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Vorrang für die Landwehr

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Kürzlich hat die ÖVP die „Konzeptiven Grundlagen für die Landesverteidigungspolitik“ der Öffentlichkeit vorgelegt. Zusammen mit einem Appell an alle im Nationalrat vertretenen Parteien zu einer neuen Zusammenarbeit in Fragen der Landesverteidigung, hat sie eine Reihe von Vorschlägen präsentiert, die geeignet erscheinen, die Landesverteidigung aus der Sackgasse, in der sie durch die Wehrgesetzgebung der letzten 5 Jahre geraten ist, herauszuführen. Die ÖVP hat dabei trotz der im Oktober stattfindenden Nationalratswahl auch so etwas wie „Mut zur Häßlichkeit“ bewiesen, wie es Gerhard Steininger in den Salzburger Nachrichten kommentierte.

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Kürzlich hat die ÖVP die „Konzeptiven Grundlagen für die Landesverteidigungspolitik“ der Öffentlichkeit vorgelegt. Zusammen mit einem Appell an alle im Nationalrat vertretenen Parteien zu einer neuen Zusammenarbeit in Fragen der Landesverteidigung, hat sie eine Reihe von Vorschlägen präsentiert, die geeignet erscheinen, die Landesverteidigung aus der Sackgasse, in der sie durch die Wehrgesetzgebung der letzten 5 Jahre geraten ist, herauszuführen. Die ÖVP hat dabei trotz der im Oktober stattfindenden Nationalratswahl auch so etwas wie „Mut zur Häßlichkeit“ bewiesen, wie es Gerhard Steininger in den Salzburger Nachrichten kommentierte.

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Gerade die letzten Jahre haben gezeigt, wie sehr, vor allem im Bereich der Landesverteidigung, parteipolitische Spekulationen auf Kosten staatspolitischer Erfordernisse gehen können. Das Sicherheitsbedürfnis der österreichischen Bevölkerung hat aber zugenommen, der Wehrwille ist im Steigen begriffen und die Popularität der Sicherheitsphilosophie — eine gute Außenpolitik sei die beste Verteidigung —, die es durch Jahre gestattete, das Bundesheer auf einem materiellen Tiefstand zu halten, ist einer Ernüchterung gewichen.

Das Heer ist und bleitot wichtigstes Instrument der Republik Österreich zum Schutz des Staates und seiner verfassungsmäßigen Einrichtungen, aber auch zum Schutz der gesamten Gesellschaft der Staatsbürger. So gesehen, bildet das Heer auch einen wichtigen Bestandteil der staatlichen Sozialpolitik. Was nützen alle Errungenschaften, was nützt Wohlstand und Wohlfahrt, Freiheit und Fürsorge, wenn für die Sicherstellung des Ganzen nichts unternommen wird?

Diesem Umstand Rechnung tragend, heißt es in den Konzeptiven Grundlagen zur Landesverteidigungspolitik:

„Im Rahmen der gesamten Sicherheitspolitik des Staates fallen der Landesverteidigung entscheidende Aufgaben zu. Ihr generelles Ziel heißt: Sicherung der Freiheit durch Verteidigungsbereitschaft, die alle möglichen Situationen der Bedrohung umfassen muß.

Bei Bedrohungssituationen im Frieden wirkt eine funktionierende Landesverteidigung in erster Linie durch ihr Vorhandensein.

Bei Bedrohung im Zustand internationaler Spannungen und Konflikte (Krisenfall) hat die militärische Landesverteidigung für die Intensivierung der Luftraumüberwachung und Grenzsicherung und -Überwachung vorzusorgen.

Bei einem Krieg in der Nachbarschaft (Neutralitätsfall) ist es Aufgabe der militärischen Landesverteidigung, die für den Neutralitätsschutz notwendige Luftraumsicherung durchzuführen und Verteidigungsmaßnahmen in bedrohten Räumen zu gewährleisten.

Bei einem Angriff auf Österreich (Verteidigungsfall) hat die militärische Landesverteidigung die Souveränität und Unabhänggkeit durch die Gesamtabwehr zu erhalten.“

Ausgehend von dem für Österreich entscheidenden Verteidigungsfall, stützen sich die Konzeptiven Grundlagen für die Landesverteidigungspolitik auf das Konzept der Gesamtabwehr. Es stellt den auf die besondere Situation Österreichs abgestimmten glaubhaftesten Beitrag zur Erhaltung unserer Souveränität und Unabhängigkeit dar.

