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Vorolympische Verfolgung

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Die Olympischen Sommerspiele werfen ihre Schatten voraus, nicht nur weltpolitisch. In der Sowjetunion werden die Vorbereitungen auf breiter Front und mit großer Gründlichkeit vorangetrieben. Gesäubert werden nicht nur Hausfassaden: Unliebsame Personen werden in die Verbannung oder ins Gefängnis geschickt.

Schon im November 1979 wurde der orthodoxe Priester Gleb Jakunin verhaftet. Es war nicht die erste obrigkeitliche Maßnahme gegen ihn. 1934 geboren, studierte er zunächst Biologie, bevor er ins Priesterseminar eintrat und 1962 zum Priester ge7 weiht wurde.

Schon vier Jahre später wurde er seines Amtes enthoben, weil er in einer Eingabe an den Patriarchen Ale-xej auf die Kirchenverfolgung in der Sowjetunion hinwies und auch das Verhalten der Kirchenführung mit in seine Kritik einbezog: „Man sollte die Hirten, die die Kirche zu retten gedenken, daran erinnern, daß nicht wir, Bischöfe oder Priester oder Laien die Kirche retten, sondern daß sie uns rettet. Und Christus rettet die Kirche."

Von nun an ist er auf Gelegenheitsarbeiten und auf die Tätigkeit als Kirchendiener angewiesen, um für seine fünfköpfige Familie aufkommen zu können. All das aber kann ihn nicht davon abhalten, weiterhin öffentlich gegen die Christenverfolgung aufzutreten.

1975 schreibt Jakunin einen Brief an die Vollversammlung des ökumenischen Rates in Nairobi. Darin prangert er das Schweigen der westlichen Welt angesichts der Unterdrückung des Glaubens in der Sowjetunion an. Die Folge: Zum ersten Mal beschäftigt sich das Gremium mit der Frage der Christenverfolgungen in den kommunistischen Ländern. „Es ist erforderlich, daß die Christen der ganzen Welt von ihren Bekennern wissen, ganz gleich, in welchem Lande sie diese Verfolgungen erleiden und welcher Konfession sie angehören", schreibt er.

Auch auf den Umstand, daß die Reaktion der Christen im Westen von ganz entscheidender Bedeutung für das Los der Verfolgten ist, weist Jakunin hin: „Die zeitgenössisphen Christenverfolger legen allergrößten Wert auf ihr internationales Ansehen. Wenn die Christen die egoistische Gleichgültigkeit fremden Leiden gegenüber überwinden, werden sie Mittel und Wege finden, eine internationale Protestbewegung gegen Glaubensverfolgungen ins Leben zu rufen ..."

1976 gründete Jakunin das „Christliche Komitee zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen". Es nahm sich besonders der religiösen Minderheiten, die den brutalsten Verfolgungen ausgesetzt sind, an.

Diese Aktivitäten erregten zunehmend das Mißfallen der Behörden. Dementsprechend nahmen obrigkeitlicher Druck und Schikanen zu. Nach einer Hausdurchsuchung im September wurde Jakunin am 1. November 1979 vom KGB verhaftet.

Jakunin ist nur einer von vielen, die in jüngster Vergangenheit Opfer der sowjetischen Religionsfreiheit wurden. Pfarrer Dudko, Alexander Ogor-odnikow, Lew Regelson, Tatjana Ve-likanowa sind einige der prominenten Christen, die Opfer des „vorolympischen Reinemachens" geworden sind.

Viele Christen fühlen sich heute von der Intensität des Glaubenslebens der Urkirche angesprochen und herausgefordert, ihre eigene Lebenseinstellung von dieser Warte her zu überprüfen. Die Christen der Frühzeit aber wußten, wie beispielhaft ihre Märtyrer für die gesamte Gemeinschaft der Gläubigen waren. Weiß die Kirche von heute auch, welche Bedeutung dem Opfer der Märtyrer unserer Tage zukommt?

Wenn Sie gegen das Verhalten der Behörden protestieren wollen, schreiben Sie bitte an die Sowjetische Botschaft, Reisnerstraße 45, 1030 Wien, oder rufen Sie dort an: 0222/73 12 15.

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