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Vormund-Wahlen in der Türkei

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Die Türkei rüstet nach drei Jahren Militärdiktatur für den 6. November zu Parlamentswahlen. Von einem regen und freien Wahlkampf kann unter; dem Standrecht und nach allen Vorkehrungen der türkischen Generäle für die Verteilung der 400 Sitze in ihrem Sinne freilich nicht die Rede sein.

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Die Türkei rüstet nach drei Jahren Militärdiktatur für den 6. November zu Parlamentswahlen. Von einem regen und freien Wahlkampf kann unter; dem Standrecht und nach allen Vorkehrungen der türkischen Generäle für die Verteilung der 400 Sitze in ihrem Sinne freilich nicht die Rede sein.

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Von 15 wahlwerbenden Parteien hat in Ankara der Nationale Sicherheitsrat als kollektives Führungsorgan des Militärputsches vom 13. September 1980 nur drei zugelassen: Die rechts-auto- ritären Nationaldemokraten unter Führung des Ex-Generals Turgut Sunalp, für die auch der derzeitige Ministerpräsident Ulu- su kandidiert; die Volkspartei von Necdet Calp als sozialliberalen Oppositionsersatz; und die Heimat-Partei des als Überläufer zwischen den politischen Fronten bekannten, doch als Nationalökonom unbestrittenen Turgut özal.

Die Gegner einer legalisierten Fortdauer des Kasernenregiments im parlamentarischen Mäntelchen hatten lange auf die Möglichkeit der Wahl parteiloser Kandidaten gesetzt. Von diesen waren fast 700 aufgetreten, die sich als Sprecher lokaler Interessen anboten.

Eingeweihte konnten jedoch meist schon auf den ersten Blick erkennen, daß hier unter der Etikette der Unabhängigkeit ausgerechnet die radikalsten Strömungen, von den Kommunisten und Linkssozialisten über die fanatischen Islam-Erneuerer bis zu den kurdischen Separatisten, Unterschlupf suchten.

Man konnte es daher den Militärs irgendwie nicht übelnehmen, daß sie ihr Ausleseprinzip im Endeffekt nicht nur auf die Parteien, sondern auch auf diese Einzelkandidaten anwandten und ihre Zahl auf 48 heruntergekürzt haben.

Nach dem im November 1982 bei einer Volksabstimmung zu über 90 Prozent bestätigten Parteiengesetz sind aber auch innerhalb dieses engen Rahmens alle demokratischen Altpolitiker vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen. Das ist keine Neueinführung von Staatschef Kenan Evren, dessen Position übrigens von diesen Wahlen völlig unberührt bleibt. Schon das erste militärische Interregnum in der Nachkriegstürkei hatte zu Beginn der sechziger Jahre die früheren Regierungsund Parteigrößen aus der neuen „Türkischen Nationalversammlung” verbannt und sie zum Teil eingekerkert oder gar aufgehängt.

Diesmal sind der 1980 gestürzte Ministerpräsident Demirel und die anderen Spitzenpolitiker mit einem sommerlichen Zwangsurlaub an den Dardanellen davongekommen und vor den Wahlen wieder auf freien Fuß gesetzt worden.

Dennoch ist bei den neuen drei Parteie…enn man von den regimetreuen Nationaldemokraten absieht—deutlich ihre Nachfolgerolle der alten türkischen Rechten und Linken gegenüber zu erkennen: In der Heimat-Partei lebt die von 1961 bis 1980 führende konservative „Gerechtigkeits-Partei” ebenso fort wie diese selbst nur eine Umbenennung der alten Demokratischen Partei von Mende- res war.

Das Wählerpotential ist mit der anatolischen Landbevölkerung, den Kleinbürgern und Geschäftsleuten unverändert geblieben. Dazu kommen diesmal jene ge mäßigteren islamischen Fundamentalisten, die hinter der Nationalen Heilspartei von Erbakan gestanden hatten, einem Verwandten des Heimat-Führers Turgut özal.

Die Volkspartei hingegen wirbt um die Stimmen der Anhänger von Ecevit und seiner Republikanischen Volkspartei, die links von der Mitte angesiedelt war. Sie darf deshalb eigentlich auch nicht Volkspartei, sondern muß völkische Partei heißen, was aber nicht in unserem nationalen Sinne zu verstehen ist.

Diese Zusammenhänge sind jetzt bei der Wahlwerbung auch dadurch deutlich, daß die meist völlig unbekannten neuen Kandidaten sich durch Verlesen von Grußbotschaften der alten, an der Kandidatur gehinderten Politiker vorstellen. Ob sie sich gegenüber den von oben geförderten Nationaldemokraten werden durchsetzen können, ist vor allem eine Frage wirklich freier und geheimer Wahlen am 6. November.