Im Gegensatz zum geltenden Konzept der Gesamtraumverteidigung, das die österreichischen Möglichkeiten in Bezug auf Kräfte und Mittel eindeutig überfordert (in konsequenter Verfolgung der Idee würden in Analogie zur Schweiz für eine Gesamtraumverteidigung Österreichs rund 900.000 Mann und jährliche Budgetmittel von rund 25 Milliarden Schilling erforderlich sein), stützt sich die Gesamtatowehr im Rahmen unserer Möglichkeiten auf eine umfassende Raumsicherung durch territorial gebundene Landwehreinheiten, die in Anlehnung an feste Anlagen und Unterstützung durch bewegliche Verbände in Schlüsselräumen, also in Räumen, in denen ein potentieller Aggressor tatsächlich oder erkennbar seine Ziele setzt, zur Schwergewichtsverteidigung verdichtet wird.

Diese Konzeption enthält einen absoluten Vorrang für den Auf- und Ausbau der Landwehr und ein Umdenken in Organisation, Ausbildung, Führung und Versorgung ihrer Verbände.

Die derzeitige eigentliche Landwehr, das sind die territorial gebundenen, den Militärkomarnanden länderweise zugeordneten Kräfte, wurden hingegen seit 1970 so gut wie gar nicht mehr weiterentwickelt. Der bis 1969 erreichte Status besteht nach wie vor, sowohl in der Konzeption als auch in der Durchführung.

Um diesen Umstand zu verbergen, wurden ein Teil der früheren Einsatztruppen sowie die Reservetruppen in „mobile Landwehr“ umbenannt, während ein kleinerer Teil der Einsatztruppen in „Bereitschaftstruppen“ umbenannt worden ist. Alle diese Verbände sind jedoch in Wirklichkeit mobile Reservetruppen, die nur durch Mobilmachungsakte aufgeboten werden können. Somit gibt es mit Ausnahme der in der Entwicklung steckengebliebenen territorialen Landwehr keine Landwehr und letztlich auch keine im Sinne der Bezeichnung echte Bereitschaftstruppe.

Die Vorstellungen der ÖVP zielen nun, den geänderten Verhältnissen besonders in bezug auf die Verkürzung der Grundwehrdienstzeit auf sechs Monate Rechnung tragend, auf den beschleunigten Aufbau der Landwehr und ihren Ausbau zu einer territorialen Miliz unter Mitwirkung der Bundesländer:

Die Länder könnten gemäß Art. 81 B.-VG. durch Bundesgesetz verpflichtet werden, bei der Erzeu-zung, Verpflegung und Unterbringung des Heeres und der Beistellung seiner sonstigen Erfordernisse mitzuwirken, ebenso könnten militärische Angelegenheiten gemäß Artikel 102 Abs. 2 B.-VG. in mittelbarer Bundesverwaltung geführt werden. Es läge auch im föderalistischen Interesse, wenn die Landeshauptleute in militärischen Angelegenheiten wesentlich mehr Aufgaben als bisher übertragen erhielten. Bei der mit dem Bevölkerungsschütz integrierten Verteidigung soll dem Landeshauptmann erhöhte Koordinations- und Verfügungskompetenz vor allem im Katastrophenfalle zukommen. Das Wehrgesetz sollte hierfür im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung, Landesgesetze im Rahmen der Landesvollziehung, neue Unterstellungs- und Koordinationsmöglichkeiten schaffen. Für Aufgaben der Waffen- und Munitionslagerung sowie der Verpflegungsvorsorge sollten dem Landeshauptmann im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung erhöhte Kompetenzen eingeräumt werden.

Durch diese Neuregelung sollte ein viel stärkeres landsmannschaftliches Naheverhältnis zwischen der Bevölkerung der jeweiligen Regionen in den Bundesländern und „ihren“ Truppen sowie den regionalen Verteidigungsaufgaben entstehen.

Als weiterer Grundstein für den Aufbau einer Miliz kann die Forderung nach Pflichtwaffenübungen für das Reservekaderpersonal angesehen werden. Der Aufbau einer schlagkräftigen Miliz, die eine glaubhafte Abhaltung durch ein

Höchstmaß an Verteidigungsbereitschaft bewirken soll, steht und fällt mit der Anzahl und der Qualität der Reservekader.

Es hat sich gezeigt, daß, allein auf dem Prinzip der Freiwilligkeit fußend, eine Reservearmee nicht aufzubauen ist. Auf Grund der geringen Meldunigen zu freiwilligen Kaderübungen schrumpft das Reservekaderpersonal und mit ihm das Reserveheer laufend bei gleichzeitigem überproportionalem Steigen der Zahl der ausgebildeten Grundwehrdiener, die für eine Verwendung im Reserveheer verfügbar wären.

