle dienen. Sie sind so verändert, daß sie nur bei Laborwirtszellstämmen funktionieren können. Trotzdem ist nicht auszuschließen, daß, etwa für militärische, terroristische oder andere kriminelle Zwecke, Versuche unternommen werden, die für die Menschheit möglicherweise zu tödlichen Auswirkungen führen könnten, wenn die dabei entstehenden Produkte das Labor verlassen.

Eine weitere mögliche Gefahr stellen Versuche am Embryo dar. Genetische Defekte, wie sie bei veränderten roten Blutzellen, der Bluterkrankheit oder beim Zwergwuchs bestehen, könnten durch gezieltes Einbringen des fehlenden Gens behandelt werden. Da hiebei jedoch alle Körperzellen - auch die Keimzellen, welche die Erbinformation tragen und weitergeben — verändert würden, werden solche Versuche aus ethischen Gründen nicht durchgeführt.

Andererseits sollten gentechnologische Experimente nicht kategorisch abgelehnt werden. Durch Genmanipulation können Pflanzen gezüchtet werden, die gegen Schädlinge resistent sind und sich selbst unter schlechtesten Bedingungen schnell vermehren. Ihre Bedeutung für die Welternährungssituation, insbesondere in der Dritten Welt, liegt auf der Hand.

Eine weitere Gefahr besteht darin, daß es möglich wäre, Eigenschaften und Anlagen eines Menschen vorherzusagen. Mittels solcher Vorherbestimmungen könnte man vielleicht das zu erwartende Alter oder Anfälligkeit für Krankheiten prognostizieren. Damit wäre es einem Arbeitgeber möglich, zu entscheiden, welche Person für bestimmte Aufgaben herangezogen oder ausgebildet werden soll. Damit würde die Menschheit nicht in Klassen gezüchtet, aber durch Bestimmung der vorhandenen genetischen Information in Klassen eingeteilt werden, so daß auch auf diese Art Orwell'sche Welten entstehen könnten.

Medizinisch könnten solche Untersuchungen von höchster Bedeutung sein und es wird daher kaum sinnvoll sein, sie zu unterbinden. Es sind aber gesetzliche Vorschriften notwendig, um zu verhindern, daß eine Untersuchung der genetischen Information etwa bei Einstellung, Schuleintritt, Wahl des Berufes oder Studiums durchgeführt wird.

Da die Gentechnologie Herstellung und Verfügbarkeit bestimmter Medikamente revolutionieren wird, besteht auch bei den gentechnologisch hergestellten Arzneimitteln ein höchstes Maß an Sicherheitsbedürfnis. Dieses hat zwei Aspekte. Einerseits muß bei gentechnologisch hergestellten Arzneimitteln genau so wie bei herkömmlichen sichergestellt sein, daß aus dem Produktionsprozeß stammende Verunreinigungen nicht eine Gefahr für den Patienten darstellen. Hierbei unterscheidet sich ein gentechnologisch hergestelltes Arzneimittel nicht von einem herkömmlichen. Es handelt sich sogar um ein immer gleichbleibendes, definiertes Ausgangsmaterial, das im Gegensatz zu den nicht immer definierbaren herkömmlichen Ausgangsmaterialien (etwa einem Plasmapool humaner Spender) nicht die Gefahr der Kontamination mit unbekannten Erregern birgt. Diesem Risiko wird durch gesetzliche Vorschriften im Rahmen der Zulassung von Arzneimitteln Rechnung getragen.

Ein weiteres Problem stellt die nahezu unbeschränkte Verfügbarkeit gentechnologisch hergestellter Arzneimittel dar. Der einzelne darf schnellere und bessere Behandlung erwarten, die Allgemeinheit wird die hohen Entwicklungskosten solcher Arzneimittel, die oft nur für eine begrenzte Anzahl von Patienten mit seltenen Erkrankungen erzeugt werden, zu tragen haben. Es ist auch denkbar, daß die therapeutischen Erwartungen zu Beginn oft bei weitem überschätzt .werden, so daß durch eine erweiterte Indikationsstellung für diese Arzneimittel eine Fehlinvestition wettgemacht werden könnte. Dadurch würde die Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens weiter belastet.

Gentechnologie kann Probleme wie Hunger und Krankheit einer Lösung näherbringen. Natürlich stehen diesem Nutzen Gefahren gegenüber, die jedoch durch Sicherheitsvorkehrungen und gesetzliche Vorschriften beherrscht werden sollten. Der Gefahr des Mißbrauches wird schwieriger zu begegnen sein, wie schon die Vergangenheit bei der Nutzung des Schießpulvers, des Autos oder der Atomkraft zeigte.

Der Autor ist außerordentlicher Professor für medizinische Physiologie an der Universität Wien.

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