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Digital In Arbeit

Vorrang fxir Sinn und Lesbarkeit"

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Ob der Versuch, die biblischen Texte in heutiger Sprache wiederzugeben, als gelungen zu bezeichnen ist, hängt auch von den Erwartungen und Ansprüchen der Leser ab.

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Ob der Versuch, die biblischen Texte in heutiger Sprache wiederzugeben, als gelungen zu bezeichnen ist, hängt auch von den Erwartungen und Ansprüchen der Leser ab.

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Mit der Fertigstellung der vorliegenden, gänzlich neu bearbeiteten Bibelübersetzung „in heutigem Deutsch" ist ein umfangreiches Arbeitsvorhaben abgeschlossen worden, dem sich die Bibelgesellschaften verschiedener Konfessionen im gesamten deutschen Sprachraum in den letzten Jahren verpflichtet wußten. Die Ubersetzung trägt in der Sprachgestalt — davon wird noch die Rede sein—sowie in ihrer Ausgabe diesen Gegebenheiten Rechnung.

Gemäß der breiten ökumenischen Basis, aber unter ehrlicher Beachtung unterschiedlicher Standpunkte bei den christlichen Konfessionen wurden zwei verschiedene Textanordnungen publiziert: Einmal mit den sogenannten „Spätschriften" des Alten Testaments, die als die „deu-terokanonischen Bücher" nur im katholischen Kanon der Heiligen Schrift verzeichnet sind, einmal ohne diesen Anhang für die nichtkatholischen Benutzer.

In der äußeren Form der Publikation sowie in der Anordnimg und Beigabe Von Verständnishilfen wurde nichts unversucht gelassen, um dem Leser den Zugang zur Heiligen Schrift zu erleichtern und zu ermöglichen. Dazu stehen ein ausführliches Stichwortregister sowie eingehende Sacherklärungen zur Verfügung, ergänzt durch Zeittafeln zum Uberblick über die Epoche der Bibel sowie ein sehr hilfreiches Ortsregister, das die Orientierung auf den beigegebenen Landkarten merklich erleichtert.

Der Druck der Ausgabe ist gut lesbar, Uberschriften sind in Fettdruck abgehoben. In der Schreibweise biblischer Namen folgt die Ausgabe den auf ökumenischer Basis erarbeiteten gemeinsamen Grundsätzen (Loccumer Richtlinien).

Das Hauptaugenmerk soll jedoch der Ubersetzungsweise selbst gelten. Im Nachwort gehen die Herausgeber auf die der Arbeit zugrundeliegenden Prinzipien ein. Hier wird die Priorität der Ubersetzungssprache in Wortwahl, syntaktischer Grundordnung und — wenn nötig — Neuf in-dung der literarischen Form besonders hervorgehoben, wenngleich als wissenschaftliche Basis selbstverständlich die neuesten Textausgaben in den biblischen Ursprachen herangezogen sind.

Zu übersetzen ist in erster Linie der Sinngehalt des biblischen Textes, der gegebenenfalls eine andere, neue Ausdrucksweise in der übersetzten Sprache verlangt. Die Lesbarkeit erfordert überdies die Zugrundelegung der eigenen Syntax. Klar abzugrenzen ist diese Vorgangsweise jedoch von einer Aufnahme textfremder Informationen oder auch eines modernen, heutigen Denkens im Zuge der Textübertragung.

Zweifellos ist es den Ubersetzern gelungen, einen gut lesbaren, heutigem Sprachempfinden entsprechenden Text zu schaffen. Damit wird dem Leser weithin ermöglicht, in der ihm vertrauten Sprachwelt die biblische Botschaft zu vernehmen. Die Vertrautheit der Sprachgestalt erweist sich als das durchgehend verfolgte Ziel der Ubersetzung in das „heutige Deutsch". Dies muß bedacht werden, soll das beeindruckende Werk einer kritischen Wertung unterzogen werden.

Der auch in andere Textübertragungen der Bibel eingeführte Leser wird da und dort nicht nur ihm im biblischen Text liebe Formulierungen, sondern bisweilen auch die Präzision des Ausdrucks vermissen. Natürlich kann man darüber verschiedener Meinung sein, einige Beispiele mögen für sich sprechen:

In Gen 1,26-27 wird in der priesterschriftlichen Schöpfungserzählung im Hinblick auf die Erschaffung des Menschen großer Wert darauf gelegt, daß der Mensch als Abbüd Gottes geschaffen wird. Dreimal weist der Verfasser in gleicher Formulierung auf diese in der Schöpfung grundgelegte Gottebenbildlichkeit des Menschen hin:

„Dann sprach Gott: Laßt uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. ... Gott schuf also den Menschen als sein Abbüd; als Abbild Gottes schuf er ihn." (Einheitsübersetzung; mit gleicher Akzentsetzung auch die Ubersetzungen von Martin Luther, Martin Buber und anderen.)