Um Härten, die durch die Verpflichtung zu Kaderübungen entstehen, auszugleichen, soll der betroffene Personenkreis eine Entschädigung in Form eines Bereitstellungssoldes, der einen monatlichen Fixbetrag für die Dauer der Innehabung einer Reservekaderfunktion darstellt, erhalten.

Zum Wirksamwerden der Gesamtabwehr im Verteidigungsfall, dazu gehört die Sicherung der Mobilmachung der Landwehr und die Schwergewichtsverteidigung, sowie für die Bewältigung von Krisen- und Neutralitätsfällen ist der Bestand einer rasch einsetzfoaren, schlagkräftigen, mobilen Truppe erforderlich. Diese Truppe, die als Feldheer bezeichnet wird und deren ständige Präsenz in der vollen, für die Schwergewichteverteidigung notwendigen Stärke nicht erforderlich erscheint, soll sich aus jederzeit einsatzbereiten und -fähigen Verbänden

— der Bereitschaftstruppe — und aus innerhalb von rund zwölf Stunden einsetzbaren Reserveverbänden zusammensetzen.

Die mit modernsten Waffensystemen ausgerüstete Bereitschaftstruppe kann nur aus hochqualifizierten längerdienenden Soldaten bestehen. Um diese — freiwillig — längerdienenden Soldaten zu erhalten, sind entsprechende Anreize zu bieten, die zweifellos mit Kosten verbunden sind. Aber wenn man sich nun einmal in Österreich zu einem der kostspieligsten Wehrsysteme entschieden hat, müssen auch alle Konsequenzen gezogen werden, will man in der Erfüllung der Neutralitätspflichten glaubwürdig bleiben.

- Die ÖVP hat eine Reihe solcher Anreize vorgeschlagen, so etwa

• Abfertigung nach Abschluß der Dienstzeit als Starthilfe für den Zivilberuf,

• bevorzugte Einstellung in den öffentlichen Dienst durch Schaffung eines entsprechenden Soldatenanstellungsgesetzes,

• Gewährung erweiterter Bildungsmöglichkeiten zur Vorbereitung auf den späteren Zivilberuf.

Die Reserveverbände des Feldheeres wiederum sollen sich aus gedienten Freiwilligen der Bereitschaftstruppe rekrutieren, die einem Beurlaubtenstand angehören und als Entgelt für die rasche Verfügbarkeit mit einem „Bereitstellungssold“ abgefunden werden.

Bis jedoch die erforderliche Anzahl von Längerdienenden erreicht ist, muß wohl oder übel mit 8-Mona-te-Dienern, sogenannten Durchdienern, das Auslangen gefunden werden. Die Anzahl jener, die sich heute schon freiwillig zum Durchdienen entschließen, würde zweifellos ausreichen, nur läßt sich weder eine örtliche noch eine zeitliche, Kontinuität gewährende, und eine ver-wendbarkeitsbezogene Steuerung der Meldungen erreichen, solange nicht das Militär nach den bestehenden Erfordernissen selbst bestimmen kann, wer wann und wo durchdienen muß. Dieses Erfordernis berücksichtigend, verlangen die konzeptiven Grundlagen auch ein Regulativ für das Durchdienen.

Neben einer Reihe von organisatorischen Verbesserungsvorschlägen, wie Entbürokratisierung der Verwaltung durch Reduzierung der Führungsebenen, Dezentralisierung der Versorgung und Modernisierung der Ausbildung, erscheint noch der Vorschlag, weibliches Personal auf freiwilliger Basis zusätzlich im Bundesheer zur Mitarbeit heranzuziehen, bemerkenswert.

Um Grundwehrdiener und Kaderpersonal für militärische Ausbildung freizubekommen — also den Leerlauf zu reduzieren — sollen vor allem im Stabs- und Sanitätsdienst, in Kanzleien, bei Radarbeobachtungen und im Fernmeldewesen vermehrt Frauen Verwendung finden. Dies könnte nach den Vorstellungen der ÖVP analog den derzeit für freiwillig verlängerte Grundwehrdiener geltenden Bestimmungen erfolgen, die eine Dienstleistung bis zu drei Jahren vorsehen. Die Bestimmungen haben vor allem den Vorteil, daß für Personen, auf die sie Anwendung finden, keine Dienstposten nach dem Rundesfinanzgesetz erforderlich sind.

Zur Information des Parlamentes und nicht als Ombudsmann für Soldaten, für die ja die Beschwerdekommission eingerichtet ist, sehen die Konzeptiven Grundlagen schließlich die Einführung eines Wehrbeauftragten vor.

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