Bisher sind keine gegenteiligen Anzeichen oder Vorkehrungen zu bemerken. Und die früheren Militärdiktaturen unter Gürsel und Sunai haben wenigstens in dieser Hinsicht auch ein gutes Beispiel gegeben.

Die von manchen Beobachtern prophezeite Entwicklung zu einer Mehrzahl ungültiger Stimmzettel bei dem Urnengang kann nach den letzten Eindrücken nicht geteilt werden. Selbst in den kurdi-

sehen Südostprovinzen ist ein klarer Trend zugunsten der Heimat-Partei festzustellen, die auch Favorit der anderen Minderheiten, der Juden, Armenier und Griechen, ist.

Zur gemeinsamen Heimat können, zu Ozais Politik der freien Marktwirtschaft wollen sich gerade diese Vertreter von Handel und freien Berufen bekennen. Und bei den immerhin über vier Millionen türkischen Kurden unterstützt auch nur eine avantgardistische Minderheit die von den Militärs grausam bekämpfte „Kurdische Sozialistische Partei”. Die Mehrheit ist sich mit der Heimat-Partei über das einigende Band des Islam zwischen den beiden anatolischen Volksgruppen und in der Diskriminierung bis Verfolgung der schwindenden Schar syrischer Christen um Diyarbekir und Mardin einig.

Gute Chancen für Özal

Diese Erfolgschancen von Turgut özal dem von den Generälen protegierten Nationaldemokraten Sunalp gegenüber erhalten zusätzlichen Auftrieb von der wieder kritischen Wirtschaftslage in der Türkei.

özal war immerhin, solange er mit dem Militärregime kollabo- rierte, in der Lage gewesen, zusätzlich zu Ruhe und Ordnung auch eine wieder erstarkende wirtschaftliche Stabilität und leichte Prosperität für das Volk sicherzustellen. Er war die treibende Kraft bei der Kehrtwendung in der türkischen Wirtschaft nach ihrer schweren Krise zwischen 1977 und 1980 gewesen.

An die Stelle von Protektionismus und künstlicher Förderung einer Schreibtisch-Industrialisierung aus Prestigegründen setzte özal das Prinzip der Marktorientierung. In wenigen Monaten war es ihm 1981 dank Liberalisierung der Zinsen und Preise, Bekämpfung des Budgetdefizites, einer straffen Geldpolitik, kontinuierlicher Anpassung des Wechselkurses und vermehrten Exportanreizen gelungen, die Inflationsrate von 108 auf 37 Prozent herunterzudrücken. Das Ertragsbilanzdefizit der Türkei sank im gleichen Jahr von 3,1 auf 2,1 Milliarden Dollar, und zum erstenmal war wieder ein Wirtschaftswachstum, und zwar glei.ch um 4,4 Prozent, zu verzeichnen.

1982 sank unter Ozais Federführung das Ertragsbüanzdefizit überhaupt auf eine Milliarde Dollar, die Dienstleistungsbilanz wurde für die ersten neun Monate aktiv, und die Exporte zeigten einen klaren Aufwärtstrend. Das alles waren die wichtigsten Aktivposten für das türkische Militärregime überhaupt: sowohl in seiner internationalen Einschätzung wie bei der Einstellung des kleinen Mannes in der Türkei.

Die Wende kam 1982 mit dem Bruch zwischen özal und den Generälen sowie mit dem Krach der Kastelli-Bank. Der Finanz- und Wirtschaftsminister Adnan Ka- faoglou übernahm nun selbst die Initiative und legte das Schwergewicht auf künstliche Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch von oben diktierte, weder kon- sum- noch exportbezogene Maximalerhöhung der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion. Gleichzeitig versuchte er die seit Jahren praktisch lahmgelegte Bauwirtschaft durch Subventionen und Prämien wieder in Gang zu bringen.

Vorausresignation

Das war für die 1,5 Millionen arbeitslosen Türken zunächst eine frohe Botschaft. Spätestens in diesem Sommer hat sich aber gezeigt, was Adnan Kafaoglous Bruder Aslan schon 1982 in der Zeitung „Cumhuriet” prophezeit hatte: Inflation und Zahlungsbilanzdefizit sind wieder um rund 50 Prozent im Steigen und das Wirtschaftswachstum geht rapid zurück. Die Zahl der Arbeitslosen ufert erst recht aus.

Diese Dinge dürften bei den bevorstehenden Wahlen in der Türkei eine größere Rolle spielen als die politischen Ideologien. Und schließlich wird am 6. November auch noch lange nicht über die Rückkehr zur Demokratie entschieden. Die Militärs haben für ihre Herrschaft in der neuen Verfassung noch viel zu viele Sicherungen eingebaut, selbst für den Fall, daß die „linke” Volksparte…öllig unerwarte…iegen sollte.

Das führt natürlich zu einer gewissen Vorausresignation der Wähler, die also wenigstens ihre wirtschaftlichen Interessen mit einem Votum für Turgut özal absichern dürften.

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