Demgegenüber heißt es im nun vorliegenden Text: „Dann sagte Gott: Nun wollen wir den Menschen machen, ein Wesen, das uns ähnlich ist! ... Gott schuf den Menschen hier nach seinem Bild..."

Hier bleibt doch die Frage offen, ob solche Textvereinfachung tatsächlich um der Sprache wülen notwendig war; dies ist besonders dann fraglich, wenn die theologische Konsequenz und Tragweite dieser Verse bis ins Neue Testament (zum Beispiel Kol 3,11) und darüber hinaus bedacht werden.

Als ein weiteres Beispiel seien die Seligpreisungen Mt 5,3-12 herausgegriffen. Aus der Genesis der Einheitsübersetzung ist noch im Gedächtnis, wie sehr hier die Formulierung zu Reaktionen führte. Aus dem vorgeschlagenen „wohl denen, die" wurde erneut „selig die...".

„Im heutigen Deutsch" heißt dies nun „freuen dürfen sich alle, die..." Das ist eine durchaus originelle und theologisch zutref f ende Deutung. Sie wirft zugleich die Grundsatzfrage auf, wie weit eine Ubersetzung in der Paraphrasie-rung von Begriffen nun tatsächlich gehen kann und darf.

Denn damit begibt man sich ja unversehens auf ein unübersehbar kontroverses Gebiet: Wäre unter Umständen die Aussage des griechischen makärioi als Zusage endgültigen Heus besser getroffen, würde man ausdeuten: „freuen werden sich alle, die.,.."? -Damit soll nur auf die Problematik hingewiesen werden.

Die zweite Seligpreisung (Mt 5,4) hat zweifellos die Leidenden, die Traurigen im Blick, die von Gott getröstet werden. Die Gute Nachricht präzisiert: „Freuen dürfen sich alle, die unter der Not der Welt leiden; denn Gott wird ihnen ihre Last abnehmen." Im Blick auf die Ursachen von Traurigkeit und Leid weiß die Ubersetzung hier mehr als der biblische Text.

Schließlich sei die Lösung eines theologischen Problems zur Sprache gebracht, das freilich jeden beschäftigt, der die Heilige Schrift übersetzt oder interpretiert. Die Übertragung von „Reich Gottes, Herrschaft Gottes (basi-leia tou theou)." In dieser Ubersetzung ist zumeist die Formulierung gewählt „Gott richtet seine Herrschaft auf" (so zum Beispiel Mk 1,15; Mt 13,31.47; Lk 17,21; auch Rom 14,17), weiters auch „Gottes neue Welt" (z. B. Joh 3,5) oder „die neue Welt, in die Gott die Menschen ruft" (z. B. Mt 13,44).

Mit diesen Ausdrücken ist eine gute Umschreibung der komplexen, dynamischen Wirklichkeit gelungen, die hinter dieser biblisch sosehr verwurzelten Sprechweise steht (dazu auch das Register, Seite 314, sowie die Hinweise im Nachwort, Seite 299).

Ein klares Urteil zu dieser neuen Ubersetzung scheint also schwierig. Die Bewertung wird mit den Erwartungen und mit der eigenen Praxis des Umgangs mit der Schrift zu verbinden sein. Wer nach einer Textübertragung sucht, die ihm die sprachliche Schönheit des biblischen Urtextes erhalten hat und ihn so anleitet, auch in der ursprünglichen Sprachgestalt so manches Sinnelement des Textes aufzuspüren, der sollte nach einer anderen Ubersetzung greifen.

Der Leser allerdings, dem an der klaren, verständlichen Ausdrucksweise in einer einfachen und dennoch schönen Umgangssprache unserer Zeit in größerem Maße gelegen ist als an der theologischen Präzision, die bereits in Wortwahl und Sprachgestalt zum Ausdruck kommt, möge die vorliegende Gute Nachricht im Bedenken der Grenzen jeder, auch dieser Ubersetzung, zur Hand nehmen.

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